Nikolaus Müller gibt als Pianist auch selbst Konzerte.
© RUB, Marquard

Interview Musik schafft magische Räume im Alltag

Obwohl er zunächst damit liebäugelte, Physiker zu werden, entschied er sich doch für eine Musikerlaufbahn. Seit Oktober 2016 ist er Musikdirektor der RUB. Wir stellen Nikolaus Müller vor.

Herr Müller, wie sieht der Alltag eines Musikdirektors aus?
Eine der Hauptaufgaben ist die Betreuung der großen Universitätsensembles. Sowohl mit Chor als auch Orchester finden wöchentlich während der Vorlesungszeit Proben statt. Hinzu kommen Probenwochenenden und Sonderproben. Und dann bin ich natürlich auch bestrebt, kleinere Ensembles zu begleiten beziehungsweise neu ins Leben zu rufen.

Drumherum fällt naturgemäß viel Organisatorisches an. Eine Besonderheit an der RUB sind ja auch die Lunchtime-Konzerte im Audimax am Montagmittag. Auch die müssen geplant werden. Und natürlich müssen die Werke für die Semesterprogramme vorbereitet werden.

Was ist die besondere Herausforderung bei der Arbeit mit Laien?
Im Orchester sind schon gewisse Voraussetzungen notwendig, die die Studierenden mitbringen müssen. Im Chor ist es sehr unterschiedlich: Manche haben schon von Kindesbein an in einem Chor gesungen, andere kommen ganz frisch dazu. Die Balance zu finden und alle mitzunehmen, ist nicht ganz einfach. Ich habe allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass es einem Ensemble guttut, wenn man die Latte eher etwas zu hoch als zu niedrig legt. Wenn man es dann gemeinschaftlich schafft, das Ziel zu erreichen – dieses Erlebnis ist durch nichts zu ersetzen.

Die Stimmung ist gut, man trifft sich, es entwickeln sich Freundschaften.

Gibt es auch Aspekte, die die Arbeit mit Laien besonders schön machen?
Für alle ist es ein Hobby, das sie freiwillig machen. Die Stimmung ist gut, man trifft sich, es entwickeln sich Freundschaften. Bei Profis gehört vieles eben einfach zum Job, und es gibt die Gefahr einer reinen Pflichterfüllung. Toll finde ich es auch, Studierende kennenzulernen, die mit Begeisterung darauf eingehen, was ihnen angeboten wird, und die sehr engagiert sind.

Sie sind jetzt seit vier Monaten offiziell im Amt, vorher haben Sie den Bereich Musik ein halbes Jahr lang kommissarisch geleitet. Konnten Sie schon eigene Impulse setzen?
Ich denke, ja. Zum einen haben wir gerade mit dem Bereich Fotografie eine großartige Kooperation im Audimax im Rahmen des letzten Semesterkonzerts auf die Bühne gebracht. Dafür haben wir in der Orchesterarbeit Dozenten unter anderem von den Bochumer Symphonikern engagiert, was im Orchester sehr gut angekommen ist.

Außerdem habe ich versucht, das Lunchtime-Konzert etwas vielfältiger zu gestalten. Ich finde es ja großartig, dass es zu Wochenbeginn solch eine musikalische Mittagsoase gibt. Seit dem vergangenen Semester veranstalten wir nun immer am zweiten Montag eines Monats der Vorlesungszeit ein sogenanntes Lunchtime-Surprise-Konzert.

Was ist daran speziell?
Ich habe versucht, das Lunchtime-Konzert aus der Orgelnische rauszuholen. Natürlich, ohne die Orgel dabei zurückdrängen zu wollen. Aber es gibt doch viele, die mit Orgelmusik nicht ganz so viel anfangen können. Also habe ich im November zusammen mit einem exzellenten Liedsänger ein Programm mit Klavierliedern gemacht. Wir haben den Bühnenbereich im Audimax bestuhlt, damit eine intimere Atmosphäre aufkommt. Das ist sehr gut angekommen.

Im Dezember haben wir vor dem eigentlichen Weihnachtskonzert schon mal im Rahmen des Lunchtime-Konzerts einen kleinen Ausschnitt gegeben. Und zuletzt hatten wir Anfang des Jahres ein Jazz-Trio zu Gast. Da war die Stimmung so gut, dass das Publikum statt der üblichen halben Stunde fast eine ganze Stunde dabei geblieben ist.

Spielen Sie selbst auch Orgel?
Ich komme vom Gesang und bin musikalisch mehr oder weniger im Leipziger Thomanerchor aufgewachsen. Dann habe ich noch Klavier gelernt und auch etwas Orgel. Jetzt, wo mir an der RUB dieses tolle Instrument zur Verfügung steht, habe ich mir auch fest vorgenommen, meine Orgelkenntnisse wieder etwas aufzufrischen. Wobei ich wahrscheinlich nie ein Profi an dem Instrument sein werde, dafür muss man früh anfangen und am Ball bleiben.

Der Umgang mit der Stimme ist etwas sehr Intimes.

Haben Sie noch andere Pläne für die Zukunft?
Ich würde gerne ein Angebot für Studierende machen, die das erste Mal mit Musik in Berührung kommen. Gerade was das Singen anbelangt. Der Umgang mit der Stimme ist etwas sehr Intimes. Für manche ist es ungewohnt und kann auch etwas unangenehm werden, vor anderen zu singen.

Im großen Chor ist man da schnell überfordert. Es wäre gut, wenn sich diese Leute zunächst in einer anderen Umgebung vorbereiten könnten, zum Beispiel bei einem offenen Singen oder bei einer Stimmbildung in Kleingruppen. Es wird allerdings sicher eine Weile brauchen, ehe dafür gute Lösungen gefunden werden, und ich muss sondieren, welche finanziellen und räumlichen Möglichkeiten ich habe.

Bevor Sie Orchester dirigieren studiert haben, haben Sie einen Abstecher in die Physik unternommen. Profitieren Sie bei Ihrer Arbeit von dieser Zeit als Naturwissenschaftler?
Ich schätze es, dass ich durch die Naturwissenschaft ein anderes Denken kennengelernt habe. Eines, das mehr auf methodischer Stringenz und dem Verstehen von Systemen aufbaut, als es bei den Künsten oft der Fall ist. Für mich sind vor allem die Berührungspunkte zwischen verschiedenen Fachrichtungen sehr spannend. Das ist es auch, was ich hier an der Universität so interessant finde: dieses Zusammenkommen verschiedener Denkweisen.

Ergeben sich dadurch neue Möglichkeiten für die Musik?
Wir haben zum Beispiel ein Projekt im Optionalbereich gemacht, in dem es um das Verhältnis von Musik und Sprache ging. Ich habe ganz bewusst versucht, dass die Studierenden sich aus ihrer jeweils eigenen Perspektive herantasten. Natürlich war das für die Philologen und Linguisten relativ naheliegend. Es waren auch zwei Ingenieurwissenschaftler dabei, die sich mit einem bildhaften Verstehen von Musik auseinandergesetzt haben. Bei unserem letzten Semesterkonzert haben sie eine eindrucksvolle Videoinstallation gemacht, in der Bilder auf Klänge reagieren.

Man kommt also auf ganz neue Ideen, wenn man mit so unterschiedlichen Fächern zu tun hat. Dieses vernetzte Denken bereichert ungemein. Insofern genieße ich es, fern von fixen Lehrplänen und Erwartungen mich in diesem universitären Kosmos bewegen zu können. Die Idee des Musischen Zentrums bietet in dieser Hinsicht großartige Möglichkeiten und kann Räume innerhalb der Universität schaffen, die im Alltag etwas Magisches haben.

Sie kommen aus Leipzig, wo Ihre Familie derzeit auch noch lebt. Fühlen Sie sich dennoch schon ein wenig heimisch im Ruhrgebiet?
Ich bin ein bisschen verwöhnt, weil ich zwei Jahre in Wien gelebt habe und diese Stadt sehr liebe. Da habe ich nach meiner Rückkehr selbst mit Leipzig ziemlich gehadert. Seit ich jetzt in Bochum eine eigene Wohnung habe, beginne ich langsam, mich hier heimisch zu fühlen. Was es mir leicht macht, ist die Aufgeschlossenheit der Menschen.

Ich genieße es, an Orten zu sein, wo es ganz still ist.

Wenn Sie mal keine Musik machen oder hören, wie verbringen Sie dann am liebsten Ihre Freizeit?
Ich reise sehr gerne und bin fasziniert, neue Orte und Kulturen kennenzulernen. Auch meine Freizeit hat damit viele Berührungspunkte mit dem Kulturellen und der Musik. Das ist auch ganz schön, aber andererseits ist es auch ein bisschen ein Fluch, weil man nie richtig abschalten kann. Ich genieße es aber, wenn ich mal in den Bergen oder an der See sein kann – vor allem dort, wo es ganz still ist.

Zum Schluss: Welches Konzert steht als Nächstes an?
Am 23. April gebe ich im Audimax abends ein Gastkonzert zusammen mit der Rhein-Ruhr-Philharmonie. Für den Nachmittag haben wir uns etwas Besonderes überlegt: Wir wollen Familien einladen und den Kindern die Ouvertüre „Die Hebriden“ von Felix Mendelssohn Bartholdy vorstellen. Das ist ein sehr eindrucksvolles Stück, das viele verschiedene Facetten hat.

Es ist aber auch nicht so lang. Daher eignet es sich sehr, ein wenig dazu zu erzählen, einige Takte anzuspielen und etwas zu erklären. Dieses Werk hat ja auch viel mit dem Kennenlernen fremder Kulturen und unbekannter Geschichten zu tun. Das wird bestimmt eine spannende Dreiviertelstunde.

Zur Person

Nikolaus Müller wurde 1976 in Leipzig geboren. Als Neunjähriger wurde er Mitglied des Leipziger Thomanerchores, dem er bis zum Abitur angehörte. Nach der Schule begann er zunächst ein Physikstudium, das er allerdings nach dem Vordiplom zugunsten eines Studiums im Fach Orchesterdirigieren abbrach. Anschließend arbeitete er unter anderem als Chordirektor des Stadtsingechores zu Halle und als Kapellmeister der Wiener Sängerknaben. Theatererfahrung sammelte er als Chordirektor an den Theatern Altenburg-Gera und Chemnitz, und er lenkte als Künstlerischer Leiter die Geschicke der Robert-Franz-Singakademie Halle und des Thüringischen Landesjugendchors. Zum Wintersemester 2016/17 übernahm Nikolaus Müller die Bereichsleitung Musik im Musischen Zentrum der RUB.

Unveröffentlicht

Von

Raffaela Römer

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