Integration „Wenn wir es nicht machen, macht es keiner“
Migrantinnen aus Arbeiterfamilien stoßen während ihrer Uni-Karriere auf besondere Hürden. Auch in der eigenen Familie. Fatima Caliskan und Handan Cakir möchten helfen, Missverständnisse auszuräumen.
Fatima Caliskan und Handan Cakir wissen, was sie wollen. Nicht nur im Studium und als Referendarin geben sie alles. Sie haben 2016 das Netzwerk Immigra gegründet, das Studentinnen mit Migrationshintergrund bei ihrem Weg durchs Studium unterstützt. Caliskan und Cakir arbeiten seitdem in jeder freien Minute ehrenamtlich dafür. Caliskan ist Masterstudentin der Sozialwissenschaft, und Cakir unterrichtet Englisch und Deutsch an einer Gesamtschule.
Die Idee für Immigra ist aus ganz persönlichen Erfahrungen entstanden: „Uns fehlte eine Initiative für Migrantinnen und Bildungsaufsteigerinnen. Frauen wie uns, die die Ersten in der Familie sind, die zur Uni gehen“, sagt Caliskan.
Immigra bündelt die beiden Bereiche Herkunft und Bildungsaufstieg. Bei dem Netzwerk können sich Studentinnen und Schülerinnen mit Migrationshintergrund zu Bildungs- und Integrationsthemen beraten lassen und austauschen. „Wir hatten die Idee zu dem Netzwerk und dachten, wenn wir es nicht machen, dann macht es keiner“, so Caliskan.
Als Sozialunternehmen existiert das Netzwerk Immigra nun seit Januar 2017. In der kurzen Zeit haben Cakir und Caliskan schon viel erreicht: Es gibt lokale Gruppen in Bochum und Essen, und sie stehen auch mit Schulen in Kontakt. Außerdem entstehen gerade in ganz Deutschland weitere Netzwerkgruppen, zum Beispiel in Berlin, Dresden und Hamburg. Das Unternehmen trägt sich durch Spenden und die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. „Wir hätten nicht gedacht, dass unsere Idee so viele Menschen erreicht. Jeden Tag bekommen wir Mails von Interessierten, und letztens haben uns zwei Mädchen auf einer Veranstaltung erkannt und angesprochen“, so Handan Cakir.
Ihren Erfolg haben sich die beiden Frauen hart erarbeitet, denn im Gründungsprozess mussten sie viel dazulernen: „Welche Leute muss man kennen? Wie läuft eine Gründung rechtlich eigentlich ab? Welche wirtschaftlichen Aspekte müssen beachtet werden? Durch den Gründungsprozess sind wir beide gereift. Wir haben viele Dinge kennengelernt, die wir vorher gar nicht kannten“, sagt Cakir.
Häufig verstehen Eltern nicht, warum bestimmte Dinge wichtig für ein erfolgreiches Studium sind.
Fatima Caliskan
Die Studentin und die Referendarin wollen ihre Erfahrungen mit Schülerinnen und Studentinnen teilen und sie so beim eigenen Ausbildungsweg unterstützen. „Ich hatte zum Glück ein liberales Elternhaus und keine Schwierigkeiten mit meiner Familie, weil ich studiert habe. Viele Migrantinnen konfrontieren ihre Familien allerdings zum ersten Mal mit Themen wie Praktika und Auslandaufenthalt. Häufig verstehen die Eltern nicht, warum diese Dinge wichtig für ein erfolgreiches Studium sind, und lehnen gegenüber ihren Töchtern diese Chancen ab“, so Cakir. Manchmal könne dies sogar zu Brüchen mit der Familie führen, weil das Verständnis für das Studium auf der Seite der Eltern nicht da sei.
„Wir wollen bei der Kommunikation mit den Eltern helfen. Zum Beispiel ist es nicht gut, wenn man die Eltern vor vollendete Tatsachen stellt. Es ist besser, sie in den Prozess des Studierens einzubeziehen“, sagt Cakir. So könne die Familie auch selbst die Notwendigkeit von zum Beispiel Auslandsaufenthalten besser erkennen. „Dabei ist Immigra keine Selbsthilfegruppe oder Beratungsstelle. Wir möchten die Informationen aus der Gruppe heraus an die Schülerinnen und Studentinnen weitergeben“, so Caliskan.
Das klare Ziel der beiden Immigra-Gründerinnen ist es, das Netzwerk so auszubauen, dass es sich selbst trägt. „Wir wollen unsere Helferinnen und Helfer für ihre Arbeit bezahlen können und vielleicht selbst bald nur für das Netzwerk arbeiten“, sagt Fatima Caliskan.