Sportwissenschaft Von der RUB zum Deutschen Handballbund
RUB-Alumnus Patrick Luig ist Bundestrainer Bildung und Wissenschaft beim Deutschen Handballbund. Was seine Arbeit dort besonders macht, erzählt er im Interview.
„An meine Zeit an der RUB habe ich ausschließlich positive Erinnerungen“, sagt Dr. Patrick Luig, ehemaliger RUB-Forscher und heutiger Bundestrainer Bildung und Wissenschaft beim Deutschen Handballbund (DHB). Der frühere Handballspieler und -trainer promovierte in Bochum im Bereich Sportunfallforschung und ist heute beim DHB das Bindeglied zwischen Wissenschaft und Sportpraxis. Im Interview erzählt er unter anderem, was ihn an der Forschung über den Handball am meisten überrascht hat, was den DHB in Bezug auf die Wissenschaft einzigartig macht und welche Chancen er dem deutschen Team bei der Handball-Europameisterschaft ausrechnet, die vom 9. bis 26. Januar 2020 ausgetragen wird.
Herr Luig, Sie sind seit einem Jahr Bundestrainer Bildung und Wissenschaft beim Deutschen Handballbund. Was beinhaltet diese Aufgabe?
Derzeit bin ich vor allem damit beschäftigt, die Aus- und Fortbildung für Trainerinnen und Trainer zu modernisieren. Wir kümmern uns darum, Handballtalente zu identifizieren und zu fördern. Aber es nützt ja nichts, wenn man Diamanten hat, aber nur wenige, die sie wirklich schleifen können. Daher richten wir unseren Fokus nun verstärkt auf die Entwicklung der Trainerinnen und Trainer, die eine absolute Schlüsselfunktion für sportlichen Erfolg und speziell auch für die Weiterentwicklung des deutschen Handballs haben.
Außerdem bin ich zukünftig vermehrt für das Wissens- und Wissenschaftsmanagement sowie den Wissenstransfer im Verband zuständig, berate die Bundestrainer und trage Fragen, die sie haben, an die Wissenschaft heran.
Zur Person
Welches wissenschaftliche Ergebnis im Bereich Handball hat Sie bislang am meisten überrascht?
Überrascht hat mich leider vor allem, wie wenig im Handball geforscht wird. Verglichen mit anderen Sportarten sind wir sehr dünn aufgestellt. Ein Grund dafür ist unter anderem, dass Handball hauptsächlich im europäischen Raum verbreitet ist. Oft werden Forschungsergebnisse aber auch gar nicht so veröffentlicht, dass sie einem breiten Kreis zugänglich sind.
Wie lässt sich das ändern?
Der Deutsche Handballbund hat sich zum Ziel gesetzt, mehr Sichtbarkeit für Forschung im Handball zu schaffen, zum Beispiel das graue Wissen aus Abschlussarbeiten zum Handball, das nicht selten nur in den Bibliotheken verstaubt, transparenter zu machen. Wir wollen die Universitäten auffordern, gute Arbeiten an uns zu kommunizieren, sodass wir sie auf unserer Wissenschaftsplattform und in unserer Literaturdatenbank veröffentlichen können. Damit wollen wir auch verhindern, dass immer wieder die gleichen Fragen bearbeitet werden, ohne dass der Sport dabei einen Schritt nach vorne kommt.
Profitiert die Sportpraxis im Moment nicht von der Wissenschaft?
Es gibt sehr viel Expertise im Bereich der Sportwissenschaft, aber mein Eindruck ist, dass die Forschung in den vergangenen zehn Jahren etwas davon abgekommen ist, für den Sport zu forschen. Für uns wäre es hilfreich, Fragen aus der Praxis an die Wissenschaft herantragen zu können und früher in thematisch passende Projekte eingebunden zu sein, die wir dann auch besser mit unseren Mannschaften betreuen könnten.
Dazu gibt der Deutsche Handballbund Anfang 2020 eine Forschungsleitlinie heraus.
Genau, wir wollen proaktiv auf die Wissenschaft zugehen und für die kommenden vier Jahre Themenbereiche kommunizieren, deren Erforschung unseren Sport in der Praxis weiterbringen würde. Davon würde nicht nur unser Verband profitieren. Auch für die Forscherinnen und Forscher wäre es sicher schön, an Projekten zu arbeiten, die eine praktische Relevanz haben und den Sport letztlich besser machen. Das wäre idealer Wissenstransfer. Wir können hier von anderen Ländern wie Neuseeland oder Australien lernen, in denen Wissenschaft und Praxis auf Augenhöhe zusammenarbeiten, zum Beispiel beim Rugby.
Wie läuft Ihr Austausch mit der Wissenschaft derzeit ab?
Viel läuft natürlich über Netzwerke. Aus meiner Zeit an der RUB habe ich zum Beispiel bereits einige internationale Kontakte in die Forschung gesammelt, die noch heute hilfreich für mich sind. Außerdem ist der Forschungs- und Serviceverbund Leistungssport FSL mit dem Deutschen Olympischen Sportbund, den Olympiastützpunkten, dem Leipziger Institut für Angewandte Trainingswissenschaft oder der Trainerakademie ein wichtiges Netzwerk für uns. Ich lese aber auch regelmäßig wissenschaftliche Arbeiten, die dann in neue Konzepte einfließen, kürzlich beispielsweise in unser gerade veröffentlichtes DHB-Athletikkonzept.
Die Zeit an der RUB war für mich ein wichtiger Schritt in meiner beruflichen Laufbahn.
Was haben Sie noch aus Ihrer Zeit an der RUB mitgenommen?
Dort habe ich das strukturierte wissenschaftliche Arbeiten gelernt, das in allen Belangen hilfreich ist. Ich bin meinem damaligen Chef, Dr. Thomas Henke, sehr dankbar, dass er mich früh hat selbstständig arbeiten lassen, davon habe ich viel mitgenommen. Die Zeit an der RUB war für mich ein wichtiger Schritt in meiner beruflichen Laufbahn. Außerdem hätte ich nie gedacht, dass ich mal in der Sportunfallforschung lande – eigentlich ein Nerd- und Nischenthema, das sich als sehr spannend herausgestellt hat und von dem ich heute immer noch sehr stark profitiere.
Sie sind seit 2008 als Referent in der Trainerausbildung mit dem Schwerpunkt Verletzungen, Prävention und Gesundheitsmanagement beim Deutschen Handballbund tätig. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie aktuell die lange Verletztenliste der Männer-Nationalmannschaft sehen?
Das ist ein schwieriges Thema. Da müssen wir in Sportdeutschland sicherlich noch eine ganze Menge tun. In den Teamsportarten geht es vor allem darum, die Kommunikation zwischen Clubs und Liga auf der einen Seite und dem Spitzenverband auf der anderen Seite zu verbessern. Beide profitieren von gesunden Athletinnen und Athleten. Die Top-Spieler in Deutschland absolvieren 70 bis 80 Spiele pro Saison. Darum entbrennt ja alljährlich die Belastungsdebatte. Möglich ist ein solches Pensum aber nur, wenn die Athleten entsprechend darauf vorbereitet werden – und zwar von beiden Seiten. Dazu muss die Nationalmannschaft wissen, wo der Athlet gerade in seinem Verein steht, und der Verein muss anschließend wissen, was mit ihm in der Nationalmannschaft passiert ist. Dabei geht es um Informations- und Datenaustausch. Genau bei dieser Kommunikation und der daraus zu optimierenden Trainings- und Wettkampfsteuerung ist sicherlich noch Luft nach oben.
Sicher würde es auch helfen, wenn wir die Sportunfallprävention besser vermarkten könnten. Sie ist halt auf den ersten Blick nicht besonders sexy. Es gibt viel gutes Wissen, auch praktikable Ansätze, die aber noch nicht implementiert werden, weil das als zeitaufwendig oder kosten- und personalintensiv wahrgenommen wird. Wir haben scheinbar noch nicht den Schlüssel gefunden, das Thema gut ankommen zu lassen. Dabei ist die Spielerverfügbarkeit für Trainer, Clubs und Verband und natürlich für die Athleten selbst das A und O.
Seit der aktuellen Bundesligasaison sind alle Spieler mit Sensoren des Technologiepartners Kinexon ausgestattet, der umfangreiche Leistungsdaten in Echtzeit erhebt. Wird das Ihre Arbeit künftig erleichtern?
Das Potenzial, Erkenntnisse für Training und Regeneration gewinnen zu können, ist vorhanden, und die Technologie wird vermutlich schnell besser funktionieren. Derzeit wissen allerdings die wenigsten Trainer, wie sie mit den umfangreichen Daten sinnstiftend arbeiten können. Von Daten alleine ist noch niemand besser oder gesünder geworden. Daher ist auch unser Auftrag, mit allen Beteiligten Konzepte und Anwendungsszenarien dafür zu entwickeln. Wenn das gelingt, hat die Technologie eine realistische Chance, zum Beispiel durch ein verbessertes Belastungs- und Regenerationsmanagement, die Verletzungszahlen etwas zu senken.
Auch bei der aktuell laufenden Europameisterschaft der Männer werden Leistungsdaten mit der Technik gesammelt. Haben Sie während der großen Turniere eine besondere Aufgabe?
Im Moment liegt mein Fokus hauptsächlich auf der externen Traineraus- und -fortbildung. Es ist aber vorgesehen, dass ich zukünftig stärker in die Beratung der Bundestrainer eingebunden sein werde. Auch jetzt unterstütze ich bereits, wenn es um die Leistungsdiagnostik der Athletinnen und Athleten geht, tausche mich mit den Bundestrainern aus und bereite, wenn sie bestimmte Fragen haben, entsprechend Material auf.
Mein Wunschfinale wäre Deutschland gegen Dänemark.
Eine Frage zum Abschluss: Wer wird im Finale um den Europameistertitel 2020 kämpfen?
Für uns wird es ein spannendes Turnier. Aufgrund der vielen verletzten Stammkräfte bieten sich Chancen für andere Spieler, die vielleicht noch nicht jeder auf dem Radar hat. Nachdem die Frauen-Nationalmannschaft trotz zum Teil toller Leistungen bei der WM leider den Verbleib in der Olympia-Qualifikation verpasst hat, wünsche ich mir umso mehr, dass die Männer weit kommen – auch wir hier in der Geschäftsstelle leben natürlich von den Emotionen, die die Nationalmannschaften entfachen. Klar ist, dass bei der Vergabe der Medaillen aus meiner Sicht kein Weg an Dänemark vorbeiführt. Mein Wunschfinale wäre Deutschland gegen Dänemark. Das zu erreichen, wird sicherlich schwer. Trotzdem denke ich, dass wir zusammen mit einigen anderen Teams um die Medaillen mitspielen können. Wenn wir unsere Stärken und Tugenden abrufen, sind wir für jeden Gegner ein unangenehmes Team. Und wenn sich dann ein Lauf einstellt, warum soll es nicht bis ins Finale gehen? Wir haben doch 2016 bereits gezeigt, dass mit uns immer zu rechnen ist.