Guillermo Hidalgo Gadea erforscht an der Ruhr-Universität Denkprozesse.
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Neurowissenschaft Guillermo Hidalgo Gadea erforscht Denkprozesse

Der Doktorand begeistert sich für den Zusammenhang zwischen Körper und Gehirn, zwischen Verhalten und Denken.

Was ist für Sie das Faszinierendste an der Neurowissenschaft?
Mich begeistert der Zusammenhang zwischen Körper und Gehirn, zwischen Verhalten und Denken und wie sich wesentliche kognitive Prozesse zwischen Menschen, aber auch zwischen uns und anderen Tieren unterscheiden. Wenn ich beispielsweise Einkaufen gehe und dabei meine Mahlzeiten für die kommende Woche plane, treffe ich zahlreiche komplexe Entscheidungen und Abwägungen. Vielleicht denke ich gerade an den nächsten Urlaub und wie ich bis dahin die Figur halte oder ich will jemandem eine Freude bereiten und muss den Einkauf auf die Vorlieben anderer abstimmen.

Es ist allerdings ein Fehler, davon auszugehen, dass andere Menschen und andere Tiere, wenn sie ähnliches Verhalten zeigen wie ich, dabei auch ähnliche Denkprozesse haben müssen. In der Neurowissenschaft sind diese Unterschiede sehr schön messbar, indem man nicht nur die Lösungen miteinander vergleicht, sondern auch die Rechenwege dahin, wie in der Schule damals auch.

Denkprozesse sind nicht auf das Gehirn beschränkt.

Was war bislang Ihr aufregendstes Forschungsergebnis?
In den vergangenen Jahren habe ich versucht, das Verhalten von Tauben möglichst genau zu messen, hauptsächlich mit Machine Learning, Videoanalyse und 3D-Rekonstruktionen der Körperbewegungen von Tieren. Mit diesen neuen Methoden versuchen wir, ein höheres Level an Messgenauigkeit zu erreichen, machen aber auch neues Verhalten messbar, das den Denkprozess (oder den Rechenweg) abbildet und nicht nur die Lösung oder die Entscheidung.

Wir sehen in unseren Versuchen, dass Tauben abwechslungsreicheres Verhalten zeigen als das, was für das Lösen bestimmter Aufgaben notwendig und zu erwarten ist. Zum Beispiel untersucht eine Taube entfernte Futterstellen mit ausgeprägten Kopfbewegungen, die auf visuelle Aufmerksamkeit hindeuten, entscheidet sich aber letztendlich dagegen und bleibt an der nähergelegenen Alternative. Solche unterdrückten Entscheidungen konnten mit üblichen Messmethoden nicht berücksichtigt werden, weil sich die Taube nicht im Raum bewegt, oder nicht physisch mit der alternativen Futterstelle interagiert.

Ein weiteres Beispiel ist, wenn Tauben ein individuelles und vor allem aufgabenunabhängiges Verhaltensmuster entwickeln, um bestimmte Informationen im Gedächtnis zu behalten. Sie können ihren Körper in eine bestimmte Richtung drehen, den Kopf auf eine bestimmte Weise neigen oder an einer bestimmten Stelle picken und das mit unterschiedlicher Frequenz und Stärke, um eine Entscheidung zu kodieren. Vielleicht ist dieses Verhalten vergleichbar mit meinen Fingerbewegungen beim Kopfrechnen.

Diese Ergebnisse müssen noch genauer untersucht werden, aber bisher passt das sehr gut zur Theorie und Forschungsrichtung der „verkörperten Kognition“ oder Embodied Cognition. Denkprozesse sind danach nicht auf das Gehirn beschränkt, sondern finden in direkter Interaktion mit dem Körper und der Umwelt statt, in Bewegung und Verhalten.

Inzwischen denke ich häufiger auf Deutsch als auf Spanisch.

Sie haben an einer deutschen Schule in Barcelona Abitur gemacht. Wie kam es zu dieser Verknüpfung mit Deutschland, die Sie nacheinander nach Dortmund, Wuppertal und Bochum führte?
Damit hatte ich selbst nicht viel zu tun. Meine Eltern sprechen bis heute tatsächlich kein Deutsch, haben mich aber schon im Kindergartenalter in der Deutschen Schule in Barcelona eingeschult, vielleicht als Experiment? Ab da hat es mich konsistent nach Deutschland gezogen und in wenigen Wochen feiere ich mein zwölfjähriges Einwanderungsjubiläum. Deutschland im Allgemeinen, aber insbesondere NRW, sind ein großartiger Ort zum Leben, Studieren und Forschen. Die Arbeitsgruppen in Bochum um Professor Onur Güntürkün und Professor Albert Newen sind tatsächlich sehr international, aber inzwischen denke ich häufiger auf Deutsch als auf Spanisch.

Kognitive Neurowissenschaft in Duisburg-Essen und Bochum

Lernen, Erinnern, Vorhersagen – diese Prozesse wollen Forschende von der molekularen bis zur Verhaltensebene verstehen. Zu diesem Zweck kooperieren die Universität Duisburg-Essen und die Ruhr-Universität Bochum im Sonderforschungsbereich 1280 „Extinktionslernen“, aus dem das größere Netzwerk der Berlin-Bochum Memory Alliance hervorgegangen ist. Eine enge Zusammenarbeit besteht darüber hinaus in der Forschungsgruppe „Affective and cognitive mechanisms of specific Internet-use disorders“ und in diversen weiteren Projekten. 2021 wurde zudem das Research Center One Health gegründet, in dem die beiden Standorte ihre Kräfte bündeln. Schon seit 2007 arbeiten die Ruhr-Universität Bochum, die Universität Duisburg-Essen und die Technische Universität Dortmund unter dem Dach der Universitätsallianz Ruhr strategisch eng zusammen.

Veröffentlicht

Donnerstag
31. August 2023
10:38 Uhr

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