Medizin Wiebke Fenske hilft Menschen mit krankhaftem Übergewicht
Sie baut das erste interdisziplinäre Adipositas Therapie- und Forschungszentrum der Region auf. Und sie ergründet die Wirkmechanismen von Eingriffen und neuen Medikamenten gegen Übergewicht.
Jede fünfte Person in Europa gilt als krankhaft übergewichtig, und es werden immer mehr. Betroffene von Adipositas haben ein erhöhtes Risiko für eine Vielzahl weiterer Erkrankungen wie Diabetes, Herz- und Gefäßkrankheiten, Leber-, Nierenleiden und Krebs. Das reduziert ihre Lebenserwartung. „Darüber hinaus steigert Übergewicht das Risiko für spätere neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimerdemenz und beeinträchtigt die Fruchtbarkeit beider Geschlechter erheblich. Wir wissen heute auch, dass die Neigung zu Übergewicht über die Keimzellen an die nächste Generation weitergegeben wird – das wird auch in der Therapie bislang leider viel zu wenig berücksichtigt“, betont Prof. Dr. Wiebke Fenske. Sie wurde zum 1. August 2023 auf den Lehrstuhl für Endokrinologie und Diabetologie an der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität berufen und leitet die Medizinische Klinik I des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil.
Kompetenzen identifizieren und vernetzen
Ihre Vision ist es, die Klinik in enger Vernetzung zum Campus zu einem interdisziplinären Behandlungs- und Forschungszentrum für Adipositaserkrankungen auszubauen. Zunächst gilt es daher, die interdisziplinären Kompetenzen zu identifizieren und zu vernetzen. Erfahrung damit konnte Wiebke Fenske bereits an früheren Stationen ihres Werdegangs in London, Leipzig, Würzburg und Bonn sammeln. In Bochum ist es ihr ein besonderes Anliegen, neben den medizinischen Fachrichtungen wie Kardiologie, Diabetologie, Traumatologie und Chirurgie, auch die Ernährungsmedizin und die Neurowissenschaften und Proteinforschung am Campus mit einzubinden.
Patientinnen und Patienten, die mit Übergewicht und damit verbundenen Erkrankungen zu kämpfen haben, sollen dann ein ganzheitliches Beratungs- und Behandlungsangebot finden, das ihnen hilft, nachhaltig Übergewicht zu reduzieren, Folgeerkrankungen zu kontrollieren und die Lebenserwartung zu verbessern. „Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltensmaßnahmen spielen dabei zweifelsohne eine zentrale Rolle“, so Wiebke Fenske, „doch bei bestimmten Patientengruppen kommen daneben bedarfsweise auch medikamentöse, endoskopische oder chirurgische Behandlungsverfahren infrage.“
Kommunikation zwischen Darm und Hirn
Die Wirkungsweise von neuen medikamentösen Wirkstoffen und operativen Interventionen beschäftigen die Endokrinologin in der Forschung. „Meine wissenschaftlichen Ursprünge liegen eigentlich in der Neurobiologie“, sagt sie. „Ich habe mich lange Zeit mit den Hirnarealen befasst, die für die Flüssigkeitsregulation des Körpers zuständig sind. Da dieselben Bereiche des Gehirns auch für die Energiehomöostase sorgen, war der Weg zur Adipositasforschung nicht weit.“
So gelang es ihr zum Beispiel, herauszufinden, warum sich nach einer magenverkleinernden Operation der Zuckerstoffwechsel der operierten Patienten verbessert und das braune Fettgewebe mehr Energie verbraucht, sodass Energiereserven nachhaltig abgebaut werden. Verantwortlich dafür sind der Studie zufolge die Bakterien, die den Darm besiedeln, das sogenannte Mikrobiom. Sie kommunizieren über einen durch das Forschungsteam aufgeklärt Signalweg mit Fett- und Nervenzellen und vermitteln so deren verändertes Verhalten. „Besonders interessant ist, dass die veränderte Stoffwechselaktivität verschiedener bakterieller Cluster diese positiven Effekte auf den Systemstoffwechsel auch hervorrufen, wenn man sie übergewichtigen Individuen transferiert, die keine Operation hatten“, berichtet die Forscherin.
Neue Medikamente helfen auf noch ungeklärte Weise
Aktuell rücken neue Medikamente gegen Übergewicht in den Fokus der Forschung, die jüngst auf den Markt gekommen sind oder demnächst zugelassen werden sollen. Sie aktivieren bestimmte Rezeptoren von Körperzellen und führen über noch ungeklärte Mechanismen im zentralen Nervensystem und auch der Körperperipherie zu einer überraschend effizienten Reduktion von Übergewicht. „Die Wirkstoffe wurden eigentlich für die Therapie von Diabetes entwickelt, und es stellte sich zum Teil durchaus überraschend heraus, dass sie Diabetikern wie Nicht-Diabetikern auch beim Abnehmen helfen“, erklärt Wiebke Fenske. In einer anlaufenden Studie mit einem Industriepartner will sie im Detail untersuchen, welche Mechanismen dabei auf zellulärer Ebene ablaufen. Da sich die neuen Medikamente nicht nur gegen einen, sondern teils gegen zwei oder drei Rezeptoren gleichzeitig richten, sind die Zusammenhänge komplex.
„Über allem steht für uns auch die Frage, wie sich der Körper an eine solche Behandlung anpasst“, sagt Wiebke Fenske. Das, was vielen als Jojo-Effekt bekannt ist, beruht auf einer Strategie des Körpers, seine Energiereserven gewissermaßen zu verteidigen: Wer weniger isst, Körpermasse effektiv reduziert, verbraucht auch weniger Energie und nimmt in Folge oftmals wieder zu. Ähnliche Effekte lassen sich auch bei der Gewichtsabnahme durch Medikamente beobachten. „Das raubt Betroffenen die Motivation“, so die Ärztin. „Wir wollen diese Prozesse verstehen, damit wir besser dabei unterstützen können, krankhaftes Übergewicht zu reduzieren und die Gewichtsreduktion zu halten.“