Experteninterview KI in der Hochschullehre: Herausforderung und Chance
Malte Persike ist bei der Learning AID in Bochum zu Gast gewesen und erzählt im Newsportal, was Hochschulen brauchen, um mit Lerndatenanalyse das Studium zu verbessern.
Was bringt es Hochschulen, Künstliche Intelligenz und Datenanalysen in der Hochschullehre zu benutzen? Bei der Learning AID, dem größten Forum für diese Frage, hat sich am 28. und 29. August 2023 an der Ruhr-Universität Bochum ein Fachpublikum über die Bedeutung sogenannter Learning Analytics und den Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Hochschullehre ausgetauscht. Privatdozent Dr. Malte Persike von der RWTH Aachen war auch dabei. Er erzählt im Newsportal, wie er die Herausforderungen und Chancen für Hochschulen einschätzt.
Wie gut sind Hochschulen für Learning Analytics gerüstet?
Die zwei wichtigsten Voraussetzungen sind bei sehr vielen Hochschulen schon gegeben: das Interesse am Thema und die auf vielfältige Evidenz gegründete Überzeugung, dass Learning Analytics dabei helfen können, das Lehren, Lernen und Prüfen an Hochschulen nachhaltig zu verbessern.
Das kürzlich durch das Projekt KI:edu.nrw veröffentlichte Gutachten zur datenschutzrechtlichen Bewertung von Learning Analytics an Hochschulen löst zudem einen der größten Schmerzpunkte, mit denen Hochschulen bislang bei der Einführung von Learning Analytics konfrontiert waren. Das Gutachten liefert klare datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen für die Einführung und nimmt damit den Hochschulen ein erhebliches Arbeitspaket ab.
Wo liegen die Herausforderungen für Hochschulen?
Herausforderungen für Hochschulen liegen aktuell vor allem in zwei Bereichen. Erstens in der IT-Basisinfrastruktur für den hochschulweiten Aufbau von Learning Analytics, deren Bereitstellung keine triviale Aufgabe darstellt. Zweitens in den didaktischen und pädagogischen Maßnahmen, die aus den Ergebnissen der Lerndatenanalyse abgeleitet werden sollen. Um es pointiert zu formulieren: Die Forschungsliteratur gibt uns viele Erkenntnisse über sinnvolle Methoden zur Analyse von Daten. Uns fehlen aber in vielen Fällen noch die Konzepte für die effiziente Übersetzung dieser Ergebnisse in handfeste Veränderungen der Lehr-, Lern- und Prüfungsformate.
Was benötigen Hochschulen für Learning Analytics?
Der Schlüsselfaktor ist eindeutig der hochschulweite Konsens über die Einführung von Learning Analytics. Es geht hier um die Bildung von breiter Akzeptanz über alle Stakeholdergruppen an einer Hochschule hinweg. Studierende, Lehrende, die Verwaltung und die verschiedenen Gruppenvertretungen müssen an einem Strang ziehen und gemeinsam das Ziel haben, Studium und Lehre an der eigenen Hochschule datengestützt zu verbessern.
Zudem braucht es die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Serviceeinrichtungen für den Betrieb von Learning Analytics und den Vertreter*innen aus Lehre und Forschung. Ein von außen übergestülptes System, das nicht auf die Besonderheiten der individuellen Hochschule, auf ihre Standortspezifika und auf die Einsatzziele abgestimmt ist, wird keine optimalen Ergebnisse liefern können. Hier braucht es eine aktive Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Akteuren.
Was Hochschulen definitiv nicht brauchen, ist, das Rad in jedem Falle neu zu erfinden. Projekte wie etwa KI:edu.nrw sind darauf ausgerichtet, die notwendige Software-Infrastruktur für Learning Analytics bereitzustellen. Hochschulen finden dort eine Open Source Lösung für eine datenschutzkonforme, einfach zu administrierende und zu erweiternde Learning Analytics Architektur. Sie können sich damit auf organisatorische, didaktische und strukturelle Maßnahmen konzentrieren und müssen ihre Ressourcen nicht auf die Programmierung von Software verwenden.
Warum ist es sinnvoll, dass Hochschulen Learning Analytics im Blick behalten und ihre Infrastruktur anpassen?
Eine Vielzahl von Forschungsprojekten, aber auch der dauerhafte Betrieb von Learning-Analytics-Systemen an international renommierten Hochschulen hat unzweifelhaft klar gemacht, dass über den Einsatz von Learning Analytics die Lernbedingungen an einer Hochschule und damit auch der Studienerfolg signifikant verbessert werden können.
Die inzwischen über 6.000 international veröffentlichten Fachartikel im Themenfeld der Learning Analytics lassen hier tatsächlich nur einen Schluss zu: Learning Analytics funktionieren. Hierfür muss die Hochschule aber auch umfassend digital agieren. Das bedeutet, dass alle datengenerierenden Systeme, die zur Lerndatenanalyse genutzt werden können, erstens digital arbeiten und zweitens an die Learning-Analytics-Infrastruktur angeschlossen sind.
Gibt es da ein Beispiel für?
Wir können Studienerfolg nur schlecht vorhersagen, solange Daten aus dem Lernmanagementsystem nicht mit Daten aus dem Campusmanagement verknüpft werden können. Je mehr Datenquellen wir – immer mit strengem Blick auf den Datenschutz – erschließen können, desto größer ist das Potenzial für aussagekräftige Ergebnisse. Diese Ergebnisse dienen allen beteiligten Gruppen. Studierende erhalten aussagekräftige Einblicke in ihr eigenes Lernverhalten und möglichst auch noch Empfehlungen für nächste Schritte im Lernprozess. Lehrende bekommen Hinweis zur Optimierung ihrer Lern- und Prüfungsformate und Hochschulleitungen verfügen über eine bessere Datenbasis, um daraus strategische Entscheidungen ableiten zu können.
Welche Nachteile gibt es?
Die Entwicklung von Learning Analytics in den letzten 20 Jahren war in vielen Fällen technisch getrieben. Es ging darum, das grundsätzliche Potenzial dieser damals neuen Technologie zu ermitteln und Software zu implementieren, die mit recht einfachen Mitteln wie etwa Dashboards versucht hat, Lernprozesse zu verbessern. Erst in den letzten Jahren geht der Blick stärker auf didaktische und auch auf ethische Aspekte von Learning Analytics.
Die Frage, wie wir die Ergebnisse einer Lerndatenanalyse wirksam in neue didaktische Formate transformieren können und wie es uns dabei auch noch gelingt, ethische Erfordernisse wie die Partizipation, die Freiwilligkeit und die Selbstbestimmtheit nicht aus dem Blick zu verlieren, rückt erst seit kurzem ins Zentrum der Beschäftigung mit Learning Analytics.
Der Fokus auf Didaktik und Ethik umfasst ganz besonders das Bewusstsein der Grenzen von Learning Analytics. Weiterhin findet gerade an den Präsenzhochschulen ein Großteil der Lernprozesse im analogen Raum statt – dort also, wo keine Daten in großem Umfang generiert werden. Hier braucht es eine sorgfältige Abwägung, an welchen Stellen Learning Analytics sinnvolle Beiträge leisten können und in welchen Kontexten Lernprozesse nicht-messbar bleiben. Ich bin fest überzeugt, dass gerade die deutschen Hochschulen mit ihrem humanistischen Bildungsbegriff an dieser Stelle wichtige Beiträge leisten können.
Wie steht es um die Learning Analytics in zehn Jahren?
Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren eine ganze Reihe deutscher Hochschulen eigene Architekturen zur Lerndatenanalyse an den Start bringen werden. Wir werden also in zehn Jahren über deutlich mehr Erfahrung mit den Möglichkeiten und Grenzen von Learning Analytics verfügen als heute. Learning Analytics werden dann hoffentlich einfach nur eines von vielen Werkzeugen zur Verbesserung der Lehr- und Studienqualität sein. Und wir werden eine Konsolidierung beim technischen Unterbau sehen, damit nicht jede Hochschule ihre eigene Software entwickeln muss.