Studentisches Projekt Was bringen Inhaltshinweise für die Lehre?
Eine neue Handreichung für den Umgang mit sensiblen Themen in der Lehre ist in einem studentischen Projekt entstanden.
Zur Wissenschaft gehören auch immer wieder sensible Themen, die in Vorlesungen und Seminaren behandelt werden. Welche Möglichkeiten es gibt, mit diesen Themen in der universitären Lehre umzugehen, haben Student*innen im Initiativprojekt „Umgang mit sensiblen Inhalten in der Lehre“ recherchiert. Shima Rezaei, Lailah Atzenroth und Johanna Redetzky haben über ein Jahr lang an einer Handreichung mit konkreten Vorschlägen für die Praxis gearbeitet und sich im Prozess viel mit Studierenden und Lehrenden ausgetauscht. Maximiliane Brand vom Marie Jahoda Center for International Gender Studies hat sie im Prozess begleitet. Im gemeinsamen Gespräch mit der Redaktion erzählen sie mehr über den Prozess und das Ergebnis des Projektes.
Was sind Inhaltshinweise eigentlich?
Lailah Atzenroth: Verbale oder schriftliche Ankündigungen von Inhalten. Das kann sich erstmal auf alle möglichen Themen und Medien beziehen. Unsere Handreichung bezieht sich auf sensible und potenziell belastende Inhalte in der universitären Lehre, wie zum Beispiel Tod, Krankheit, Gewalt. Durch Inhaltshinweise können sich alle Beteiligten auf die Auseinandersetzung mit sensiblen Inhalten vorbereiten.
Warum braucht es so eine Handreichung für die Ruhr-Universität?
Shima Rezaei: Belastende Inhalte können unerwartet auftreten und überwältigend sein. Täglich haben wir durch die Nachrichten auch mit solchen Inhalten zu tun. Damit in der universitären Lehre niemand davon überwältigt wird, ist es wichtig, dass sich alle auf womöglich belastende und sensible Themen vorbereiten können.
Maximiliane Brand: Ich finde auch, dass es das braucht. Die Handreichung kann Ideen liefern, wie Inhaltshinweise in der Praxis aussehen können.
Es gibt schon viele Diskussionen über Inhaltshinweise. Oft mit einem negativen Beigeschmack. Die Handreichung kann helfen, das Thema etwas zu entzaubern und praktikabel zu machen. Sie schafft ein Bewusstsein für die Inhalte, die täglich in der Lehre behandelt werden.
Ganz konkret kann ich diese Handreichung Referatsgruppen an die Hand geben, wenn sie sich in ihrem Vortrag zum Beispiel mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auseinandersetzen. Aber auch für Lehrende sensibilisiert die Handreichung, zum Beispiel für die Auswahl von Texten.
Die konkreten Beispiele in der Handreichung helfen, mit den Inhaltshinweisen anzufangen.
Maximiliane Brand
Haben Sie ein Beispiel aus Ihrer Lehre?
Brand: Ich hatte mal einen Text zu Depressionen ausgewählt und für alle, die diesen zu belastend fanden, eine Alternative angeboten. Das hatte ich vorab kommuniziert. Das bedeutete, dass ich als Lehrende auch flexibel mit der Literatur umgehe. Die konkreten Beispiele in der Handreichung helfen, mit den Inhaltshinweisen anzufangen.
Welche Beispiele für Inhaltshinweise gibt es denn?
Johanna Redetzky: Es gibt pauschale und konkrete Inhaltshinweise. Zum Beispiel bei einer Vorlesung, die ein sensibles Thema wie Gewalt an Frauen zum Hauptthema hat, ist es etwas redundant, vor jeder Sitzung entsprechende Inhaltshinweise zu geben. Hier bietet sich ein pauschaler Inhaltshinweis an.
Bei einzelnen Sitzungen, die konkret oder besonders explizit ein spezifisches sensibles Thema behandeln, ist ein konkreter Inhaltshinweis sinnvoll.
Bedeutet das denn eine Einschränkung in der Lehre?
Atzenroth: Wir haben uns viel mit dem Thema Einschränkungen beschäftigt, weil es unsere größte Sorge war, dass das nachher die Wahrnehmung des Projektes bestimmt. Es geht uns nicht um eine Einschränkung in der Lehre, sondern um Zugänglichkeit. Wie können Lehr-Lern-Situationen und wissenschaftliche Diskussionen zugänglich gemacht werden für alle? Dass sich alle gewappnet fühlen und nicht von Themen überwältigt werden?
Es gibt viele Wege, einen besseren Umgang mit sensiblen Themen zu schaffen. Inhaltshinweise sind eine Möglichkeit und ein gutes Werkzeug, auch wenn es in der Umsetzung Grenzen gibt. Unsere Handreichung sehen wir als ein Angebot für Studierende und Lehrende und auch als Startpunkt für einen Dialog über den Umgang mit sensiblen Themen.
Brand: Inhaltshinweise sind ein Angebot, sich mit den eigenen Themen noch besser auseinanderzusetzen und ein Bewusstsein zu schaffen. Viele Kolleg*innen haben das Thema Inhaltshinweise auf dem Schirm, wissen aber nicht, wie sie es umsetzen sollen. Und ich finde es wichtig, dass man sich da einen ersten Schritt traut und sich öffnet.
Es geht uns auch um eine positive Fehlerkultur. Feedback und Dialog sind dabei wichtig.
Lailah Atzenroth
Welche Grenzen gibt es denn bei den Inhaltshinweisen?
Rezaei: Was belastend ist, kann sehr individuell sein. Deshalb kann es sein, dass eine Lehrperson zum Beispiel das Thema Naturkatastrophen aufbringt, ohne einen Inhaltshinweis zu geben, obwohl es vielleicht für andere belastend sein kann. Manchmal ist es auch nicht so offensichtlich, ob es einen Inhaltshinweis braucht.
Redetzky: Manchmal ergeben sich auch spontan Diskussionen über sensible Themen. Dann ist es kaum noch möglich, einen Inhaltshinweis zu geben.
Brand: Gruppendiskussionen sind dynamisch. Es ist schwierig, da überall mitzuhören und zu schauen, ob Inhaltshinweise spontan nötig sind. Aber ich kann als Lehrperson zu Beginn des Semesters meine Bereitschaft für Inhaltshinweise signalisieren und auch Ansprechperson für die Studierenden diesbezüglich sein. Fehlerfreundlichkeit sollte bei diesem Austausch und Prozess erwartet werden.
Atzenroth: Genau, es geht uns auch um eine positive Fehlerkultur. Feedback und Dialog sind dabei wichtig.
Brand: Und es geht darum, Wege zu finden, Themen besser zu besprechen. Es geht nicht darum, bestimmte Sachen nicht mehr zu besprechen. Dazu kann aber trotzdem gehören, die eigene Literaturauswahl zum Beispiel zu hinterfragen.
Wie sollte die Handreichung denn von der Hochschulgemeinschaft angenommen werden?
Redetzky: Ich würde mir wünschen, dass die Menschen die Handreichung ganz durchlesen und nicht beim Titel schon aufhören.
Rezaei: Es ist eine Möglichkeit, allen eine faire Grundlage für ein Studium zu geben. Ich wünsche mir, dass das als Chance gesehen wird.
Atzenroth: Ich wünsche mir, dass sich viele trauen, sich darauf einzulassen und sich daraus ein konstruktiver Austausch ergibt.