Computersimulation Effizient erwärmt
Wie die Wärmeverteilung in riesigen Industrie-Öfen die Produkte darin beeinflusst, wollen Forschende des Sonderforschungsbereichs Bulk Reaction herausfinden. Das soll bei der Energiewende helfen.
Tabletten, Kaffeebohnen, Kalkstein, Holzschnitzel, Abfall: Viele Produkte, mit denen wir im Alltag zu tun haben, durchlaufen eine sogenannte thermische Behandlung. Das heißt, sie werden in Öfen erwärmt, um getrocknet, chemisch verändert, geröstet oder verbrannt zu werden. Diese Öfen können riesige Ausmaße haben. Ihr Inneres ist meist eine Blackbox: Die oft sehr hohen Temperaturen, dichte Schüttungen und teils aggressive Atmosphären machen den Einsatz von Messtechnik im Inneren zu einer großen Herausforderung.
„Man konnte auf die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte bauen“, sagt Prof. Dr. Martin Schiemann vom Lehrstuhl für Energieanlagen und Energieprozesstechnik der Ruhr-Universität Bochum. Wenn die Produktqualität stimmte und der Preis ok war, konnte der Prozess so bleiben, wie er immer war. Doch diese Zeiten sind vorbei: Energie ist knapp und teuer, und man will weg von fossilen Brennstoffen wie Erdgas. Deswegen wird jetzt interessant, was im Ofen wo los ist und wie man ihn möglichst effizient und eventuell mit Wasserstoff oder elektrisch beheizen kann.
Steine geben Strahlungswärme weiter
Martin Schiemann und Doktorand Matthias Tyslik arbeiten im Sonderforschungsbereich Bulk Reaction daran, die Vorgänge in solchen Öfen zu simulieren. Ihre Hauptfrage ist die nach der Verteilung der Wärme, ihr Beispiel ein Kalkofen, mehrere zig Meter hoch. Mehr als 100 Tonnen Kalkstein passen hinein, die grob zerkleinert von oben hineingeschüttet und unten wieder entnommen werden. Mehr als einen Tag verbringt dabei jeder Stein im Ofen. Eine seitliche Gasflamme erhitzt den Ofen und breitet sich nach oben aus. Direkt an der Flamme werden Temperaturen von rund 1.400 Grad Celsius erreicht. Auf der gegenüberliegenden Seite des Ofens müssen es mindestens 850 Grad sein. Denn die thermische Behandlung soll dazu führen, dass im Kalkstein eine chemische Reaktion stattfindet: Kalziumcarbonat soll in Kalziumoxid umgewandelt werden, wobei das im Stein enthaltene CO2 entfernt wird. Ziel ist es, dass sämtliche Steine, die nach ihrer Passage des Ofens unten wieder entnommen werden, komplett durchreagiert sind.
SFB Bulk Reaction
SFB Bulk Reaction
„Wir wollen deswegen genau wissen, wie sich die Wärme im Ofen ausbreitet“, erklärt Matthias Tyslik. Sie wird unter anderem als Strahlungswärme von der Oberfläche des einen Steins zum nächsten weitergegeben. Dabei kommt es auch auf die örtlichen Verhältnisse an: Die Weitergabe geht nur bei Sichtkontakt, nicht über Hindernisse hinweg. Außerdem spielt der Temperaturunterschied zwischen den einzelnen Steinen eine Rolle.
Berechnungen in akzeptabler Zeit
Um die Details dieser Wärmeübertragung zu analysieren, haben die Forscher in ihrem Labor verschiedene Experimente aufgebaut. In einem beobachtet eine Wärmebildkamera eine künstliche, vereinfachte Schüttung aus Edelstahl- oder Magnesiumstäben, von denen sich einer erwärmt. Die Stäbe sind dabei geometrisch viel einfacher zu handhaben als das bei echten, gebrochenen Steinen oder faserigen Holzpellets der Fall wäre. Mit diesem geometrisch einfachen Aufbau können einige Fragen geklärt werden: Wird Wärme reflektiert? Welcher Stab erwärmt sich wie stark als erster? Welchen Einfluss hat das Material? In anderen Experimenten geht es darum, wie sich der Prozess der Wärmeübertragung verändert, wenn das Schüttgut dabei bewegt wird.
„Wenn man alle Einflussgrößen kennt, kann man solche Dinge theoretisch durchaus schon berechnen – auch für die Millionen Steine in einem Kalkofen“, sagt Martin Schiemann. „Aber man bräuchte dafür so viel Zeit und Rechenkapazität, dass das praktisch unmöglich ist.“ Deswegen ist es auch ein Ziel, die Simulation schließlich so weit zu vereinfachen, dass sie in akzeptabler Zeit durchführbar ist, ohne dabei an Genauigkeit zu verlieren.
Wenn auch nur eine Handvoll Kaffeebohnen zu heiß geworden ist, kann man die ganze Charge nicht mehr gebrauchen.
Dann könnte man zum Beispiel berechnen, wie die thermische Behandlung der Kalksteine abgeändert werden muss, falls man als Brennstoff statt Erdgas – wie heute üblich – Wasserstoff einsetzen würde. „Das kann man nicht einfach so machen, weil Wasserstoff ganz anders verbrennt“, erklärt Martin Schiemann. „Die Flamme wäre vermutlich kürzer, und es würden andere Schadstoffe entstehen, mit denen man umgehen müsste.“ Neben Wasserstoff käme für Kalköfen noch Ammoniak als Brennstoff infrage. „Eine elektrische Beheizung ist für die nötigen Temperaturen über 1.000 Grad in solchen Dimensionen bislang nur sehr schwer möglich“, so der Forscher.
Für andere Prozesse könne man darüber aber durchaus nachdenken. Tabletten werden zum Beispiel bei höchstens 100 Grad Celsius getrocknet, Kaffeebohnen bei bis zu 300 Grad Celsius geröstet. Auch hier ist die Verteilung der Wärme im Ofen entscheidend. „Wenn auch nur eine Handvoll Bohnen zu heiß geworden ist, kann man die ganze Charge nicht mehr gebrauchen“, sagt Matthias Tyslik.
Wieder andere Prozesse bringen wieder andere Herausforderungen mit sich. Bei der Müllverbrennung zum Beispiel sind die einzelnen Teile des Schüttguts sich nicht so ähnlich wie im Kalkofen. „Da sind dann auch mal Matratzen drin, oder PET-Flaschen, die bei Hitze zu kleinen Klumpen schmelzen“, erzählt Martin Schiemann. Ziel des Sonderforschungsbereichs ist es, eine Simulationsmöglichkeit zu entwickeln, die sich auf alle diese Prozesse anpassen lässt. Andere Teilprojekte widmen sich zum Beispiel dem Weg, den einzelne Partikel in einem Ofen nehmen, dem Gasfluss im Ofen oder der Wärmeübertragung durch direkten Kontakt zwischen einzelnen Partikeln.
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