Chemie Neue Erkenntnisse über die Wasserstoffbrückenbindung von Schwefelwasserstoff
Wasser und das übelriechende Molekül Schwefelwasserstoff scheinen auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben. Doch wenn man ein wenig Energie investiert, verschwinden einige Unterschiede.
Auf den ersten Blick haben der Eiswürfel in Ihrem Getränk und der Geruch von Omas berühmtem Eiersalat nicht viel gemeinsam. Aus chemischer Sicht sind die zugrunde liegenden Moleküle Wasser (H2O) und Schwefelwasserstoff (H2S) jedoch nicht unähnlich. Die Bindung des Wasserstoffs eines Wassermoleküls an den Sauerstoff eines anderen Wassermoleküls wurde bereits ausführlich untersucht. Die Frage, ob sich das größere Geschwisterchen H2S ähnlich verhält, ist jedoch weniger gut verstanden. Eine neue Publikation des Bochumer Exzellenzclusters „Ruhr Explores Solvation“ (RESOLV) schließt jetzt diese Lücke. Das Team der Physikalischen Chemie 2 der Ruhr-Universität Bochum hat seine Ergebnisse zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Atlanta und Nijmegen am 5. November 2024 in der Zeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.
Die experimentellen Ergebnisse der Bochumer Gruppe von Prof. Dr. Martina Havenith wurden durch theoretische Studien von Prof. Dr. Joel Bowman von der Emory University in Atlanta und Prof. Dr. Ad van der Avoird von der Radboud University in Nijmegen ergänzt.
H2S gilt als eines der einfachsten schwefelhaltigen Moleküle im interstellaren Medium und als wesentlicher Bestandteil verschiedener biologischer Prozesse bei Säugetieren. Es wurde bereits mit mehreren Infrarotstudien untersucht, aber einige Unsicherheiten über das Verhalten von H2S blieben bisher bestehen.
Hochauflösende IR-Spektroskopie in suprafluiden Helium-Nanotröpfchen
Die spektroskopische Technik, die zur Untersuchung der H2S-Moleküle verwendet wurde, ist unkonventionell. Um das Experiment durchzuführen, wurden einzelne Moleküle von H2S in suprafluide Heliumtröpfchen in einer Vakuumkammer eingebettet. Durch Variation der Menge an H2S-Gas in der Vakuumkammer konnten die Bochumer Forschenden Svenja Jäger, Philipp Meyer und Jai Khatri die Anzahl der von den Heliumtröpfchen aufgenommenen Moleküle statistisch kontrollieren und die Bedingungen so optimieren, dass im Durchschnitt immer zwei Moleküle gleichzeitig aufgenommen werden.
Die Tröpfchen bestehen aus suprafluidem Helium, welches im Vergleich zu normalen Flüssigkeiten einige einzigartige Eigenschaften hat. Einige dieser besonderen Merkmale sind die sehr hohe Wärmeleitfähigkeit, die die Tröpfchen und ihre eingebetteten Moleküle nahe dem absoluten Nullpunkt hält, die Transparenz über den Spektralbereich vom UV bis zum fernen Infrarot und die fast nicht vorhandene Wechselwirkung der Flüssigkeit mit den eingebetteten Molekülen. Diese drei Merkmale sind entscheidend für die Durchführung des Experiments, da sie es den Forschenden ermöglichen, die Wechselwirkung zwischen zwei H2S-Molekülen ohne jegliche Störung durch andere Moleküle oder thermische Energie zu untersuchen. Dies führte zu hochauflösenden IR-Spektren, die nicht nur die Schwingungsbewegungen des H2S-Moleküls, sondern auch dessen Rotationen und Tunnelspaltungen zeigten. Der Begriff Tunnelspaltung beschreibt die Trennung von Energieniveaus aufgrund einer kleinen Energiebarriere zwischen zwei verschiedenen Strukturen desselben Moleküls.
Grundlage für ein besseres Verständnis der Wasserstoffbrückenbindung
Die experimentellen Ergebnisse wurden durch theoretische Berechnungen ergänzt, die es ermöglichten, die Energieaufspaltung der H2S-Moleküle im Grund- und angeregten Zustand zu beschreiben. Im Vergleich zu Wasser stellten die Forschenden fest, dass die Bindung zwischen H2S-Molekülen im Grundzustand flexibler ist. Bei Anregung eines der Moleküle wird die Wasserstoffbindung derjenigen in Wasser sehr ähnlich.
Darüber hinaus konnten die Forschenden weitere Schwingungssignale charakterisieren und neu zuordnen, die bereits von anderen Gruppen veröffentlicht wurden. Damit stellen die Ergebnisse einen empfindlichen Test für modernste Berechnungsmethoden dar. Diese Methoden werden verwendet, um die Wechselwirkungen verschiedener Moleküle vorherzusagen. Um sicherzustellen, dass diese Vorhersagen korrekt sind, müssen sie mit Experimenten verglichen werden. Die Untersuchung der Bindung zwischen kleinen Molekülen wie Wasser und in diesem Fall H2S verbessert das Verständnis der grundlegenden Chemie erheblich und ermöglicht daher die Entwicklung noch präziserer theoretischer Berechnungen sowie das Verständnis komplexerer chemischer Systeme.