Lutz Budrass ist Experte für die Geschichte des Luftverkehrs. © Damian Gorczany

Interview Die wahre Geschichte der Deutschen Lufthansa

Über 15 Jahre sind Forschungsergebnisse zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern bei der Fluggesellschaft unveröffentlicht geblieben. Anfang 2016 änderte sich alles.

Zu ihrem 90-jährigen Firmenjubiläum brachte die Deutsche Lufthansa im Januar 2016 einen dicken Bildband heraus. Rund zwei Monate, bevor ein Buch des Bochumer Wissenschaftlers Dr. Lutz Budrass zur Geschichte des Unternehmens erscheint. Im Auftrag des Konzerns hatte dieser die Rolle von Zwangsarbeitern zur Zeit des Nationalsozialismus bei der Lufthansa erforscht. Nachdem die versprochene Veröffentlichung der Ergebnisse 15 Jahre lang ausblieb, schrieb Budrass für den Blessing-Verlag ein eigenes Buch. Plötzlich kramte auch die Lufthansa die Ergebnisse wieder hervor.

Herr Budrass, in Ihrem Buch „Adler und Kranich“ arbeiten Sie die Geschichte der Deutschen Lufthansa von 1926 bis 1955 auf. Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte der Konzern als geheime Rüstungsagentur; im Zweiten Weltkrieg beschäftigte er viele – teils entführte – Kinder als Zwangsarbeiter. Schadet ihr Buch dem Image der Lufthansa?
Mein Buch kann dem Renommee der Lufthansa schaden. Aber nicht wegen der Inhalte, sondern wegen der Art und Weise, wie sich der Konzern dazu verhält. Die Verantwortlichen versuchen nicht, die Zusammenhänge zwischen dem Schönen und dem Schlechten in der Vergangenheit des Unternehmens zu erklären. In dem Bildband der Lufthansa steht das dunkle Kapitel der Firmenhistorie unverbunden neben der guten Geschichte, die für Marketingzwecke genutzt wird. Dabei ist beides eng verknüpft.

Lufthansa-Buch

Lutz Budrass: Adler und Kranich: Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926–1955, Blessing-Verlag, München 2016, 704 Seiten, ISBN: 9783896674814,  erscheint am 14. März 2016

Genau genommen ist das dunkle Kapitel ausgelagert in einen Anhang zu einem reich illustrierten Bildband über die Pioniertaten der Lufthansa.
So ist es. Die Lufthansa hat sich anders verhalten als andere Unternehmen, die ihre Vergangenheit transparent aufgearbeitet haben. Sie hat einen Journalisten und keinen Historiker beauftragt, ein Buch über die Firmengeschichte zu schreiben. Meine These ist: Sie will sich mit den Traditionen schmücken, aber zur Wahrung dieser Traditionen die echte Geschichte nicht erzählen. Das scheint auch in dem Bildband durch.

Ein ausgelagertes dunkles Kapitel: Die Studie zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern liegt dem Bildband der Lufthansa als Anhang bei.
© RUB, Marquard

Ursprünglich sollten der Bildband und Ihre Zwangsarbeiterstudie zum 75-jährigen Jubiläum des Konzerns, also vor 15 Jahren, erscheinen. Das ist nie passiert. Welche Gründe hat man Ihnen genannt?
Von der Lufthansa habe ich nie erfahren, warum sie sich gegen die Veröffentlichung entschieden hat. Natürlich habe ich mir Gedanken darüber gemacht. 2000 und 2001 war die Debatte um die Zwangsarbeiterbeschäftigung in deutschen Unternehmen auf dem Höhepunkt. Ich denke, dass sich die Lufthansa aus Marketinggründen entschlossen hat, das Thema unter der Decke zu halten.

Waren Sie enttäuscht über diese Entscheidung?
Das hat mich sehr getroffen. Die Lufthansa hatte mir versprochen, die Ergebnisse als Buch zu veröffentlichen, als Ergänzung zu dem Bildband. Als Wissenschaftler muss man natürlich immer zusehen, dass man seine Ergebnisse publiziert. Aber dann wurde der Bildband eingestampft, und meine Studie wurde nur auf Anfrage kopiert herausgegeben.

Gibt es denn – im Vergleich zu anderen Firmen – etwas besonders Schlimmes in der Vergangenheit des Unternehmens?
Am schlimmsten kam mir bei der Recherche vor, dass die Lufthansa selbst Zwangsarbeiter in der Sowjetunion rekrutiert hat, vor allem Kinder. Aber die Zwangsarbeiterdiskussion steht heute gar nicht mehr im Vordergrund. Es geht darum, wie Unternehmen mit ihrer eigenen Vergangenheit umgehen. Das ist eigentlich auch die wichtigere Forschungsfrage.

Der Bildband der Lufthansa mit Ihrer Studie im Anhang ist nun fast zeitlich mit Ihrem Buch „Adler und Kranich“ herausgekommen. Zufall?
Das glaube ich kaum. Die Lufthansa wusste, dass ich an dem Buch schreibe. Ich habe im vergangenen Jahr nach einer Freigabe für eine Abbildung gefragt. Da ist man offensichtlich darauf aufmerksam geworden, dass ich fast fertig bin. Kurze Zeit später bekam ich einen Anruf aus der Kommunikationsabteilung der Lufthansa, dass der Bildband und meine Zwangsarbeiterstudie nun erscheinen werden. Über 15 Jahre nach ihrer Fertigstellung. Der Hauptautor des Bildbandes ist schon seit mehr als zwei Jahren tot.

Fast zeitgleich erschienen: Das Buch „Adler und Kranich” von Lutz Budrass und der Bildband der Lufthansa, der mehr als 15 Jahre unveröffentlicht geblieben war.
© RUB, Marquard

Jetzt gibt es also zwei Bücher, die augenscheinlich beide die Geschichte der Deutschen Lufthansa behandeln. Aber sie widmen sich nicht dem gleichen Thema.
In Ihrem Buch beschreiben sie, wie die Lufthansa 1926 gegründet, dann 1950 aufgelöst und schließlich 1955 neu gegründet wurde. Das heutige Unternehmen gibt an, rechtlich gesehen nicht der Nachfolger der ersten Lufthansa zu sein. Trotzdem feiert es in diesem Jahr das 90-jährige Firmenjubiläum und besinnt sich auf die Pionierleistungen während der Weltkriege.

Die Lufthansa ist wahrscheinlich das einzige deutsche Unternehmen, das zwei Gründungsdaten hat, die es je nach Bedarf einsetzen kann. Wenn der Konzern die alten fliegerischen Traditionen beschwören will, ist er 90 Jahre alt. Wenn er die Existenz als neues Unternehmen thematisieren will, ist er jünger. Ich weise in meinem Buch nach, dass es eine extrem große Kontinuität zwischen der alten und der neuen Lufthansa gibt. Die Leute, die 1926 die erste Lufthansa gründeten, gründeten auch die zweite. Die historische Manipulation, die sich in dem aktuellen Bildband der Lufthansa spiegelt, geht auf diese Neugründung zurück. Damals wurde schon entschieden, welche Teile der Geschichte ausgelassen werden und welche nicht.

Mit Ihrer Darstellung stehen Sie alleine einem milliardenschweren Konzern gegenüber.
Das Spannende ist: Man wird als Historiker selten Teil eines historischen Prozesses. Genau das passiert mir aber jetzt. Ich bin mittendrin in einer Diskussion, wie die deutsche Gesellschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit umgeht. Das zeigt, dass wir Geschichtswissenschaftler nicht einfach Ewiggestrige sind, die nicht aufhören können, in der Vergangenheit zu wühlen. Geschichtswissenschaft hat eine Funktion in der Gesellschaft. Darüber kann sich selbst so ein großer Konzern wie die Lufthansa nicht hinwegsetzen.

Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

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