Interview Von der Spaltung der Kirchen bis zur Ökumene
Die evangelische und katholische Kirche feiern das Reformationsgedächtnis gemeinsam. Das macht Thomas Söding Hoffnung. Mit dem Jubeln wäre er aber vorsichtig.
Was verbinden Sie mit Martin Luther?
Da ich katholisch bin, muss ich bekennen: Lange Zeit kannte ich kaum mehr als den Namen. Erst in der Schule und mit meinem Studium hat sich das geändert. Mein kirchengeschichtliches Examen habe ich bei Erwin Iserloh abgelegt, jenem Forscher, der – wahrscheinlich – nachgewiesen hat, dass der Thesenanschlag gar nicht stattgefunden hat. Heute ist mir Martin Luther näher gekommen: in erster Linie als Exeget, also sozusagen als Kollege. Er hat auf die Bibellektüre als theologische und politische Erkenntnisquelle gesetzt. Das war und ist wegweisend.
Was war Ihrer Meinung nach die bedeutendste Folge der Reformation, die unsere Gesellschaft heute noch prägt?
Die Reformation war ein ambivalentes Ereignis, wie die katholische Antwort auf sie auch. In der Folge der Reformation wurde die Kirche, aber auch die Gesellschaft tief gespalten. Sogar Kriege wurden geführt. Das ist Gott sei Dank vorbei. Heute ist die Reformation ein starker Impuls, neue Formen einer kirchlichen und gesellschaftlichen Einheit zu suchen, die Vielfalt nicht beschneidet, sondern unterschiedliche Kräfte freisetzt und bündelt. Da stehen wir aber erst am Anfang. Dass es, erstmals in der Geschichte, zu einem ökumenisch verbindenden Reformationsgedächtnis gekommen ist, macht Hoffnung. Mit Jubeln wäre ich vorsichtig.
Was glauben sie, wie sich die christliche Kirche in Zukunft verändern wird?
Ich bin Professor und kein Prophet. Aber als Neutestamentler weiß ich, dass sich die Kirche von Anfang an dramatisch verändert hat. Sie war, wenn es ihr halbwegs gut ging, immer beides: auf der Höhe der Zeit und nicht angepasst an den Zeitgeist. Sie wird lernen müssen, mit offeneren, freieren Formen der Zugehörigkeit zu leben. Der Konfessionalismus – die strenge Abgrenzung evangelisch oder katholisch – wird Vergangenheit sein. Aber die Konfession, das Bekenntnis zu Jesus Christus, wird immer weniger selbstverständlich und deshalb immer wichtiger sein: in Wort und Tat.