Newsportal - Ruhr-Universität Bochum
Der Hebel aus dem Drucker
Das Kennzeichnungs-Technologie-Labor, auch RFID-Labor genannt, trägt einen sperrigen Namen. Doch hinter seiner Tür im Untergeschoss von Gebäude IC geht es smart zu – hier arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Lehrstuhl für Maschinenbauinformatik von Prof. Dr. Michael Abramovici an Lösungen für die unkomplizierte Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Was genau in dem Labor passiert, durfte ich mir bei einem Besuch anschauen.
„Auf unser hydraulisches Testsystem, liebevoll der Pumpenstand genannt, sind wir schon ein bisschen stolz“, sagt Doktorand Mario Wolf und zeigt auf ein eigentümlich anmutendes Konstrukt aus einem großen aufrecht stehenden Holzbrett, an dem zahlreiche Kupferrohre und rote Hebel angebracht sind.
Schläuche führen in zwei Wasserkanister. Oben links an dem Holzbrett klebt eine blau-weiße Markierung. NFC steht darauf. „NFC bedeutet Near Field Communication. Diese Markierung hier ist die Schnittstelle zwischen dem Pumpenstand und einem Mobilgerät wie zum Beispiel einem Tablet“, so Wolf.
Im Raum ohne Fenster
Wir stehen in einem großen, funktional eingerichteten Raum. Genutzt wird das Labor von den Fachbereichen Maschinenbau, Sales Engineering und der Angewandten Informatik. Fenster gibt es keine, dafür aber verschiedene Aufbauten, die aussehen wie Schleusen über Fließbändern.
Tablets, Handys und große Computerbildschirme sind zu finden, auf einem Tisch stehen in einer Reihe wuchtige Hand-Lesegeräte, die im Vergleich zu den Mobilgeräten wie aus grauer Steinzeit wirken. All diese Apparate dienen dazu, Produkte zu identifizieren. Das ist zum Beispiel in der Logistikbranche wichtig.
Dafür sind die einzelnen Produkte, Behälter oder Paletten mit Markierungen, den Tags versehen. Je nach Bedarf können sie kleiner oder größer sein, von wenigen Millimeter großen Scheibchen bis zu massiven Kästen. Immer jedoch enthalten sie Informationen über das Produkt, die mithilfe der vorhandenen Lesegeräte ermittelt werden können.
In modernen Fabriken und Logistiklagern geht heutzutage fast nichts mehr ohne die digitale Vernetzung von Maschinen, Mitarbeitern und Kunden. Dadurch sollen die einzelnen Produktions-, Logistik- und Wartungsprozesse schneller und besser ablaufen. Das Stichwort lautet: Industrie 4.0.
„Den Stand haben wir einem echten Produkt aus dem Anlagenbau nachempfunden“, so Student Jan Alsters. Für den Bau waren etliche Stunden nötig. Das scheinbare Wirrwarr aus Rohren und Hebeln, das auch auf der Rückseite der Holzplatte zu finden ist, ist bis ins Detail geplant.
Allerdings muss man schon genau wissen, welche Hebel man wie bewegen muss, damit das Wasser aus dem einen Kanister in den anderen geleitet wird. Eine simple Aufgabe, die aber in der Industrie fehleranfällig ist, sobald die Anlage unübersichtlich wird.
Interaktive Bedienungsanleitungen
„Hydraulische Systeme stehen in vielen Fabriken. Nicht selten sind Montage-, Inbetriebnahme-, Wartungs- und Reparaturarbeiten nötig und stellen für die Mitarbeiter eine Herausforderung dar“, erzählt Mario Wolf. „Die Bedienungsanleitungen für die Systeme sind zig Seiten lang, überladen mit unnötigen Information und häufig unzureichend. Somit werden diese Arbeiten heute meist nur unsystematisch oder erfahrungsorientiert durchgeführt. Die Qualität der Arbeit hängt also oft vom Wissen einzelner Mitarbeiter ab.“
Mario Wolf und seine Kollegen haben daher mithilfe des Pumpenstands eine neue Form von technischer Dokumentation getestet. Sie erstellten für eine Fallstudie eine interaktive Bedienungsanleitung, die per Mobilgerät wie Smartphone oder Tablet verfügbar ist, und die durch die interaktive und multimediale Gestaltung besonders einfach und intuitiv benutzbar ist.
Jan Alsters öffnet die Anleitungs-App auf dem Tablet. „Man sieht sofort, wo die Vorzüge sind“, verspricht er und bringt das Gerät in Reichweite der NFC-Markierung auf dem Pumpenstand. Dann geht er einen Schritt zurück und richtet das Mobilgerät auf das Holzbrett. Auf dem Bildschirm erscheint der Pumpenstand und zusätzlich legen sich an den Stellen, an denen die Kupferrohre und Hebel sind, rote und gelbe Markierungen über die Darstellung.
Erweiterte Realität
„Die App macht es möglich, dass wir mit Augmented Reality arbeiten“, sagt Mario Wolf, der ebenfalls einen prüfenden Blick auf den Bildschirm wirft. Damit ist gemeint, dass Bilder mit computergenerierten Zusatzinformationen versehen werden, zum Beispiel eine Überlagerung mit einem digitalen Modell der realen Anlage. In unserem Fall weist uns die App auf einen Fehler am Pumpenstand hin: An einer Stelle in dem Röhren-Kuddelmuddel fehlt ein Hebel, ohne den der Wasseraustausch zwischen den beiden Kanistern nicht möglich ist.
„Wie in einer echten Fabrik müssen wir nun schnellstmöglich ein Ersatzteil besorgen“, meint Jan Alsters und erklärt auch gleich, wie er das anstellen will: „Ganz einfach. Wir drucken uns einen neuen Hebel!“ Drucken? Einen Hebel? Nun ja, ich bin gespannt, wie das gehen soll.
Ersatzteile mit dem 3D-Drucker produzieren
Jan Alsters schraubt einen anderen Hebel ab, er soll als Vorlage für den Ersatzhebel dienen. Zusammen verlassen wir das RFID-Labor und gehen eine Tür weiter. „Hier ist unser 3D-Labor, in dem wir Virtualität und Realität einander ergänzen lassen“, sagt Mario Wolf und führt uns in einen Raum, der dem ersten von der Dimension her recht ähnlich ist.
Viele Einrichtungsgegenstände findet man hier nicht. Ein paar Schreibtische, der noch geschmückte Doktorwagen von der letzten Promotionsfeier und im hinteren Bereich ein runder Tisch, vor dem ein niedlich aussehender froschgrüner Apparat auf einem Ständer aufgebaut ist. Oben drauf sitzen noch zwei hellblaue kleine Kästen, die wie Augen aussehen. Das Ganze könnte auf den ersten Blick als freundlicher Roboter durchgehen.
„Das ist unser 3D-Scanner.“ Mit diesen Worten lüftet Mario Wolf das Geheimnis und stellt das Gerät an. Jan Alsters legt den Muster-Hebel auf eine Plexiglas-Erhöhung, die auf dem runden Tisch steht. Der Lichtstrahl des Scanners ist genau darauf ausgerichtet. Er wirft ein Streifenmuster auf das einzuscannende Objekt, anhand dessen Verzerrung ein Computerprogramm die dreidimensionale Form unseres Hebels erkennt. Etwas zeitaufwendig ist die Nachbearbeitung der Einzelaufnahmen, denn sie müssen per Hand zu einem einzigen Bild zusammengefügt werden.
Gedruckter Hebel
Nach 30 Minuten ist das Werk vollbracht, der Hebel ist digitalisiert. Diese Datei brauchen wir für den nächsten Arbeitsschritt. Dafür gehen wir in den vorderen Teil des Labors. Hier steht ein 3D-Drucker. „Der funktioniert im Grunde wie eine Heißklebepistole“, sagt Mario Wolf und startet nebenbei einen mit dem Drucker verbundenen Rechner.
„Das Material für den Druck ist diese Plastikschnur, das PLA-Filament“, erklärt er und weist auf eine kleine Kabelrolle, auf der einige Meter rote Schnur aufgedreht sind. „Der Kunststoff wird im Drucker auf 220 Grad erhitzt und dadurch zähflüssig. Dann wird das Material durch eine Düse gepresst und über den Druckarm, der sich beständig hin und her bewegt, in die gewünschte Form gebracht.“
Für den Druck unseres Hebels schichtet der Drucker Lage auf Lage feiner Plastikfilamente. Das fertige Produkt wird innen nicht massiv sein, sondern wie von einem Netz durchzogen.
Finaler Test
Ein bisschen Wartezeit muss man bei diesem Verfahren schon mitbringen, doch es geht immer noch viel schneller, als müssten wir in einen Laden fahren und den Hebel dort kaufen. Außerdem lassen sich mit dem Drucker ganz individuelle Teile, zum Beispiel Prototypen, bauen.
Nachdem der Drucker sein Werk vollbracht hat, schneidet Jan Alsters noch mit einem Cuttermesser den überstehenden Rand ab, dann ist der Hebel fertig. Er ist ganz leicht, aber ziemlich stabil. Wir gehen zurück in das RFID-Labor, um beide Hebel an die richtigen Plätze zu schrauben. Jetzt der Test – Jan Alsters dreht den Hebel. Wasser strömt von einem Kanister in den anderen. Ein eindrucksvoller Einblick in die Möglichkeiten der Industrie 4.0.
28. September 2015
10.55 Uhr