Martin Paul im Interview „Ich habe nie geplant, Wissenschaftler zu werden“
Und welche Pläne und Geheimnisse der künftige Rektor der Ruhr-Universität uns noch verrät.
Kaum, dass Prof. Dr. Martin Paul zum neuen Rektor gewählt wurde, sucht er das Gespräch mit den Menschen an der Ruhr-Universität. Im Interview erzählt der renommierte Wissenschaftler und (Noch-)Präsident der Universität Maastricht von seinen Vorbildern, welche Position er im Fußball spielen würde, warum er Bochum für eine der spannendsten Universitäten Deutschlands hält und was er sich für seine Amtszeit ab November 2021 vorgenommen hat.
Mit 17 hat man noch Träume. Was war Ihrer?
Ich wollte eigentlich praktischer Arzt werden, weil ich gut mit Menschen kann. Aber es lässt sich ja nicht alles planen im Leben. So hatte ich in Heidelberg einen Professor, der uns Studierende an seiner wissenschaftlichen Arbeit beteiligt hat, wo er nur konnte. Es ging ihm einfach nur um die Sache, da konnte jeder mitmachen und hat Anerkennung bekommen. Das hat mir die Tür zur Wissenschaft geöffnet und so habe ich diesen Weg eingeschlagen. Auch später waren es immer wieder solche zufälligen Begegnungen mit vorbildlichen Menschen, die mich inspiriert und geleitet haben.
Im Labor meines Doktorvaters war der Philosoph Karl Popper Pflichtlektüre.
Was würden Sie jungen Menschen heute raten, um ihren Weg zu finden?
Ich würde ihnen raten, ihrem Instinkt zu folgen und sich auf Menschen und Möglichkeiten einzulassen. Einige haben schon klare Vorstellungen, was sie studieren wollen. Aber viele wissen es noch nicht. Da habe ich sehr gute Erfahrungen mit Programmen gemacht, in denen man sich erst mal ausprobieren und entfalten kann. Mit einem breit aufgestellten Bachelor nach dem Vorbild der Liberal Arts and Science Colleges in den USA. Das würde ich auch für Bochum gerne diskutieren.
Im Labor meines Doktorvaters war der Philosoph Karl Popper Pflichtlektüre. Einer seiner Leitsätze ist: „Optimismus ist Pflicht. Man muss sich auf die Dinge konzentrieren, die gemacht werden sollen und für die man verantwortlich ist“. Dieser Impuls aus der Philosophie hat mich in meinem weiteren Lebensweg mindestens genauso geprägt wie das rein fachliche Studium.
In Ihrer Karriere haben Sie viel erreicht. Was war Ihr bislang freudigstes Erlebnis?
Definitiv die Wahl zum Präsidenten der Uni Maastricht. Zum einen ist das Amt schon eine große Ehre an sich. Dazu kommt jedoch, dass ich der erste deutsche Präsident einer niederländischen Universität wurde, und das war keine Selbstverständlichkeit. Man darf nicht vergessen, dass die Traumatisierung durch die Verbrechen der Nazis in den Niederlanden noch immer zu spüren ist. Als ich dann als erste Amtshandlung zum Volkstrauertag am 4. Mai einen Kranz niederlegen durfte, um der niederländischen Kriegsopfer seit Anfang des Zweiten Weltkriegs zu gedenken – das hat mich von allen beruflichen Erlebnissen wohl am meisten bewegt.
Was mich besonders reizt, ist die Gründungsgeschichte der Ruhr-Uni in einer postindustriellen Region.
Warum haben Sie sich nun für Bochum und fürs Ruhrgebiet entschieden?
Was mich besonders reizt, ist die Gründungsgeschichte der Ruhr-Uni in einer postindustriellen Region, da gibt es ja durchaus Parallelen zu Maastricht. Das bringt eine ganz besondere Innovationskultur hervor, den Willen zum Wandel, der auch in der als Reformuniversität gegründeten Uni Bochum stark angelegt ist.
Dazu kommt die direkte Art der Menschen hier. Man kommt schnell ins Gespräch im Ruhrgebiet. Das ist etwas, was ich sehr schätze. Dieser besondere Spirit in Bochum ist mir bereits als Mitglied der Gutachterkommission in der letzten Exzellenzrunde sehr positiv aufgefallen. Auch wenn Bochum es knapp nicht geschafft hat: Die RUB ist anders und eine der besonders spannenden Universitäten in Deutschland.
Das Ruhrgebiet insgesamt ist zudem eine der dichtesten Wissenschaftsregionen Europas mit enormen Potenzialen. Daran mitarbeiten zu dürfen – das finde ich viel interessanter, als an eine eher saturierte Uni zu gehen. Wäre ich Fußballtrainer, könnte ich nie den FC Bayern München trainieren. Ich würde lieber ein Team aus Talenten nach oben führen wollen.
Bleiben wir in der Fußball-Metapher: Sind Sie ein Angreifer-Typ?
Nein. Mein Vater war zwar ein begabter Fussballer und sogar Mittelstürmer in der Saarländischen Nationalmannschaft. Aber dafür fehlt mir das Talent. Und wenn, dann wäre ich vom Naturell her wohl eher im Mittelfeld, jemand, der das Spiel an der Basis aufbaut. Apropos Fußball in den Niederlanden: Dieser „Fußball Total“ – daran hatte ich nie so viel Freude. 75 Minuten mit maximalem Hochdruck spielen – aber in den letzten 15 Minuten kann einem dann die Luft ausgehen und man verliert. Ich habe mehr Freude an einer sorgfältigen und durchdachten Strategie im Spielaufbau. Das ist auch mein Ansatz für die Leitung einer Universität. Es kommt auf den langen Atem an, und am Ende muss man genug Punkte auf dem Konto haben.
Das Wichtigste an einer Universität sind ihre Menschen.
In Ihrer Rede vor der Wahlversammlung haben Sie ein breites Konzept von Maßnahmenfeldern Ihrer zukünftigen Rektoratspolitik vorgestellt. Welches ist Ihnen das wichtigste?
Das Wichtigste an einer Universität sind ihre Menschen. Und zwar alle Menschen: Studierende, Lehrende und Forschende, aber auch das sogenannte nichtwissenschaftliche Personal. Ich sehe die Universität als eine akademische Gemeinschaft. All diese Talente in ihrer Diversität einzubinden, neue zu finden, zu fördern und einen Sense of Community zu bilden, ist die Basis für alles. Und das schafft man nicht durch Verordnungen von oben, sondern durch Teilhabe. Auch jenseits etablierter Partizipationsprozesse kann ich mir ganz neue Wege vorstellen, wie zum Beispiel sogenannte Town Hall Meetings, in denen vor allem auch Studierende in strategische Projekte eingebunden sind. Zum Beispiel zum Thema Nachhaltigkeit. Einer meiner ersten Termine hier war deshalb auch ein Besuch im AStA und eine Fragerunde mit Studierenden, um hier direkt ins Gespräch zu kommen.
Was für Nachhaltigkeitsmaßnahmen sind denn in Maastricht durch Studierende entstanden?
In Maastricht wird das ganze Thema Nachhaltigkeit vor allem durch die Studierenden über ein Green Office gestaltet und vorangetrieben. Die machen das großartig. Ihre Strategie ist umfassend und orientiert sich an den Sustainable Development Goals. Und weil Studierende vor Ende ihres Studiums Ergebnisse sehen wollen, kommt auch was dabei heraus. So zum Beispiel neue Studienprogramme wie das Bachelor-Programm Circular Engineering, in dem die Ingenieur*innen der Zukunft auch als Nachhaltigkeitsmanager*innen ausgebildet werden.
Welche Herausforderungen sehen Sie im Bereich Diversität und Inklusion?
Um das Ideal der universitären Gemeinschaft leben zu können, ist die Diversitätskultur entscheidend. Sie muss alle wesentlichen Aspekte umfassen: Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und sexuelle Orientierung. Ziel ist vor allem die Sicherstellung von Karrierewegen durch breit gefächerte Unterstützungsmaßnahmen. Eine große Herausforderung ist nach wie vor die sogenannte Leaky Pipeline – also der über den Karriereverlauf abnehmende Frauenanteil. Bochum ist in Diversitätsfragen aus meiner Sicht bereits gut aufgestellt. Aber es gilt, sich ständig weiter zu entwickeln und Strömungen zu erkennen. Man denke hier nur an die Black-Lives-Matter-Bewegung oder das Thema Dekolonialisierung des Curriculums.
Exzellenz sollte eine Leitidee sein, die alle mitnimmt und niemanden ausgrenzt.
Die RUB ist eine forschungsstarke Universität und strebt den Exzellenz-Status an. Wie können wir das schaffen?
Zunächst: Exzellenz hat für mich vor allem etwas mit Qualität zu tun und nicht mit Elitedenken, wo man das Exzellenz-Label wie eine Monstranz vor sich herträgt. Exzellenz sollte eine Leitidee sein, die alle mitnimmt und niemanden ausgrenzt. Die RUB hat viele Charakteristika einer exzellenten Universität: Die vielen eingeworbenen Drittmittel, zahlreiche Sonderforschungsbereiche, ERC Grants und nicht zuletzt zwei Exzellenzcluster.
Aber Exzellenz misst sich nicht nur in einzelnen Erfolgen, die ja bereits exzellent sind. Man muss das ganze Bild sehen. Als Volluniversität gilt es, Forschung in allen Bereichen differenziert zu fördern. Das Bekenntnis zu den DORA-Richtlinien (Declaration of Research Assessment), die wissenschaftliche Leistung umfassender und fairer bemisst als nur in Zitationsquoten, ist ein guter Ansatz. Auf dieser Basis gilt es, kontinuierlich Stärken zu stärken und Schwächen auszugleichen. Die große Bandbereite und Vielfalt der RUB bietet da beste Möglichkeiten für inter- und transdisziplinäre Ansätze, um immer wieder neue Forschungsschwerpunkte für die großen Herausforderungen unserer Zeit auszubilden.
Bochum mit seiner enormen fachlichen Breite in den Geisteswissenschaften hat hier beste Chancen.
Die Geisteswissenschaften sind an der RUB traditionell stark vertreten. Sie lassen sich aber nicht immer in die Logik von Forschungskooperationen mit Transfereffekten einbinden …
Wissen ist natürlich ein Wert an sich. Selbstverständlich auch in der Einzelforschung geisteswissenschaftlicher Disziplinen und auch in den sogenannten kleinen Fächern. Es geht hier darum, eigenständig und innovativ in seinem Feld zu sein. In Maastricht ist es uns sehr gut gelungen, die Geisteswissenschaften sowohl in transdisziplinären Forschungen, aber eben auch in der Einzelforschung viel sichtbarer und erfolgreicher zu machen. Damit konnten wir nicht nur ihre gesellschaftliche Bedeutung herausstellen, sondern auch ihre Rolle im Fächerkanon der Universität stärken. Bochum mit seiner enormen fachlichen Breite in den Geisteswissenschaften hat hier beste Chancen und auch vielversprechende Erfolge vorzuweisen, wie zum Beispiel in den Religionswissenschaften.
Wie wichtig ist Ihnen die Nähe zu Politik und Wirtschaft im Ruhrgebiet?
Die postindustrielle Umgebung der Ruhr-Uni muss Ansporn sein, mit dem öffentlichen und privaten Sektor zum Wohl der Region zusammenzuarbeiten. Und das passiert hier ja auch bereits sehr erfolgreich: Das Worldfactory Start-Up Center, die Entwicklung des ehemaligen Opelgeländes zu Mark 51°7, aber auch die Förderung der neuen Research Center innerhalb der Ruhrallianz – all das sind herausragende Beispiele für Wandel durch Wissenschaft in Kooperation mit öffentlichem Sektor und Privatwirtschaft.
Eine Vision für die RUB sollte die Entwicklung zu einer internationalen Netzwerkuniversität sein.
Sie sind sehr international ausgerichtet. Wie wollen Sie die Internationalisierung der RUB vorantreiben?
Eine Vision für die RUB sollte die Entwicklung zu einer internationalen Netzwerkuniversität sein. Mit diesem Thema habe ich mich in den letzten fünf Jahren sehr intensiv befasst und weltweite Kontakte aufgebaut, die ich nun für die RUB nutzen möchte. Solche Netzwerke sind in jeglicher Hinsicht befruchtend und hilfreich. Ein Beispiel: Als wir in Maastricht wegen Corona die Lehre digitalisieren wollten, haben wir unsere Netzwerkpartner in Hongkong angerufen. Sie hatten bereits zwei Monate vor uns mit den Folgen der Pandemie zu tun und mussten ihren Unterricht umstellen. Ihre Erfahrungen haben uns sehr geholfen und Zeit gespart.
Solche Netzwerke sind aber auch sehr relevant für die Internationalisierung der Lehre hier vor Ort, zum Beispiel für die Schaffung neuer Double- und Joint-Degree-Programme sowie internationaler, mehrsprachiger Studiengänge. Das würde die Attraktivität der RUB im Wettbewerb um internationale Talente noch weiter erhöhen. Und damit sind wir wieder am Anfang unseres Gesprächs: Die Menschen, die passenden Talente zu finden, zu fördern und zu vernetzen – das ist die Basis für alles!
Vielen Dank für das Gespräch!