Interview Künstliche Intelligenz in der Hochschullehre?
Was bedeutet ein möglicher Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Lehre für die RUB? Wo sehen Studierende und Dozierende Vor- und Nachteile? Dies möchten Forschende vom Zentrum für Wissenschaftsdidaktik herausfinden.
Eine interdisziplinäre Projektgruppe um Dr. Peter Salden vom Zentrum für Wissenschaftsdidaktik sondiert, unter welchen Voraussetzungen durch Künstliche Intelligenz (KI) gestützte Lerndatenanalysen zu einer besseren Lehre an der RUB beitragen könnten. Ein besonders wichtiger Teil des Vorhabens KI:edu.nrw ist herauszufinden, was sich Studierende und Lehrende diesbezüglich wünschen.
KI-basierte Lerndatenanalysen (Learning Analytics) könnten beispielsweise Studierende durch individuelle Grafiken und Empfehlungen unterstützen, ihr Studium zu planen, auch wenn sie vom Studienverlaufsplan abweichen. Analysen aus Daten von Lernmanagement-Systemen wie Moodle könnten Hinweise liefern, wo die Studierenden innerhalb einer bestimmten Vorlesung in ihrem Lernprozess stehen und wie sie diesen individuell weiterentwickeln können.
Zudem evaluieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, was die Entwicklung und eine mögliche Nutzung solcher KI-gestützten Learning-Analytics-Systeme für eine Präsenzuniversität wie die Ruhr-Universität bedeuten würde. Im Interview erklärt Projektkoordinator Jonas Leschke die Hintergründe und erste Ergebnisse.
Erste Ergebnisse zeigen, dass beide Gruppen grundsätzlich offen gegenüber Learning Analytics und KI in der Lehre sind.
Herr Leschke, wie ist der aktuelle Stand Ihres Vorhabens?
Wichtig zu sagen ist vorab, dass wir einen Erprobungs- und Sondierungsauftrag haben und ergebnisoffen arbeiten. Denn in anderen Learning Analytics- und KI-Projekten hat sich gezeigt, dass von den Nutzenden Vertrauen notwendig ist, damit Systeme zur Lerndatenanalyse überhaupt verwendet werden.
Deshalb sind wir mit allen Personen, von denen Daten benötigt werden und die solche Systeme nutzen könnten, im Dialog: Bisher haben wir mit übergreifenden lehrbezogenen Gremien sowie Zusammenschlüssen von Lehrenden und Studierenden gesprochen sowie eine große Umfrage an alle Dozierenden und ein Drittel der Studierenden gesandt. Erste Ergebnisse zeigen, dass beide Gruppen grundsätzlich offen gegenüber Learning Analytics und KI in der Lehre sind. Wir haben die Befragungen aber noch nicht komplett ausgewertet.
Umgang mit Wünschen und Vorbehalten
Was erhoffen sich die Studierenden von solchen Systemen?
Studierende erwarten, dass ihre Motivation in Bezug auf das Lernen steigt, wenn sie regelmäßiges Feedback und Tipps erhalten, wie sie konstruktiv mit möglichen Lernschwierigkeiten umgehen können. Indem sie schon im Semester bei ihren Lernaktivitäten durchgehend individuelles Feedback erhalten und entsprechend nachsteuern können, hoffen die Studentinnen und Studenten, ihre Lernergebnisse zu verbessern.
Haben die befragten Studierenden auch Vorbehalte geäußert?
Als wichtigste Voraussetzung für solche Systeme nennen sie den Datenschutz. Darüber hinaus ist ihnen beispielsweise wichtig, dass Lerndatenanalysen nicht durch zusätzliche technische Systeme erfolgen, in die man sich erst mit einem gewissen Zeitaufwand einarbeiten muss.
Zudem äußerten sie Bedenken, dass möglicherweise der Leistungsdruck erhöht werden würde, wenn die eigenen Leistungen dauerhaft in Relation zu ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen gesetzt werden würden.
Mit dieser Information könnte die Universität ihr Studienangebot und die KI ihre Empfehlungen entsprechend anpassen.
Wäre das zu erwarten?
Das unterscheidet sich in der Art der Rückmeldung: Wenn die Systeme Lerndaten der Studierenden statistisch auswerten und dann die Rückmeldung geben „Schau mal, die Anderen sind schon so weit und bei dir läuft es nicht so gut“, vielleicht auch in einer grafischen Gegenüberstellung, dann wäre das möglicherweise demotivierend. Die Didaktikerinnen und Didaktiker in unserem Projekt beschäftigen sich genau mit solchen Fragen.
Motivational günstiger wäre eventuell eine konkrete Empfehlung: „Uns ist aufgefallen, dass du bei Übung Y nicht so gut abgeschnitten hast, geh doch mal in die Sprechstunde der Lehrenden, um herauszufinden, wie du das Thema aufarbeiten kannst“. Hier ist das große Schlagwort die Bezugsnorm, die bei der Darstellung der Ergebnisse gewählt wird, also ob der Lernstand der Studierenden beispielsweise mit den Lernzielen der Lehrveranstaltung abgeglichen wird, oder ein sozialer Vergleich zu den Kommilitoninnen und Kommilitonen vorgenommen wird.
Woher kommen überhaupt die für Lerndatenanalysen benötigten Daten?
Einen Teil davon hat die RUB – wie eigentlich alle Universitäten – bereits gespeichert, weil es für die Durchführung des Studiums notwendig ist. Dazu gehören Prüfungsdaten und individuelle Aktivitäten im Lernmanagement-System Moodle. Hier ist allerdings stets zu klären, ob die Verwendung für Lerndatenanalysen rechtlich zulässig ist.
Falls weitere Daten die Analyseergebnisse verbessern würden, könnten diese von den Studierenden und Dozierenden freiwillig bereitgestellt werden. Welche das sein könnten, wird noch evaluiert und muss insbesondere auch aus datenschutzrechtlicher und ethischer Perspektive bewertet werden. Hilfreich könnte beispielsweise Wissen darüber sein, ob eine Person in Vollzeit studiert oder ob sie aufgrund ihrer persönlichen Situation nur eine niedrigere Anzahl von Stunden für das Studium aufbringen kann. Mit dieser Information könnte die Universität ihr Studienangebot und die KI ihre Empfehlungen entsprechend anpassen.
Informationen zum Datenschutz
Womit sind Sie gerade noch beschäftigt?
Wir sondieren konkrete Einsatzmöglichkeiten von Learning-Analytics-Systemen innerhalb von sechs Fakultätsprojekten aus allen Fächergruppen der RUB. Dabei gucken wir in ausgewählten Kursen, welche Daten benötigt werden, um Analysen durchzuführen und welche Empfehlungen Studierenden helfen, damit sie im Semesterverlauf den Kurs besser abschließen können.
In den nächsten Semestern soll das Ganze in einzelnen realen Veranstaltungen innerhalb der Fachrichtungen Erziehungswissenschaften, Mathematik, Maschinenbau, Medizin, Neuroinformatik und Sportwissenschaften ausprobiert werden. Die Teilnahme daran ist für die Studierenden natürlich freiwillig. Im Moment läuft die dafür notwendige Infrastruktur im Testbetrieb.
Ist die Entwicklung dieser Infrastruktur auch Teil Ihres Projektes?
Ja, wobei wir hierbei intensiv mit unserem Projektpartner, der RWTH Aachen, zusammenarbeiten. Dort laufen die technischen Systeme, die wir benötigen, teilweise schon im Forschungsbetrieb. Gemeinsam arbeiten wir an der praxisorientierten Weiterentwicklung, beispielsweise für ein Rechtemanagement, über das Nutzerinnen und Nutzer die Verwendung persönlicher Daten steuern können.
Was halten die Lehrenden vom möglichen Einsatz der Learning-Analytics-Systeme?
Laut unseren Erhebungen fragen sie sich ebenfalls, ob die Nutzung solcher Systeme mehr Zeit für die Lehre erfordert. Außerdem finden die Dozierenden es wichtig, aufseiten der Nutzenden einen reflektierten Umgang mit Daten und Datenanalysen zu fördern. Damit sie wissen, was diese Analysen aussagen und welche Schlussfolgerungen man aus ihnen ziehen beziehungsweise nicht ziehen kann. Und natürlich ist auch den Lehrenden ein gutes Datenschutzkonzept wichtig.
Vorteile erwarten auch die Dozierenden durch das Feedback: darin, dass sie in einer aggregierten Form sehen, wie sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihres Kurses im Laufe des Semesters entwickeln. Lehrkonzepte können gut durchdacht und geplant sein, aber letztendlich hängt ihr Erfolg auch immer von den individuellen Studierenden ab. Die Lehrenden sehen es als große Chance, ihr Lehrkonzept während des Semesters noch besser an die Bedürfnisse der Studentinnen und Studenten anpassen zu können.
Wie würden die Studierenden und Lehrenden den aktuellen Stand ihres Studiums oder ihrer Lehrveranstaltung erfahren?
Man löst dies gewöhnlich mit Hilfe von Grafiken und Kurztexten, die Sachverhalte leicht überschaubar visualisieren – so genannten Dashboards. Wir müssen noch klären, ob es ein Dashboard an einer zentralen Stelle geben wird oder ob wir mehrere in die Lernmanagement-Programme integrieren, die dann bedarfsmäßig Rückmeldungen geben. Denkbar wäre auch, dass die Dashboards individuell anpassbar sind, damit Nutzerinnen und Nutzer auch Dinge ausblenden können, die sie stören, oder die sie als nicht hilfreich empfinden.
Für den Fall, dass ein Learning-Analytics-System eingeführt werden würde, wäre die Teilnahme daran freiwillig?
In dieser Frage ist viel Konjunktiv, der da auch genau hingehört. Wie sich einzelne Hochschulen am Ende entscheiden; ob sie sich für die Teilnahme an bestimmten Auswertungen verpflichten, ist aktuell noch gar nicht absehbar und für die RUB Teil unseres Dialogprozesses. Es hängt außerdem davon ab, wie und ob solche Systeme rechtlich abgesichert würden.
Diese letzte Frage soll das Datenschutzgutachten klären, welches wir anfertigen lassen. Eine freiwillige Nutzung ist aber eine naheliegende Option, die dann auf der Einwilligung der Studierenden basieren würde.
Wie wird das Ergebnis Ihres Projektes aussehen?
Wir werden durch unterschiedliche Publikationen berichten, welche Erfahrungen wir an der RUB gemacht haben. Aufgrund des Dialogprozesses mit den Studierenden und Lehrenden, den wir auch durch weitere Maßnahmen wie beispielsweise Fokusgruppengespräche weiterführen werden, entwickeln wir zudem eine Policy für die RUB. Für den Fall, dass sich die Studierenden und Lehrenden der RUB darauf verständigen, ein Learning-Analytics-System nutzen zu wollen, würde die Universität darin auch festlegen, welche Bedingungen für dessen Einsatz gelten würden.