Gewebeprobenanalysen zeigen den Erfolg von ukrainisch-deutscher Kooperation in der Diabetesforschung. © RUB, Marquard

Typ-2-Diabetes Ukrainische Forscherinnen trotzen dem Krieg

Vier Stunden Strom, Wasser und Heizmöglichkeit am Tag, abends Kälte und Dunkelheit. Wissenschaftlerinnen aus Kyiv arbeiten weiter und publizieren ihre Ergebnisse in einem internationalen Journal.

Unter Kriegsbedingungen ist es einem ukrainisch-deutschen Forschungsteam gelungen, neue Erkenntnisse über die Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 zu erlangen. Wissenschaftlerinnen um Prof. Dr. Larysa Natrus von der Bogomolets National Medical University in Kyiv kooperierten für die Arbeiten mit Prof. Dr. Nina Babel vom Marien Hospital Herne, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum.

Die Wissenschaftlerinnen ergänzten die Nahrung von an Typ-2-Diabetes mellitus erkrankten Ratten mit einer Kombination aus Propionsäure, einer kurzkettigen Fettsäure, die antientzündlich wirkt, und Metformin. Dabei fanden sie klare Hinweise darauf, dass diese Nahrungsergänzung dem für die Erkrankung charakteristischen Absterben der Zellen des Nervengewebes entgegenwirkt.

Insulin ist dafür zuständig, Zucker aus dem Blut in die Zellen einzuschleusen, wo er als Energieträger benötigt wird. Wenn dies, wie bei Diabetes mellitus Typ 2, nicht ausreichend funktioniert, bleibt der Blutzucker zu hoch. Eine Folge von dauerhaft erhöhten Blutzuckerwerten sind Nervenschädigungen. Diese konnten durch die Nahrungsergänzung gelindert werden.

Viertägige Anreise für Gastaufenthalt in Bochum

Von April bis Ende August 2022 führte die Postdoktorandin Yuliia Klys aus Kyiv in Bochum Messungen an Gewebeproben auf molekularer Ebene durch. „Für die Anreise hat sie vier Tage gebraucht“, berichtet Nina Babel. Währenddessen versorgte ihre Kollegin Yuliia Osadchuk, ebenfalls Postdoktorandin, die Versuchstiere in Kyiv und forschte dort weiter. Im Oktober und November haben die beiden getauscht. Inzwischen sind sie wieder in der Ukraine.

Yulia Klys (links) und Yulia Osadchuk im Institut für Forschung und Lehre in Bochum © Privat
Yulia Klys (links) und Yulia Osadchuk im Institut für Forschung und Lehre in Bochum
 
 
 

Durch ihre Analysen wollten die Wissenschaftlerinnen herausfinden, ob die Nahrungsergänzung einen Mechanismus beeinflusst, der an der Auslösung der Erkrankung beteiligt ist. Dafür untersuchten sie Gewebeproben des ventromedialen Hypothalamus. Dieser Teil des Gehirns kontrolliert mehrere lebensnotwendige Körperfunktionen, einschließlich der Nahrungsaufnahme und des Sättigungsgefühls.

„Die Dysregulation dieser Gehirnregion kann zu einer Entgleisung des Zuckerstoffwechsels führen und so Diabetes mellitus Typ 2 auslösen. Eine Art Schalter spielt dabei eine wichtige Rolle. Er steuert, ob nicht mehr funktionierende Zellbestandteile abgebaut werden, die betroffenen Zellen selbst aber weiterleben, oder ob ganze Zellen den programmierten Zelltod erleiden“, erklärt Nina Babel.

Was die Kolleginnen in Kyiv geleistet haben, war sensationell.


Nina Babel

In früheren Studien bei chronisch nierenkranken Patienten hatten Forschende um Nina Babel gezeigt, dass das Nahrungsergänzungsmittel Propionsäure antientzündlich wirkt. Davor hatte man auch in Studien bei Patienten mit Multipler Sklerose festgestellt, dass Propionsäure zu einer Verbesserung der klinischen Symptomatik führt.

Ausgehend von diesen vielversprechenden Ergebnissen hat die Arbeitsgruppe um Larysa Natrus gemeinsam mit Nina Babel den Effekt der Propionsäure auf den oben genannten Schalter im ventromedialen Hypothalamus und den Verlauf des Diabetes mellitus untersucht. „Bei an Typ-2-Diabetes erkrankten Ratten führte Propionsäure zusammen mit Metformin dazu, dass die Steuerung im ventromedialen Hypothalamus einen neuroprotektiven Effekt auslöste und so die diabetische Nervenschädigung linderte“, erklärt Nina Babel und fügt hinzu: „Was die Kolleginnen in Kyiv geleistet haben, war sensationell!“

Nachgefragt

Frau Babel, was berichten Ihre Kolleginnen aus Kyiv?

Nina Babel: Der Universitätsbetrieb läuft weiter, die Studierenden werden online unterrichtet und auch die Metro fährt wieder. Wer kann, geht zur Arbeit. Nach dem, was Yuliia Klys und Yuliia Osadchuk erzählt haben, gibt es aber nur vier Stunden Strom am Tag, parallel mit Wasser.

In dieser Zeit versuchen die Leute, ihre Wohnungen durchzuheizen. Auch dafür brauchen sie Strom. Generatoren zu betreiben können sich wegen des hohen Ölpreises nur reiche Leute leisten. Die normalen Gehälter in der Ukraine sind extrem niedrig, im Vergleich zu unseren.

Yuliia Osadchuk beschreibt fast apokalyptische Zustände. Die Atmosphäre sei bedrückend: „Um 16 Uhr wird es dunkel und du hast nichts. Kein Wasser, kein Strom, kein Licht, kein Internet. Wir müssen Kerzen oder Taschenlampen nutzen. Auch die Telefonverbindungen funktionieren nicht verlässlich, manchmal tagelang nicht.“

Du sitzt in der dunklen, kalten Wohnung und kriegst keine Informationen. Natürlich kannst du fünf Jacken übereinander anziehen, aber es ist immer noch kalt und du hast keine Möglichkeit, zu lesen, zu arbeiten und einfach den normalen Alltag zu erledigen. Nichts ist mehr planbar. Besonders schwierig ist es für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit kleinen Kindern. Aber so ist es überall, im ganzen Land.“

Förderung

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt, indem es Reisemittel zur Evaluierung der Kooperationsmöglichkeiten zwischen Deutschland und der Ukraine zur Verfügung stellt (Förderkennzeichen: 01DK20008).

Originalveröffentlichung

Larysa Natrus et al.: Regulation of the apoptosis/autophagy switch by propionic acid in ventromedial hypothalamus of rats with type 2 diabetes mellitus, in: Heliyon, 2022, DOI: 10.1016/j.heliyon.2022.e11529

Veröffentlicht

Mittwoch
08. Februar 2023
09:48 Uhr

Von

Carina Huber

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