Der Widerstand des Vatikan gegen Genderthemen geht weit zurück. © Roberto Schirdewahn

Katholische Theologie Gerechtigkeit, aber nicht für alle

Gerechtigkeit ist ein wichtiger Wert im katholischen Glauben. Die fehlende Gleichberechtigung von Frauen steht im Widerspruch dazu. Von anderen Geschlechtern ganz zu schweigen.

Vor Gott sind alle Menschen gleich. So steht es in der Bibel. Männer, Frauen, Kinder, Kranke, Gesunde, Alte und Junge. Alle sind willkommen – in der Gemeinde, aber nicht in allen Ämtern. Priesterinnen oder gar Bischöfinnen sucht man in der katholischen Kirche vergeblich. Und spätestens wenn der Begriff „Gender“ fällt, steht ein Reizwort im Raum. Wann und wo sich der Widerstand gegen den Genderbegriff formierte, hat Theologin Prof. Dr. Gunda Werner rekonstruiert. Sie leitet an der Ruhr-Universität Bochum den Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät.

Gender vs. sex

Die Unterscheidung zwischen den Begriffen „sex“ und „gender“ entstand in den 1970er-Jahren. Der englische Begriff „sex“ bezeichnet das biologische Geschlecht, der Begriff „gender“ das Geschlecht, mit dem sich eine Person identifiziert. Ein Mensch, der mit männlichen Geschlechtsmerkmalen und einem XY-Chromosomenpaar zur Welt gekommen ist, kann sich beispielsweise trotzdem als Frau fühlen. Mittlerweile liegen zudem viele Hinweise vor, dass sich das Geschlecht nicht immer eindeutig in die Kategorien Mann und Frau einordnen lässt. Das trifft nicht nur für das empfundene Geschlecht zu; auch auf biologischer Ebene gibt es Hinweise auf Zwischenformen.

„Der Urknall aus vatikanischer Perspektive hat sich 1995 bei der Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Beijing ereignet“, erzählt Gunda Werner. „Dort wurde ‚Gender‘ zum ersten Mal als Wort im juristischen Sinne verwendet. Im Abschlussdokument fand sich eine Forderung nach Gendergerechtigkeit.“ Dieses Dokument und den Prozess seiner Entstehung hat Werner im Detail zurückverfolgt. Sie schaute sich an, wer mit welchen Argumenten gegen Gendergerechtigkeit Position bezog und welche Staaten am Ende zwar formal beitraten, aber dies nur mit Einschränkungen und Ablehnungen von Passagen im Abschlussdokument.

Eine Allianz gegen den Genderbegriff

Das römische Lehramt bezieht seit 1995 klar Position gegen den Genderbegriff. Denn dieser passt nicht zu den römischen Sichtweisen, die einzig Mann und Frau als Geschlechter sowie die heterosexuelle Ehe akzeptieren. Der Vorwurf lautete, dass Gendertheorien die Familie zerstören und das Geschlecht beliebig machen würden, weil man es ständig wechseln könne und so jede Klarheit verloren ginge.

Gunda Werner war die erste Frau an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, die habilitierte. Sie weiß, wie schwer es ist, sich in diesem System als Frau durchzusetzen. © Roberto Schirdewahn

Um seine Position zu festigen, suchte sich der Vatikanstaat auf den UN-Konferenzen Verbündete – und das schon 1994 bei einer Konferenz in Kairo, bei der es um Reproduktion und Gerechtigkeit ging. Fündig wurde er bei muslimischen Ländern, beispielsweise dem Iran, die die Abschlusserklärungen ebenso kritisch sahen. Trotzdem blieb ein durchschlagender Erfolg dieser Allianz aus: Die Abschlusserklärungen 1994 und 1995 fanden viele Unterstützer in der Staatengemeinschaft. Wohl auch wegen des mäßigen Erfolgs in Kairo trat der Vatikan 1995 in Beijing nicht so offen in dem Versuch auf, Allianzen zu schmieden. „Es war aber wahrnehmbar, dass muslimische Länder und auch die neuen christlichen Rechten seine Position unterstützten“, sagt Gunda Werner.

Vatikan trägt auch Charta der Menschenrechte nicht mit

Gendergerechtigkeit, Homosexualität, Recht auf Freiheit bei der Fortpflanzung – diese Themen wurden in der Folge mit dem Begriff „Gender-Ideologie“ verknüpft. Der Vatikan wandte sich außerdem gegen die Gender Studies, also gegen den Wissenschaftsbereich, der sich mit den Themen befasste.

Würde der Vatikan die Charta unterschreiben, müsste er die Menschenrechte nach innen anwenden. Das würde bedeuten, dass er die die Diskriminierung von Frauen beenden müsste.

Auch heute, viele Jahre nachdem der Genderbegriff erstmals im Kreise der UN und damit politisch international relevant auftrat, wehren sich viele in der katholischen Kirche dagegen. Die überreligiösen und politischen Allianzen der Gegnerstaaten blieben ebenso erhalten. In der Abschlusserklärung von Beijing hatten diese Staaten all die Stellen kritisiert, an denen es um Gendergerechtigkeit und ihre Konsequenzen ging. Laut Gunda Werner ist das nicht verwunderlich, da der Vatikan schon die Charta der Menschenrechte nicht unterschrieben hatte. „Das ist in sich logisch“, so die Theologin. „Würde der Vatikan die Charta unterschreiben, müsste er die Menschenrechte nach innen anwenden. Das würde bedeuten, dass er die die Diskriminierung von Frauen beenden müsste.“

Originalveröffentlichungen
  • Gunda Werner: Judith Butler und die Theologie der Freiheit, transcript Verlag, Bielefeld 2021, S. 180–186, ISBN 9783837655070
  • Gunda Werner: Der lange Schatten des 19. Jahrhunderts. Gender-Rezeption in der römisch-katholischen Kirche seit 1994/1995. Eine theologische Diskursanalyse, in: Bernhard Grümme, Gunda Werner (Herausgebende), Judith Butler und die Theologie, transcript Verlag, Bielefeld 2020, S. 288–305, ISBN 9783837647426

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Veröffentlicht

Montag
03. April 2023
09:08 Uhr

Dieser Artikel ist am 1. Juni 2023 in Rubin 1/2023 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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