Literaturwissenschaft Neue Forschergruppe untersucht die Journalliteratur
Weg vom „buchförmigen“ Denken gehen die Mitglieder einer neuen Forschergruppe an der Ruhr-Universität. Die Journalliteratur ab dem späten 18. Jahrhundert steht im Mittelpunkt – und somit eine sehr andere Art des Lesens.
Literatur findet sich nicht nur in Büchern: Seit dem späten 18. Jahrhundert wurde häufig zuerst in Zeitschriften und Zeitungen gelesen. Diese besondere Publikationsform ist Gegenstand der literatur- und medienwissenschaftlichen Forschergruppe „Journalliteratur: Formatbedingungen, visuelles Design, Rezeptionskulturen“ an der Ruhr-Universität Bochum (RUB), die die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit 1,7 Millionen Euro für drei Jahre fördert.
Entgegen der Gewohnheit
Die Literaturwissenschaft ist es gewohnt, ihre Untersuchungsgegenstände im Buch zu suchen und buchförmig zu denken. Zeitgenössisch gelesen wurde Literatur aber, zumal seit dem späten 18. und vor allem im 19. Jahrhundert, vielfach zuerst in Zeitschriften, Zeitungen und literarischen Taschenbüchern, die auf dem explodierenden Markt miteinander und mit buchförmigen Werken um die Lesergunst konkurrierten.
Ein großer Unterschied
„Ein Unterschied!“, sagt Prof. Dr. Nicola Kaminski, Sprecherin der Forschergruppe. „Denn in journalförmigen Publikationskontexten erscheint ein Text nie allein, sondern umstellt von anderen Texten und nicht zuletzt von Bildern, an denen sich die rasante druck- und medientechnische Entwicklung ablesen lässt: Kupfer-, Stahl- und Holzstichen, seit den 1880-ern zunehmend auch Fotografien.“
Zudem werden längere Zeitschriften- und Zeitungstexte nicht am Stück gedruckt, sondern in Fortsetzungen. Schließlich entstehen um 1900 genuine Journalgattungen wie die Bildergeschichte oder der Comicstrip.
Konkurrierende Texte werden anders gelesen
Die Forschergruppe „Journalliteratur“, zu der sich sechs literatur- und medienwissenschaftliche Teilprojekte der RUB sowie der Universitäten Marburg und Köln zusammengeschlossen haben, verbindet die Überzeugung, dass Texte und Bilder im medialen Verbund anders zu lesen sind als im das Einzelwerk isolierenden Buch: mit offenen Augen für das materiale Erscheinungsbild, für die publizistische Umgebung sowie für Publikationslogiken und Erscheinungsverläufe periodischer Medien – und auch für spezifische Rezeptionsmilieus und Orte des Lesens.
Forschen an Originalpublikationen
Ausgehend von originalen Zeitungs-, Zeitschriften-, Taschenbuch- und Buchdrucken des 19. Jahrhunderts untersuchen fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie acht Nachwuchsforscherinnen und -forscher das weite Feld deutschsprachiger Journalliteratur in exemplarischen Materialausschnitten.
In der Vernetzung des Projektverbunds und in enger Zusammenarbeit mit der internationalen Journalforschung erarbeiten sie begriffliche Grundlagen zur systematischen Erforschung von Journalliteratur. So erschließen sie Neuland und eröffnen zugleich neue Perspektiven auf vermeintlich längst Bekanntes, um die Voraussetzungen für eine Medienliteraturgeschichte des 19. Jahrhunderts zu schaffen.