Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass das Unterdrücken von unerwünschten Erinnerungen nicht leichtfertig als therapeutische Strategie empfohlen werden sollte.
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Neurowissenschaft Unterdrückte Erinnerungen bei traumatisierten Geflüchteten

Krieg, Folter, Naturkatastrophen – emotionale Extremerfahrungen können zu posttraumatischer Belastungsstörung führen. Aber nicht alle Menschen sind gleich empfänglich für die Krankheit.

Was im Gehirn passiert, wenn Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) versuchen, Erinnerungen willentlich zu unterdrücken, hat ein internationales Forscherteam analysiert. Bei einem Gedächtnistest zeichneten sie mittels Magnetenzephalografie die Hirnaktivität von schwer traumatisierten Geflüchteten auf und verglichen die Ergebnisse bei Teilnehmern mit und ohne PTBS. Die Daten geben Hinweise auf die neuronalen Grundlagen von wiederkehrenden traumatischen Erinnerungen und für die Therapie.

Die Studie beschreibt das Team um Dr. Gerd Waldhauser von der Ruhr-Universität Bochum, Dr. Simon Hanslmayr von der University of Birmingham und Prof. Dr. Thomas Elbert von der Universität Konstanz gemeinsam mit Kollegen des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in der Fachzeitschrift Scientific Reports vom 3. September 2018.

Assoziationen im Versuch willentlich vergessen

An dem Versuch nahmen 24 geflüchtete Männer und Frauen teil. Elf von ihnen hatten infolge ihrer traumatischen Erlebnisse eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, das heißt, sie erleben die auslösende emotionale Situation gedanklich immer wieder. Die übrigen Probanden hatten zwar vergleichbar viele schwerwiegende traumatische Ereignisse erlebt, aber keine PTBS entwickelt.

Während ihre Hirnaktivität aufgezeichnet wurde, absolvierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Gedächtnistest, bei dem sie Assoziationen zwischen Bildern von emotional neutralen Alltagsgegenständen lernten. Aufgabe war es anschließend, einige der Assoziationen aktiv zu vergessen, andere zu behalten. Mit der Magnetenzephalografie, kurz MEG, erfassten die Forscher die sensorischen Gedächtnisspuren, die dabei entweder unterdrückt oder verstärkt wurden.

„Die Signalstärke von sehr hohen sogenannten Gammafrequenzen in Hirnregionen, die mit dem Gedächtnisabruf und der sensorischen Verarbeitung zusammenhängen, deutet darauf hin, wie stark eine bestimmte Gedächtnisrepräsentation ist“, erklärt Simon Hanslmayr.

Gedächtnisspuren blieben erhalten

Probanden ohne PTBS konnten Assoziationen erfolgreich unterdrücken. Bei ihnen waren die sensorischen Gedächtnisspuren für die willentlich vergessenen Assoziationen geringer ausgeprägt als für erinnerte Assoziationen. Anders sah es bei Probanden mit PTBS aus. Je ausgeprägter die Krankheitssymptome waren, desto schwieriger war es für die Teilnehmer, Assoziationen zu unterdrücken.

„Die MEG-Daten zeigen, dass das willentliche Unterdrücken von Erinnerungen bei Probanden mit posttraumatischer Belastungsstörung eher einen gegenteiligen Effekt hat“, sagt Hanslmayr. Die sensorischen Gedächtnisspuren von unterdrückten Erinnerungen blieben erhalten und wurden tendenziell sogar verstärkt. „Diese Ergebnisse liefern einen Hinweis auf die neuronalen Grundlagen von wiederkehrenden traumatischen Erinnerungen und auf die fehlende Gedächtniskontrolle bei PTBS-Patienten“, so Gerd Waldhauser aus der Bochumer Abteilung für Neuropsychologie.

Hinweise für die Therapie

Die Forscher weisen jedoch darauf hin, dass sie nur eine kleine Stichprobe für ihre Studie untersuchen konnten. „Diese experimentell und diagnostisch aufwendige Studie ließ sich nur mit wenigen so stark belasteten Probanden durchführen. Wir konnten allerdings dafür sorgen, dass andere Faktoren, die das Ergebnis hätten beeinflussen können – wie die Stärke von depressiven Symptomen oder die Anzahl an schweren traumatischen Erlebnissen – in den beiden Gruppen vergleichbar waren“, ergänzt Gerd Waldhauser.

Von den Ergebnissen erhoffen sich die Forscher Hinweise auf neue Strategien zur Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung sowie auf Faktoren, die Menschen vor der Krankheit schützen können. „Unsere Daten deuten daraufhin, dass die Fähigkeit zum willentlichen Unterdrücken von Erinnerungen möglicherweise vor einer PTBS schützt – oder aber dass eine PTBS zu einer schlechteren Gedächtniskontrolle führt“, sagt Waldhauser. „Gleichzeitig sollte das Unterdrücken von unerwünschten Erinnerungen nicht leichtfertig als therapeutische Strategie empfohlen werden, da es offenbar genau den gegenteiligen Effekt haben kann: Die Erinnerung verstärkt sich oder bleibt zumindest erhalten.“ Diese Phänomene müssten weiter erforscht werden, um in präventiven oder therapeutischen Strategien münden zu können.

Förderung

Die Arbeiten wurden gefördert von dem Swedish Research Council (VR 435-2011-7163), dem Young Scholar Fund der Universität Konstanz (83946931), dem Europäischen Forschungsrat (ERC-2012 AdG 323977 und Grant-Agreement-Nummer 647954), der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 874 sowie der Projekte DFG HA 5622/1-1 und AX82/2-1 und von der Wolfson Society und Royal Society.

Originalveröffentlichung

Gerd T. Waldhauser, Martin J. Dahl, Martina Ruf-Leuschner, Veronika Müller-Bamouh, Maggie Schauer, Nikolai Axmacher, Thomas Elbert, Simon Hanslmayr: The neural dynamics of deficient memory control in heavily traumatized refugees, in: Scientific Reports, 2018, DOI: 10.1038/s41598-018-31400-x

Pressekontakt

Dr. Gerd Waldhauser
Abteilung Neuropsychologie
Institut für Kognitive Neurowissenschaft
Fakultät für Psychologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 28170
E-Mail: gerd.waldhauser@rub.de

Veröffentlicht

Montag
03. September 2018
11:21 Uhr

Von

Julia Weiler

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