Neuropsychologie Warum die Spinne im Keller mehr Angst macht als im Therapieraum
Gelernte Ängste loszuwerden ist schwierig. Neue Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Umgebung, in der wir die Angst erlernt haben, auch eine entscheidende Rolle beim Verlernen spielen könnte.
Wenn wir etwas lernen, können wir es normalerweise in jedem neuen Kontext wieder abrufen: Wer in Frankreich Autofahren gelernt hat, kann das auch in Deutschland. Der Kontext spielt dann eine Rolle, wenn es darum geht, Gelerntes wieder loszuwerden. „Wer in der Psychotherapiepraxis die Spinnenangst erfolgreich überwunden hat, ist oft doch wieder starr vor Angst, wenn er im eigenen Keller einer Spinne begegnet“, erklärt Prof. Dr. Nikolai Axmacher, Neuropsychologe an der Ruhr-Universität Bochum. Er und sein Team nutzen Einblicke in die Tiefe des Gehirns über implantierte Elektroden, um diesem Effekt auf die Spur zu kommen. Darüber berichtet Rubin, das Wissenschaftsmagazin der Ruhr-Universität Bochum, in der Sonderausgabe zum Thema Extinktionslernen.
Elektroden im Gehirn leiten Ströme ab
Was passiert im Gehirn, während wir etwas lernen oder wenn wir umlernen? Diese Fragen verfolgen die Forschenden einerseits mit funktioneller Kernspintomografie an gesunden Versuchspersonen. Eine höhere Zeitauflösung und direktere Einblicke gewinnen sie jedoch durch intrakranielle EEG-Ableitungen, bei denen elektrische Signale der Nervenzellen im Gehirn direkt durch Elektroden gemessen werden, während die Versuchsperson an einem Experiment teilnimmt.
Um diese Methode anwenden zu können, kooperiert Axmachers Team mit der Ruhr-Epileptologie im Knappschaftskrankenhaus Bochum unter der Leitung von Prof. Dr. Jörg Wellmer. Der Neurologe behandelt Patientinnen und Patienten, deren Epilepsie nicht durch Medikamente in den Griff zu bekommen ist. Um den operativen Eingriff genau planen zu können, müssen die Spezialist*innen zunächst exakt herausfinden, wo der Ursprung der epileptischen Anfälle der Betroffenen verortet ist. Dazu setzen sie in die verdächtigen Gehirnregionen Elektroden ein, die die elektrische Aktivität in diesen Bereichen messen. Dann beginnt eine Zeit des Wartens auf epileptische Anfälle unter Beobachtung. Während dieser Wartezeit in der Klinik lädt das Team des Sonderforschungsbereichs geeignete Patientinnen und Patienten zu einem Lernexperiment ein.
Elektrogeräte in billigen Hotels
Um die Kontextabhängigkeit von Lernen und Umlernen zu untersuchen, hat sich das Forschungsteam eine aufwändige Geschichte rund um eine Touristin ausgedacht, die verschiedene Orte bereist und dort auf defekte oder intakte Elektrogeräte trifft. Schnell lernen die Versuchspersonen, welche Geräte in welchen Kontexten defekt sind und bei der Touristin einen erschreckten Schrei auslösen, der als aversiver Reiz dient. In einem zweiten Durchgang bereist die Frau andere Ziele, und Geräte, die zuvor defekt waren, sind nun intakt. Die spannende Frage: Was erwarten die Proband*innen von diesen Elektrogeräten an ganz neuen Reisezielen?
50 Versuchspersonen mit implantierten Elektroden konnten in die Studie eingeschlossen werden. Die bisherigen Ergebnisse überraschten die Forschenden beispielsweise damit, dass sie im Widerspruch zu ähnlichen tierexperimentellen Untersuchungen standen.