Politik und Studium Den Mut haben, mitzumischen
Noch immer fehlen Frauen in der Kommunalpolitik. Der Weg dorthin ist steinig. Ein Kooperationsprojekt macht Studentinnen Mut, sich politisch einzubringen.
Charlotte Auel und Clara Bückert studieren Sozialwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Politisches Interesse haben beide. Wie sie den Weg in die Kommunalpolitik finden, wussten sie zunächst nicht. Während Clara erste Eindrücke bei der Stadt Essen sammeln konnte, war Charlotte vor allem in der Hochschulpolitik aktiv. Für das Studium vom Schwarzwald ins Ruhrgebiet gezogen, fehlten ihr Kontakte in die Bochumer Kommunalpolitik.
Im Wintersemester 2021/22 hat Charlotte dann am Programm „Misch‘ dich ein – mach Politik vor Ort“ teilgenommen. Clara ist in diesem Winter dabei. Praxisnah und im Austausch mit Politikerinnen erfahren Studentinnen hier, wie sie sich kommunalpolitisch engagieren können. Im Gespräch berichten Clara und Charlotte, was sie aus dem Programm mitnehmen, welche Hürden immer noch für Frauen existieren und warum Mut so wichtig ist für politisches Engagement.
Wie seid ihr auf das Programm aufmerksam geworden?
Charlotte Auel: Eine Arbeitskollegin von der Koordinationsstelle Gender Studies hat mich auf das Programm aufmerksam gemacht und ermutigt, daran teilzunehmen.
Bereits jetzt kann ich jedoch sagen, dass ich sehr dankbar dafür bin, mitzumachen.
Clara Bückert
Clara Bückert: Auch ich hatte das Glück, dass unterschiedliche Leute mir gesagt haben: „Clara, das ist genau dein Ding. Mach da mit!“ Von mir aus hätte ich mich vermutlich nicht beworben. Ich habe mein Studium, zwei Nebenjobs und bin ehrenamtlich aktiv, da konnte ich mir nicht vorstellen, wann ich die Kommunalpolitik noch unterbringen soll. Bereits jetzt kann ich jedoch sagen, dass ich sehr dankbar dafür bin, mitzumachen.
Wart ihr schon vor dem Programm in irgendeiner Form politisch aktiv?
Charlotte: Ich war hochschulpolitisch als studentisches Mitglied im Senat aktiv. Das Bedürfnis, etwas verändern zu wollen, hatte ich aber schon vorher. Da ich in Bochum niemanden kannte, der kommunalpolitisch aktiv ist, fehlten mir hier jedoch die Anschlusspunkte.
Clara: Ich bin über mein Praktikum im Europabüro der Stadt Essen auf die Kommunalpolitik aufmerksam geworden. Ich wusste vorher nicht, was mich erwarten würde, fand es dann aber so interessant, dass ich meine Bachelorarbeit über das Thema „Europäisierung von Kommunen“ geschrieben habe.
Care-Arbeit wurde durchweg als große strukturelle Hürde identifiziert.
Charlotte Auel
Frauen haben in der Politik immer noch nicht die gleichen Chancen wie Männer. Welche Hürden konntet ihr im Programm ansprechen?
Charlotte: Für unser Mikroprojekt haben Hannah Schütt und ich Interviews mit Kommunalpolitikerinnen geführt. Care-Arbeit, die häufig noch Frauen übernehmen, wurde durchweg als große strukturelle Hürde identifiziert. In den Kommunalparlamenten sind kaum Politikerinnen im Alter von 30 bis 45 Jahren vertreten, also dem Alter, in dem viele Personen sich entscheiden, Kinder zu kriegen. Auch die Sitzungszeiten sind ein Problem. Sie finden nachmittags statt, wenn die Schule zu Ende ist und auch bei anschließenden informellen Treffen, bei denen Netzwerke gepflegt werden, sind Frauen selten dabei.
Clara: Beim Auftaktseminar in Berlin haben wir auch darüber gesprochen, dass Frauen tendenziell mehr Selbstzweifel haben. Viele Politiker treten sehr laut und selbstbewusst auf, was einschüchternd wirken kann.
Charlotte: Ja, und auch sexistische Äußerungen kommen vor, wenn zum Beispiel mit dem Aussehen einer Frau argumentiert wird. Außerdem werden Frauen häufiger unterbrochen. Es ist schwierig, sich in so einer Atmosphäre wohlzufühlen.
Nach dem Auftaktseminar in Berlin habt ihr den Landtag in Düsseldorf besucht. Was habt ihr dort gemacht?
Charlotte: Im Landtag durften wir an einer Sitzung des Ausschusses für Gleichstellung und Frauen teilnehmen. Spannend fand ich, welche Argumentationsstrukturen die unterschiedlichen Parteien nutzen und wie Kritik von der Opposition vorgetragen wird. Anschließend durften wir das Programm „Misch‘ dich ein – mach Politik vor Ort“ vorstellen.
Ich hatte das Gefühl, dass das Programm vor allem bei Politikerinnen großen Anklang gefunden hat.
Clara Bückert
Clara: Ich hatte das Gefühl, dass das Programm vor allem bei Politikerinnen großen Anklang gefunden hat. Sie konnten die angesprochenen Hürden für Frauen in der Kommunalpolitik sehr gut nachvollziehen und haben uns am Ende dazu ermutigt, weiter den Weg in die Politik zu gehen.
Im Anschluss konntet ihr euch noch mit Lorenz Bahr, Staatssekretär im Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW, und Birgit Wehrhöfer, Abteilungsleiterin des Ministeriums, austauschen. Was nehmt ihr aus diesem Gespräch mit?
Charlotte: Der Staatssekretär war lange Zeit im Stadtrat in Wuppertal aktiv und hat uns erzählt, wie er die Dynamiken dort wahrgenommen hat. Auch er hat das Problem der Sitzungszeiten angesprochen, die sich schlecht planen lassen und parallel zu Familie und Beruf laufen. Die Kinderbetreuung während der Sitzungszeiten müsse deshalb verbessert werden. Als Tipp gab er uns mit auf den Weg, dass wir uns nicht unter Druck setzen lassen sollen, bei allen Terminen anwesend sein zu müssen. Stattdessen sei es sinnvoller, vor allem die Termine zu den Themen wahrzunehmen, die einem persönlich wichtig sind.
Ich habe gelernt, dass man sich auch für eine Partei engagieren kann, wenn einem manche Sachen auf bundespolitischer Ebene nicht gefallen.
Clara Bückert
Clara: Ich habe gelernt, dass man sich auch für eine Partei engagieren kann, wenn einem manche Sachen auf bundespolitischer Ebene nicht gefallen. Der Staatssekretär konnte uns versichern, dass das ganz normal sei. Statt eine Partei zu suchen, mit der man in allen Punkten übereinstimme, sei auch hier wichtig, Schwerpunktthemen zu finden. Später könne man zudem versuchen, mit der eigenen Arbeit in der Partei Akzente zu setzen.
Und welches kommunalpolitische Thema liegt euch am Herzen?
Charlotte: Ein wichtiges kommunalpolitisches Thema ist für mich Gleichstellung und Diversität. In allen Parteien gibt es noch Verbesserungsbedarf und das Thema muss in die Gesellschaft getragen werden. Auch den Bereich Umwelt und Verkehr finde ich interessant, weil auf kommunaler Ebene viele spannende Projekte umgesetzt werden.
Clara: Ich bin noch etwas in der Findungsphase. Grundsätzlich interessiere ich mich für das Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft und die Vermittlung von demokratischen Werten. Hierzu kann auch die Kommunalpolitik einen wichtigen Beitrag leisten. Wie Menschen politisches Interesse entwickeln und unterschiedliche Gruppen in einer Kommune an Entscheidungsprozessen beteiligen werden können, sind spannende Fragestellungen.
Spannend war, dass es ganz unterschiedliche Wege in die Kommunalpolitik gibt.
Charlotte Auel
Bei „Misch‘ dich ein“ entwickeln die Studentinnen auch eigene politische Mikroprojekte. Worum geht es in euren Projekten?
Charlotte: Gemeinsam mit meiner Kommilitonin Hannah habe ich das kommunalpolitische Freundinnenbuch ins Leben gerufen. Ziel war es, mit Kommunalpolitikerinnen über ihre individuellen Wege, Hürden und gewünschten Maßnahmen zu sprechen. Dank des Programms konnten wir Kontakte zu Kommunalpolitikerinnen aus unterschiedlichen Parteien aufnehmen.
Spannend war, dass es ganz unterschiedliche Wege in die Kommunalpolitik gibt – über Jugendorganisationen, persönliche Netzwerke, wenn aus dem Freundeskreis bereits jemand in einer Partei ist, oder aber über ein politisches Thema, das die Person besonders bewegt. Die genannten Hürden und gewünschten Maßnahmen waren fast überall gleich. Ganz oft wurden eine Frauenquote, eine paritätische Doppelspitze und mehr Programme wie „Misch‘ dich ein“ gewünscht.
Clara: Auch mein gemeinsames Projekt mit meiner Kommilitonin Hanna Schömann nimmt langsam Gestalt an. Geplant ist eine Veranstaltung für Studierende, in der wir zeigen wollen, wie viel Entscheidungsmacht eine Kommune hat. Hierzu laden wir Kommunalpolitikerinnen ein, um mit ihnen über ihre Erfahrungen und Begeisterung für Kommunalpolitik zu sprechen. Die Veranstaltung trägt als Aufmacher den Titel „Nix Berlin! Bochum Mitte, oder wat?“. Damit wollen wir verdeutlichen, dass nicht nur in der Bundespolitik, sondern auch in der Kommunalpolitik viel entschieden werden kann.
Das Wichtigste ist, die Motivation und den Mut zu finden, den ersten Schritt zu wagen.
Clara Bückert
Muss ich denn etwas Bestimmtes mitbringen, wenn ich kommunalpolitisch aktiv werden will?
Clara: Das Wichtigste ist, die Motivation und den Mut zu finden, den ersten Schritt zu wagen. Ich muss am Anfang nicht alles über Kommunalpolitik wissen, aber ich muss überlegen, wo ich anfangen möchte. Vielleicht gibt es ein bestimmtes Thema, für das ich mich engagieren möchte, oder ich gehe zu einem Treffen einer Partei oder zivilgesellschaftlichen Gruppe.
Charlotte: Ich glaube, man darf keine Angst davor haben, Fehler zu machen. Blöde Situationen sollte man nicht sofort auf sich selbst beziehen, denn oft steckt dahinter ein strukturelles Problem. Es ist deshalb wichtig, vor allem mit anderen Frauen in der Kommunalpolitik Netzwerke zu schaffen, um sich über Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam Lösungsstrategien zu entwickeln.
Durch das Programm habe ich sehr viel Selbstbewusstsein und Mut bekommen, auch mal etwas auszuprobieren.
Charlotte Auel
Warum könnt ihr das Programm „Misch‘ dich ein – mach Politik vor Ort“ empfehlen?
Charlotte: Durch das Programm habe ich sehr viel Selbstbewusstsein und Mut bekommen, auch mal etwas auszuprobieren. Man lernt, dass man in Aufgaben hineinwachsen kann und dass politisches Engagement vielfältig ist. Ob in einer Partei oder Gewerkschaft, hochschulpolitisch oder aktivistisch – es gibt ganz viele Wege, sich einzubringen.
Ich habe mich nach dem Programm entschlossen, einer Partei beizutreten und mein hochschulpolitisches Engagement zu vertiefen. Im Bochumer Beirat für Frauen, Geschlechtergerechtigkeit und Emanzipation durfte ich meine Bachelorarbeit zum Thema „Frauen mit Migrationsbiographie in der Kommunalpolitik“ vorstellen. Das wäre alles ohne „Misch dich ein“ nicht so möglich gewesen.
Clara: Allein am ersten Wochenende in Berlin habe ich so viel Unterstützung, Wertschätzung erfahren und konnte mich persönlich weiterentwickeln – ganz gleich, ob ich jetzt in die Kommunalpolitik gehe oder nicht. Nichtsdestotrotz brauchen wir mehr Frauen in der Politik – also macht alle mit!