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Hilfe zur Selbsthilfe
In Ruanda kam es vor 20 Jahren zu einem beispiellosen Völkermord, der bis zu einer Million Menschen das Leben kostete. Zu den größten Problemen des Landes gehörte die schlechte medizinische Versorgung danach, denn es gab viel zu wenige Ärzte. Eine Gruppe von Medizinern der RUB etablierte kurze Zeit später das Projekt „Hilfe zur Selbsthilfe“. Ihr Ziel: die Weiterbildung von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten in Ruanda. Prof. Dr. Stefan Dazert, Direktor der Hals-Nasen-Ohren (HNO)-Klinik der RUB, ist neben dem Präsidenten des HNO-Berufsverbandes, Dr. Dirk Heinrich, einer der Leiter des Projektes. In Rubin erzählt er von seinen Erfahrungen vor Ort.
Herr Dazert, wie viele HNO-Ärzte gab es in Ruanda 2009, als Ihr Projekt startete?
Als wir 2009 die Vorbereitungen für unser Projekt trafen, arbeiteten fünf HNO-Fachärzte in Ruanda. Diese waren alle in den Nachbarländern Ruandas, zum Beispiel in Kenia oder auch in Südafrika ausgebildet worden. Damit kam ein HNO-Arzt auf etwa zwei Millionen Einwohner.
Was haben Sie und Ihre Kollegen unternommen, um diese dramatische Situation zu verbessern?
Bis 2010 bestand in Ruanda kein Weiterbildungsprogramm für das Fach Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Durch Gespräche mit dem Gesundheitsministerium, der Medizinischen Fakultät und weiteren offiziellen Stellen in der Gesundheitsversorgung konnten wir ein „Master of Medicine Program“ (MMP) vereinbaren. Dieses sieht vor, dass ruandische Ärzte über vier Jahre ein festgelegtes Curriculum durchlaufen und zu HNO-Ärzten weitergebildet werden.
Dazu wurden im Juli 2010 die ersten vier Assistenzärzte am Universitätsklinikum der Hauptstadt Kigali eingestellt. In den Folgejahren wurden weitere Ärzte in dieses Programm aufgenommen, so dass derzeit neun Assistenten weitergebildet werden. Im Sommer 2014 bestanden zwei Kollegen das Abschlussexamen und sind somit die ersten in Ruanda ausgebildeten Fachärzte für HNO-Heilkunde. Inzwischen haben zwei weitere Ärzte die Weiterbildung erfolgreich abgeschlossen.
Reisen Ärzte der RUB auch selbst nach Ruanda, um die Ärzte dort weiterzubilden?
Ja, in der Vergangenheit reisten Ärzte der Bochumer HNO-Klinik und auch Kollegen aus anderen deutschen Städten nach Kigali. Die Vereinbarung mit der Republik Ruanda sieht vor, dass dreimal im Jahr Teams aus Deutschland, bestehend aus zwei HNO-Ärzten und gegebenenfalls einer Operationsschwester, in das Land reisen, um vor Ort Vorlesungen zu halten, Operationen durchzuführen und auch in der Ambulanz Weiterbildungsarbeit zu leisten.
Ruanda hat sich verpflichtet, für die reisenden Teams die Kosten der Unterbringung und Verpflegung vor Ort zu übernehmen. Die Flüge und verschiedene medizinische Geräte und Materialien wurden unter anderem durch den „Rotary Club Bochum-Rechen“ finanziert. Eine Vergütung im Sinne eines Honorars erfolgte nicht.
Können Sie sich noch an Ihren ersten Aufenthalt in Ruanda erinnern?
Sehr gut sogar. Wir erreichten den relativ kleinen internationalen Flughafen von Kigali in den Abendstunden, und auf dem Weg vom Flugzeug zur Abfertigungshalle nahmen wir als erstes den Geruch von Holzfeuer war, der über der gesamten Stadt schwebte. Die Menschen bereiteten ihr Abendessen vor. Bei allen weiteren Besuchen war dies immer die erste Sinneswahrnehmung und gibt mir inzwischen das Gefühl, in eine vertraute Umgebung zu kommen.
Wir wurden im Gästehaus des Klinikums untergebracht. Alles war sehr einfach, aber sauber, so dass wir uns dort wohlfühlen konnten. Im Krankenhaus fanden wir allerdings ein relativ ungeordnetes System vor. Viele Patienten warteten vor der Ambulanz, und es war nicht klar, wann sie behandelt würden. Die Liste der zu operierenden Patienten reichte bis ins nächste Jahr und dennoch war im Operationsbereich keine Struktur zu erkennen, wie dies abgearbeitet werden könnte.
Es gab also neben der strukturellen Planung des MMP viele praktische Dinge zu überlegen, die im Wesentlichen mit der Patientenversorgung zu tun hatten: Organisation von Operationstagen und entsprechenden Zeiten im Zentral-OP, Training der OP-Schwestern, Beschaffung von Untersuchungs- und Operationsinstrumenten sowie von Verbrauchsmaterialien, Training der Hygienemaßnahmen …
Kann man sich darauf vorbereiten, was einen am Einsatzort erwartet?
Man bereitet sich selbstverständlich anhand von Literatur auf die Kultur und Mentalität der Menschen in einem anderen Land vor, das man besuchen möchte. Die wesentlichen Dinge lernt man aber durch die Erfahrungen und die Tätigkeiten vor Ort.
Ein sensibles Thema in Ruanda ist die schreckliche Zeit des Genozids vor rund 20 Jahren. Jeder Kollege, mit dem wir zusammenkamen, hat dies selber in der einen oder anderen Art miterlebt. Jede Familie war oder ist davon betroffen. Es gibt insgesamt eine zurückhaltende Gesprächsbereitschaft über dieses Thema, das aber dennoch stets präsent ist, zum Beispiel in Form von Museen und Gedenkstätten im Land.
Nach unserem ersten Besuch wussten wir, welche Dinge in der Klinik am nötigsten gebraucht wurden und konnten vieles aus Deutschland mitbringen. Entscheidend war aber die systematische Weiterbildung im Fach HNO-Heilkunde und die Ausbildung der Krankenschwestern im OP, wobei wir besonderen Wert auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den ruandischen Kollegen vor Ort gelegt haben.
Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit in Ruanda von der, die Sie hier in Deutschland machen?
Zunächst einmal muss man akzeptieren, dass unsere Arbeitskonzepte in Deutschland nicht eins zu eins nach Afrika transferiert werden können. Bei uns wurden über viele Jahre klinische Standards entwickelt, die eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung in allen Bereichen der Medizin ermöglichen. In Ruanda müssen vielfach erst die Voraussetzungen für eine solche Versorgungsstruktur geschaffen werden. Neben den spezifischen Fachkenntnissen sind besondere Anstrengungen in den Bereichen Klinikorganisation, interdisziplinäre Zusammenarbeit, Hygiene, Patientenmanagement, Instrumentenkunde etc. erforderlich. Auch eine fachspezifische Ausbildung des Pflegepersonals, insbesondere im OP-Bereich gehört zu den vornehmlichen Aufgaben.
Diese Einsätze sind bestimmt mit viel Aufwand für die Ärzte verbunden. Warum nehmen Sie diese Mühe auf sich?
Die Initiative zu diesem Projekt entstand über einen persönlichen Kontakt meines Vorgängers, Herrn Prof. Henning Hildmann, zu dem damaligen ruandischen Botschafter in Deutschland. Ein Kontakt, der ursprünglich über „Rotary“ zustande kam und zu einer umfangreichen Unterstützung dieser Aktivitäten durch den „Rotary Club Bochum-Rechen“ geführt hat.
Neben dem Wunsch, für die Menschen in Ruanda eine effiziente HNO-Versorgung zu etablieren, hatten wir auch ein großes Interesse an einer akademischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit der Universität von Ruanda. Aus dieser Zusammenarbeit entstand sowohl das MMP als auch eine
wissenschaftliche Kooperation mit verschiedenen Vorträgen und Publikationen sowie der erste HNO-Kongress mit internationaler Beteiligung in Kigali. Zusätzlich wurde in diesem Jahr den ersten beiden Fachärzten ein Besuch an der HNO-Klinik der RUB ermöglicht.
Wie reagieren die Bewohnerinnen und Bewohner Ruandas auf Ihr Hilfsangebot?
Die Patienten legen lange Wege zurück, um im Rahmen des Projektes Hilfe für ihre Beschwerden zu erfahren. Gemeinsam mit den ruandischen Kollegen werden dann auch komplizierte Krankheitsbilder behandelt und anspruchsvolle Operationen durchgeführt, die zu Ausbildungszwecken unter Anleitung und gemeinsam erfolgen.
Vonseiten der Teilnehmer des MMP und der Kollegen der medizinischen Fakultät erfahren wir großes Engagement für das Projekt und Dankbarkeit für die von uns geleistete Arbeit. Insbesondere der Dekan fördert unsere Aktivitäten nach besten Möglichkeiten und unterstützt unter anderem den Aufbau eines Lehr-OPs. Auch hier fanden in den letzten Jahren Besuche und Vorträge in Deutschland zu verschiedenen Kongressen statt. Das mittelfristige Ziel dieser Zusammenarbeit ist eine eigenständig universitäre HNO-Klinik in Ruanda und der kontinuierliche akademische Austausch mit gemeinsamen wissenschaftlichen Projekten mit der RUB im Sinne einer Partner-Universität.
24. August 2015
09.55 Uhr