
Verena Krebs ist Spezialistin für Mittelalterliche Kulturräume und ihre Verflechtungen.
Geschichte
Verena Krebs sprengt die Grenzen der mittelalterlichen Welt
Die Historikerin betrachtet Europa und Afrika als Teile eines größeren, verflochtenen Kosmos des Mittelalters.
Zum 1. Juli 2025 beruft die Ruhr-Universität Bochum Dr. Verena Krebs zur Professorin für die Geschichte mittelalterlicher Kulturräume und ihrer Verflechtungen. Die Historikerin hat einiges vor: Sie hat sich der Erkundung von bislang weniger erforschten Regionen der mittelalterlichen Weltkarte verschrieben – allen voran Afrika. „Meine Arbeit bewegt sich zwischen Diplomatie-, Kultur- und Politikgeschichte, Kunstgeschichte, Quellenkritik und Wissenschaftsgeschichte – und versucht, vermeintlich Randständiges ins Zentrum zu rücken.“
Das Projekt ist eine Lebensaufgabe – und nicht ohne Herausforderungen. Denn Krebs musste bislang nicht nur in ihrer Arbeit mit historischen Quellen mitunter neue Wege gehen. Auch in der modernen Forschungsgeschichte begegnen ihr oft überholte Stereotype und teils gefährliche Vorurteile über den afrikanischen Kontinent und seine vorkoloniale Geschichte. Die 40-Jährige nimmt es sportlich: „Da gibt es jede Menge aufzuarbeiten – aber gerade darin liegt ja auch der Reiz.“
Sie entdeckte Erstaunliches
Entdeckt hat Krebs ihre Faszination für diese vermeintlichen Randgebiete der Welt des Mittelalters zu Studienzeiten, in einem Seminar zu Kreuzzügen aus nicht-europäischer Sicht. Besonders Berichte von afrikanischen Reisenden hatten es der Studentin damals angetan: „Ich war fasziniert: Äthiopier im 12. und 13. Jahrhundert in Jerusalem – davon hatte ich gar nicht gewusst!“ Die junge Forscherin beschloss, der Sache weiter auf den Grund zu gehen. Und sie entdeckte Erstaunliches: Entgegen landläufig etablierten Geschichtsbildern hatte im Mittelalter am Horn von Afrika ein christliches Großreich existiert, das seinen europäischen Glaubensgenossen offenkundig in nichts nachstand und schon um 1400 n. Chr. eigene Gesandtschaften nach Venedig und Rom, später auch nach Valencia, Neapel und Lissabon geschickt hatte. „Ich war vollkommen verwirrt“, erinnert sich Krebs. „Warum hatte ich vorher nie davon gehört?“
Vieles davon ist aus heutiger Sicht historisch nicht haltbar. Einiges ist schlicht rassistisch.
Heute weiß sie, dass das kein Zufall war: „Das Bild von diesem Teil Afrikas als abgeschottetem, Europa unterlegenem Kontinent wurde maßgeblich von italienischen Historikern der 1930er- und 1940er-Jahre geprägt“, erklärt Krebs. „Vieles davon ist aus heutiger Sicht historisch nicht haltbar. Einiges ist schlicht rassistisch.“ Sie befasste sich stattdessen selbst mit den Quellen. Und die zeigten ein ganz anderes Bild: Antworten auf die afrikanischen Gesuche sind unter anderem in europäischen Sprachen wie Latein, Italienisch oder Katalanisch erhalten; Aufschluss geben aber auch arabische Texte und Quellen in Ge’ez, der alten Kultursprache Äthiopiens und Eritreas. Anders als in der bisherigen geschichtlichen Literatur geht aus ihnen aber nicht hervor, dass die afrikanischen Herrscher die Europäer ehrfürchtig um Technologie und Waffen anflehten. Vielmehr treten die äthiopischen Könige darin selbstbewusst und auf Augenhöhe auf: „Äthiopien war im 15. und 16. Jahrhundert ein christliches Großreich. Man entsandte Delegationen nach Europa, nicht etwa zum Betteln um militärische Allianzen, sondern um religiöse Schätze wie Reliquien ins Land zu holen“, erzählt sie.
Wenn der erste Dominostein fällt
Ihre ein Jahrzehnt währende Arbeit, die Verena Krebs während der Corona-Pandemie in einem binnen weniger Monate geschriebenen Buch zusammenfasste, stieß international auf Begeisterung. 2022 wurde ihre Forschung mit dem renommierten Dan-David-Preis ausgezeichnet. Es folgten weitere Publikationen, darunter ein Einführungsband zur mittelalterlichen Geschichte Äthiopiens und Eritreas sowie zahlreiche Einzelstudien zu vergessenen Kunstgegenständen, Raubkunst und Restitution, problematischen Geschichtsbildern. „Die neue Sicht auf die Dinge hat einen starken Paradigmenwechsel bedeutet, wie er nicht alle Tage vorkommt“, sagt sie. „Es gibt viel zu tun – es ist, wie wenn der erste Dominostein fällt und immer weitere folgen.“
Längerfristig plant Krebs an ihrem Lehrstuhl zu erforschen, wie in Äthiopien Geschichte konstruiert wurde. Im 15. und 16. Jahrhundert griffen äthiopische Herrscher, ähnlich wie in der europäischen Renaissance, gezielt auf antike Geschichte zurück, um ihre eigene Herrschaft ideologisch zu untermauern. Im 19. und 20. Jahrhundert wiederum beriefen sich die Kaiser auf eine teils imaginierte mittelalterliche Vergangenheit, um aktuelle politische Ziele zu legitimieren – ein Phänomen, das starke Parallelen zum europäischen Mediävismus aufweist.
Bochum sei dafür genau richtig, „weil man hier schon vor acht Jahren daran geglaubt hat, dass Mittelalterforschung und Afrikanistik Raum in der deutschen Wissenschaftslandschaft haben können“, sagt Verena Krebs.