Gerissene Bänder und verschlissene Gelenke sind nicht das einzige Problem im Hochleistungssport.
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Hochleistungssport Warum Athletinnen häufig an Essstörungen leiden

Figur, Gewicht und Aussehen spielen in ästhetischen Sportarten eine große Rolle. Nicht selten haben die Athletinnen eine Essstörung. Aber ist daran wirklich die Sportart schuld?

Hochleistungssportlerinnen, die ästhetische Sportarten ausüben, sind besonders gefährdet, eine Essstörung zu entwickeln. Der sportliche Druck bezogen auf Figur, Gewicht und Aussehen spielt dabei eine Rolle. Zu diesem Schluss kommt Dr. Pia Thiemann in ihrer Promotion an der RUB, in der sie sich mit Risikofaktoren für Essstörungen unter Hochleistungssportlerinnen auseinandersetzte.

Im Vergleich zum Ballsport

Die Psychologin verglich Daten von 108 Athletinnen, darunter Olympiateilnehmerinnen, mit Daten von 108 Nicht-Athletinnen vergleichbaren Alters. 62 der Athletinnen waren Ballsportlerinnen, 46 waren in ästhetischen Sportarten aktiv, zum Beispiel Rhythmische Sportgymnastik oder Synchronschwimmen.

Innerhalb von zwölf Monaten sammelte die Forscherin zweimal Interview- und Fragebogendaten zum Essverhalten und zu potenziellen Risikofaktoren. Außerdem erfasste sie Körpergröße und Gewicht der Teilnehmerinnen.

Vermehrt Essstörungen

Im Einklang mit Ergebnissen aus früheren internationalen Studien zeigten die getesteten deutschen Athletinnen aus ästhetischen Sportarten häufiger gestörtes Essverhalten als die übrigen Teilnehmerinnen. 17 Prozent von ihnen erfüllten die Kriterien einer Essstörung, während das nur bei drei Prozent der Ballsportlerinnen und bei zwei Prozent der Nicht-Sportlerinnen der Fall war.

Ist dieses Phänomen wirklich durch die Sportart bedingt? Für jede Teilnehmerin ermittelte Pia Thiemann, wie stark bestimmte Risikofaktoren auf sie zutrafen. Die Befragten berichteten, ob sie gesellschaftlichen Druck empfinden, dem westlichen Schlankheitsideal zu entsprechen, und sportlichen Druck in Bezug auf Figur, Gewicht und Aussehen. Außerdem erfasste Thiemann, ob sie ein Schlankheitsideal verinnerlicht hatten oder unzufrieden mit dem eigenen Körperbild waren.

Druck durch sportspezifische Körperideale

In einer statistischen Analyse ermittelte die Forscherin, welche der Faktoren helfen, gestörtes Essverhalten nach zwölf Monaten vorauszusagen. Das Ergebnis: Junges Alter und sportlicher Druck bezogen auf Figur, Gewicht und Aussehen waren Risikofaktoren in der Gruppe der untersuchten Athletinnen.

Nicht die Teilnahme an ästhetischen Sportarten per se ist ein Risikofaktor für gestörtes Essverhalten, sondern der dort zum Teil vorherrschende Druck, dem sportspezifischen Körperideal zu entsprechen.

Nicht nur eine Ursache

„Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass der Sport die einzige Ursache für die Entwicklung einer Essstörung ist“, gibt Thiemann zu bedenken. „Aber die Ergebnisse verdeutlichen, dass Hochleistungsport einen negativen Einfluss auf das Essverhalten und die Einstellung der Athletinnen haben kann.“

Es ist notwendig, diese Probleme im Spitzensport aktiv anzugehen.


Pia Thiemann

Die Längsschnittdaten zeigten, dass sowohl Risikofaktoren als auch gestörtes Essverhalten stabile Charakteristika der Athletinnen waren. „Es ist notwendig, diese Probleme im Hochleistungssport aktiv anzugehen und Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, weil sich gezeigt hat, dass die Probleme über die Zeit hinweg stabil sind“, sagt die Psychologin. Offizielle Anstrengungen seien nötig, um den sportlichen Druck auf die Athletinnen zu reduzieren.

Zur Person

Pia Thiemann studierte Psychologie in Münster, wo sie auch die Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie absolvierte. Als Psychotherapeutin und Forscherin, spezialisiert auf mentale Gesundheit und Essstörungen, arbeitete sie unter anderem in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der RUB im Landschaftsverband Westfalen-Lippe.

Seit 2013 lebt und arbeitet Thiemann in Cambridge. Parallel zu ihrer Arbeit am Institute of Public Health and Primary Care der Universität Cambridge setzte sie ihre Promotion fort, die sie in Bochum begonnen hatte. Die Doktorarbeit wurde unterstützt von der Schweizerischen Anorexia-Nervosa-Stiftung sowie durch das Programm zur Förderung besonderer Aktivitäten von Doktoranden und Doktorandinnen der RUB. Im Juli 2016 legte Pia Thiemann ihre mündliche Prüfung ab.

Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

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