Interview Wie rational sind Tiere?
Sie nutzen Werkzeuge, erkennen sich im Spiegel, identifizieren englische Wörter: Wie schlau Tiere wirklich sind, ist Gegenstand der Forschung.
Der Biopsychologe Dr. Felix Ströckens und der Philosoph Dr. Tobias Starzak haben gemeinsam einen internationalen Workshop zum Thema „Wie rational sind Tiere“ ausgerichtet. Meike Drießen hat mit den beiden gesprochen.
Jeder, der ein Haustier hat, unterstellt ihm planvolles Vorgehen – zum Beispiel ein bestimmtes Verhalten, um Futter zu erpressen. Ihr Arbeitsgebiet ist also ein stark emotional besetztes, oder?
Tobias Starzak: Ja und nein. Es gibt verschiedene Typen von Menschen: Die einen, die extrem tierfreundlich sind, neigen dazu, Tieren menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Andere wollen einen Unterschied zwischen Mensch und Tier feststellen. Das sollte man jedoch draußen lassen. Es ist daher wichtig, einen gewissen Abstand zu wahren.
Felix Ströckens: Wenn man selbst mit Tieren arbeitet, sollte man unbedingt versuchen, seine Emotionen auszublenden. Viele Tiere sind sehr gut darin, den Experimentator zu beobachten und herauszufinden, was er sich von ihnen wünscht. Das kann die Daten in einem Versuch verfälschen. Das Problem ist, dass man unbewusst durch seine Körpersprache Signale aussendet, die das Tier zum gewünschten Ergebnis leiten können. Das lässt sich eigentlich nur umgehen, indem man sich beim Versuch ganz heraushält. Das geht zum Beispiel mit Tauben, mit denen wir häufig arbeiten, indem man sie in ein Versuchs-Setup setzt, in dem sie nur mit einem Touch Screen interagieren können.
Was ist es, was den Menschen in dieser Hinsicht so besonders macht?
Tobias Starzak
Welchen Fragen gehen Sie denn konkret nach?
Ströckens: Wir arbeiten vor allem mit Tauben und Rabenvögeln und versuchen herauszufinden, was sie leisten können und was die Grundlagen für diese Leistungen sind. Warum sind einige Tiere schlauer als andere? Tauben eilt ja nicht gerade der Ruf voraus, intelligent zu sein – viele sehen sie eher als lästigen Ungezieferwirt. Es hat sich aber herausgestellt, dass sie zum Beispiel schriftliche englische Wörter erkennen können. Sie können zwar nicht lesen oder die Wörter verstehen, aber sie können zuverlässig unterscheiden, ob es sich bei etwas um ein real existierendes Wort handelt oder nicht.
Starzak: Ich bin vor allem am Unterschied zwischen Mensch und Tier interessiert. Wir haben also eine anthropologische Perspektive, nicht so sehr eine ethische. Bei aller Klugheit der Tiere gibt es ja auch ganz offensichtliche Unterschiede – wir Menschen fliegen zum Beispiel zum Mond. Das kann kein Tier. Wenn wir aber anerkennen, dass manche Tiere über weit entwickelte kognitive Fähigkeiten verfügen, stellt uns das vor ein Erklärungsproblem: Was ist es, was den Menschen in dieser Hinsicht so besonders macht?
Also wirft man durch den Forschungsgegenstand Tier auch immer einen Blick auf den Menschen?
Ströckens: Wir müssen uns fragen: Was vergleichen wir da eigentlich? Problematisch ist, dass wir mit ganz schwierigen Begriffen arbeiten. Der Begriff Intelligenz ist zum Beispiel nicht sehr gut definiert und eher auf den Menschen ausgerichtet. Wir teilen daher die kognitiven Fähigkeiten in kleine Domänen ein und versuchen, diese einzeln zu testen.
Man muss dabei auch bedenken, dass Tiere auch von ihrem Körperbau her sehr unterschiedlich sind, was Auswirkungen auf die Experimente haben kann. Ein Beispiel: Nur weil ein Tier keine Hände hat und daher bestimmte Dinge nicht tun kann, dürfen wir noch nicht daraus schließen, dass es dazu kognitiv nicht in der Lage ist. Vielleicht kann es die bestimmte Aufgabe nur nicht umsetzen, weil ihm das entsprechende Körperteil fehlt.
Starzak: Man muss sich vorsehen, wie man Ergebnisse aus Experimenten interpretiert. Häufig gibt es verschiedene Erklärungen. Eine spannende philosophische Frage ist: Wie geht man mit verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten um?
Ein anderes Problem ist, dass man möglichst nicht voreingenommen an Untersuchungen mit Tieren herangehen sollte. Wir neigen häufig dazu, den Menschen als Goldstandard zu sehen und alles, was davon abweicht, als defizitär zu bewerten. Aber jede Spezies kann irgendetwas besser als andere, etwas anderes aber vielleicht schlechter. Wir sollten daher vorsichtig sein, wenn wir Unterschiede wertend interpretieren.
Die eigene Haltung bestimmt also letztlich über das Ergebnis einer Studie mit?
Ströckens: Man darf experimentelle Daten nicht überinterpretieren und muss verschiedene mögliche Erklärungen in Betracht ziehen. Ein Beispiel ist die Tatsache, dass sich einige Tiere, wie Elstern oder auch Elefanten, selbst im Spiegel erkennen können. Das hat man festgestellt, indem man sie mit einem Farbtupfer versehen hat an einer Stelle ihres Körpers, die sie ohne Spiegel nicht sehen konnten. Wenn sie sich dann im Spiegel gesehen haben, haben sie nicht das Spiegelbild, sondern sich selbst geputzt. Aber darf man das wirklich – wie damals geschehen – als Selbsterkennen im Sinne eines Bewusstseins von sich selbst interpretieren? Das ist heute sehr umstritten.
Nur besonders gute Leistungen sind publicitywirksam.
Felix Ströckens
Vorsehen muss man sich auch, weil man selbst natürlich gern möchte, dass das untersuchte Tier etwas besonders gut kann. Wenn man länger mit einem Tier zusammenarbeitet, entsteht zwangsläufig eine Bindung. Und die Tiere, die im Versuch besonders gut sind, sind immer die Lieblinge.
Nur besonders gute Leistungen sind außerdem publicitywirksam. Wer will schon weiterlesen, wenn es heißt „Tauben können kein Englisch lernen“? Da sind wir wieder bei dem Punkt, dass man seine Emotionen ausblenden muss.
In Ihrem Workshop ging es auch um die Untersuchungsbedingungen als solche und ihren Einfluss auf das Ergebnis.
Starzak: Manche Dinge lassen sich eigentlich nur im Labor untersuchen. Aber in Laborversuchen kann es immer sein, dass ein Tier sich anders verhält als in seiner gewohnten Umwelt. Das kann Ergebnisse verfälschen – es könnte zum Beispiel durch die ungewohnte Situation verwirrt sein. Vor allem bei negativen Ergebnissen sollte man die künstliche Laborsituation als mögliche Erklärung in Betracht ziehen.
Ströckens: Welches Tier fühlt sich im Labor schon wohl? Aber nur so können wie verfälschende andere Einflüsse ausblenden. Wenn wir das Tier in freier Wildbahn beobachten, wissen wir ja nicht, ob vielleicht zwei Bäume weiter ein Fressfeind sitzt und das Tier irritiert.
Trotzdem sind Beobachtungen in der Natur wichtig. Wir sind uns einig, dass es eigentlich nur mit beidem zusammen gut funktioniert.
Lässt sich die Rationalität von Tieren mit der Beschaffenheit ihres Gehirns erklären?
Ströckens: Die Eins-zu-eins-Zuordnung einer Fähigkeit zu einem klar definierten Gehirnareal ist nur schwer möglich. Es gibt allerdings Korrelationen bestimmter Fähigkeiten zu bestimmten Gehirnregionen. Das wird zurzeit näher untersucht. Viele der höheren kognitiven Funktionen sind mit dem präfrontalen Kortex oder seinem Äquivalent in Vögeln assoziiert.
Die Arbeit schärft den Blick und die Wertschätzung für das, was Tiere können.
Felix Ströckens
Es scheint so, dass seine Größe und die Anzahl der Nervenzellen in diesem Areal mit den kognitiven Fähigkeiten einer Spezies korrelieren. Auch die Gesamtzahl von Nervenzellen im Kortex scheint wichtig zu sein. Hier ist der Mensch ganz oben im Ranking, und viele Tiere gliedern sich in Abhängigkeit ihrer kognitiven Fertigkeiten dann dahinter ein.
Hat sich Ihre Einstellung zu Tieren durch Ihre Arbeit verändert?
Ströckens: Ja, sehr. Ich habe zum Beispiel viel über Krähenvögel gelesen, gelernt und viel mit ihnen gearbeitet. Und wenn ich rausgehe, ertappe ich mich dabei, wie ich gezielt nach Krähen Ausschau halte und schaue: Was machen die da gerade eigentlich? Die Arbeit schärft den Blick und die Wertschätzung für das, was Tiere können, ganz dramatisch.
Starzak: Die Beschäftigung mit Tieren weckt auf jeden Fall die Neugier, aber auch die Wertschätzung für Dinge, die einem sonst vielleicht banal erscheinen würden.
Wie profitieren Biologen von Philosophen und umgekehrt?
Starzak: Unsere philosophische begriffliche Vorarbeit wird durch die Arbeit der Biologen ergänzt. Unser Projekt „Wie rational sind Tiere“, das die Thyssen-Stiftung finanziert hat, ist zwar abgeschlossen, die Zusammenarbeit soll aber weitergehen.
Ströckens: Oft ist es so, dass wir aufgrund von Experimenten etwas unterstellen und die Kollegen dann sagen „Moment!“. Dann entwickeln wir neue Experimente. Es ist eine ungemein hilfreiche Kooperation.