Viele Kinder weltweit erfahren nicht die Fürsorge, die sie für ein problemloses Heranwachsen benötigen würden.
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Psychologie Die Folgen von Vernachlässigung im Kindesalter

Eine Langzeitstudie begleitet seit den 1990er-Jahren Menschen, die aus rumänischen Heimen adoptiert wurden. Die Ergebnisse könnten auf viele Kinder weltweit zutreffen.

Stark vernachlässigte Kinder, die in jungen Jahren viele Entbehrungen ertragen müssen, leiden auch im frühen Erwachsenenalter noch unter den psychologischen Konsequenzen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die eine Gruppe von adoptierten Kindern begleitet, welche in den 1990er-Jahren aus rumänischen Heimen in britische Familien kamen.

Die Autoren, unter ihnen auch RUB-Forscher Prof. Dr. Robert Kumsta, gehen davon, dass die Ergebnisse für eine große Zahl von Kindern relevant sein könnten, die heute überall auf der Welt vernachlässigt heranwachsen – wegen Krieg, Terrorismus oder Fluchterfahrung.

Im Heim vernachlässigt

In den Heimen lebten die rumänischen Kinder in den 1990er-Jahren unter extrem schlechten hygienischen Bedingungen, hatten wenig zu essen, kaum persönliche Fürsorge und bekamen selten soziale oder kognitive Anreize. Bis zu 43 Monate hatten die Studienteilnehmer unter diesen Bedingungen verbracht. In Großbritannien kamen sie nach der Adoption in stabile, sozioökonomisch gut aufgestellte Familien, die sich liebevoll kümmerten und sie unterstützten.

Die Forscher verglichen Daten von rumänischen Adoptivkindern, die weniger oder mehr als sechs Monate im Heim verbracht hatten, und stellten ihnen eine Gruppe von Kindern gegenüber, die innerhalb von Großbritannien adoptiert worden waren. Die Ergebnisse berichtet das Team um Prof. Dr. Edmund Sonuga-Barke vom King’s College in London in der internationalen Top-Zeitschrift „The Lancet“.

Dauer der Heimerfahrung entscheidend

Wie lange die Kinder im Heim gelebt hatten, war ein entscheidender Faktor für ihre künftige psychische Gesundheit. Rumänische Adoptivkinder, die weniger als sechs Monate im Heim verbracht hatten, waren psychisch ähnlich gesund wie die britische Vergleichsgruppe. Anders war es mit rumänischen Adoptivkindern, die mehr als sechs Monate in einer Einrichtung gelebt hatten. Soziale, emotionale und kognitive Probleme begleiteten sie ihr Leben lang.

Zum Beispiel zeigten sie autistische Züge, der soziale Umgang mit anderen fiel ihnen schwer, sie waren unaufmerksam oder überaktiv. Außerdem erreichten sie ein schlechteres Bildungsniveau und waren häufiger arbeitslos.

Mögliche genetische Schutzfaktoren

Eines von fünf längerfristig im Heim untergebrachten Kindern hatte allerdings keinerlei psychische Probleme. „Wir wissen immer noch sehr wenig darüber, warum einige der Kinder trotz extremer Vernachlässigung keine Spätfolgen zeigen“, sagt Robert Kumsta. „Wir planen derzeit Untersuchungen, um genetische und epigenetische Faktoren zu identifizieren, die möglicherweise schützend wirken.“

Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

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