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Wenn verschiedene Gehirne sprechen
Kein Gehirn ist wie das andere. Bei manchen Menschen ist es ein bisschen größer oder ein bisschen schwerer als bei anderen, manche haben mehr graue, andere mehr weiße Substanz. In wissenschaftlichen Studien werfen Hirnforscher am Ende der Datenerhebung üblicherweise alle Gehirne in einen Topf und bilden einen Mittelwert. Nicht so Patrick Friedrich. Der Doktorand in der Arbeitseinheit für Biopsychologie interessiert sich für die Unterschiede zwischen den Gehirnen verschiedener Personen. Aber nicht nur auf anatomischer Ebene. Mit der funktionellen Kernspintomografie erfasst er auch Unterschiede in der Hirnaktivität.
Unterschiedlich große Hirnaktivität
Einen Fokus legt Friedrich auf das Broca-Areal. Es ist für die Produktion von Sprache verantwortlich und liefert den motorischen Hirnregionen Input, die den Sprachapparat mit den Stimmbändern steuern. Das Broca-Areal ist selbst dann involviert, wenn Menschen sich Wörter nur ausdenken und nicht laut aussprechen – allerdings bei verschiedenen Leuten in unterschiedlichem Ausmaß. Bei einigen erstreckt sich die Broca-Aktivierung über eine größere Fläche als bei anderen Personen. Woran das liegt, wollte Patrick Friedrich herausfinden.
Dazu schaute sich der Biopsychologe aus dem Team von Prof. Dr. Dr. h. c. Onur Güntürkün nicht nur das vorn im Gehirn liegende Broca-Areal an. Er untersuchte auch weiter hinten im Gehirn liegende Areale, die mit Sprache zu tun haben: den primären auditorischen Kortex, also die Eingangsstation für akustische Signale in der Großhirnrinde, und zwei Bereiche, die gemeinsam das Wernicke-Areal bilden, welches verantwortlich für das Wahrnehmen von Sprache ist.
Vom primären auditorischen Kortex und vom Wernicke-Areal ziehen dicke Nervenfaserbündel ins weiter vorn gelegene Broca-Areal. Kann die Masse dieser Faserbündel die unterschiedlich großen Broca-Aktivierungen erklären? Vorstellbar wäre, dass Menschen mit einer besonders stark ausgeprägten Verbindung zwischen vorderen und hinteren Arealen ausgedehntere Aktivierungen im Broca-Areal zeigen.
Neben der strukturellen Verbindung kommt aber noch ein anderer Parameter infrage: die funktionelle Verbindung. „Wir können untersuchen, wie die Aktivität des Broca-Areals in Wechselbeziehung mit der Aktivität eines anderen Areals steht“, erklärt Friedrich. So kann er zum Beispiel analysieren, ob das Broca-Areal genau dann besonders aktiv ist, wenn auch der primäre auditorische Kortex stark aktiv ist.
Um die strukturellen und funktionellen Daten zu erheben, untersuchte Patrick Friedrich 105 Probandinnen und Probanden im Kernspintomografen. Aufgabe der Teilnehmer war es, sich so viele Wörter wie möglich zu bestimmten Anfangsbuchstaben auszudenken. Als Kontrolle zeichnete der Biopsychologe die Hirnaktivität auf, während die Personen ohne bestimmte Aufgabe auf ein Kreuz schauten. „Wir haben sie gebeten, in dieser Zeit nicht an Wörter zu denken“, erzählt er. „Ob das immer klappt, können wir natürlich nicht kontrollieren.“ Da die Analyse aber deutliche Unterschiede zwischen Kontrollbedingung und Wortaufgabe hervorbrachte, sei es wahrscheinlich, dass die Probanden der Anweisung gefolgt seien.
Analyse mit sechs Einflussfaktoren
Für die Analyse fokussierte sich Patrick Friedrich auf die Aktivität im Broca-Areal, im primären auditorischen Kortex sowie in den beiden Wernicke-Regionen. Er bestimmte, wie stark die Aktivität im Broca-Areal von den drei hinten liegenden Arealen abhing. Außerdem zeichnete er strukturelle Aufnahmen des Gehirns auf und ermittelte das Volumen der Faserbündel zwischen den untersuchten Regionen.
So kamen sechs Einflussfaktoren zusammen, die das Ausmaß der Aktivität im Broca-Areal erklären könnten: die Dicke der Faserbündel vom Broca-Areal zum primären auditorischen Kortex und zu den beiden Regionen des Wernicke-Areals. Und die Stärke der funktionellen Verbindung vom Broca-Areal zu den drei hinten liegenden Sprachregionen.
Unerwartete Ergebnisse
„Wir sind davon ausgegangen, dass besonders ein bestimmter Teil des Wernicke-Areals das Ausmaß der Aktivität im Broca-Areal erklären kann. Dieser Bereich ist nämlich durch einen Hauptfasertrakt mit dem Broca-Areal verbunden“, erklärt Patrick Friedrich.
Die bisherigen Ergebnisse zeigen: Von den sechs möglichen Einflussfaktoren stach einer hervor, und es war keine strukturelle, sondern eine funktionelle Verbindung. Die Aktivität im primären auditorischen Kortex hatte den stärksten Einfluss auf das Ausmaß der Broca-Aktivität. Je stärker die Kommunikation zwischen dem Broca-Areal und dem primären auditorischen Kortex, desto größer war der aktive Anteil des Broca-Areals während der Sprachproduktion.
Aber warum ist der primäre auditorische Kortex überhaupt relevant, wenn die Probanden gar nicht laut gesprochen haben? Schließlich dachten sie sich die Wörter im Stillen aus. Eine mögliche Erklärung liefert ein Sprachmodell von Frank Guenther. Nach diesem Modell ist das Broca-Areal in zwei funktionelle Verarbeitungsschleifen eingebunden. Die erste Schleife stellt eine Verbindung vom Broca-Areal zum motorischen Kortex her, welcher die Artikulation von Sprache über die Stimmbänder initiiert. Bei der zweiten Schleife handelt es sich um einen Feedback-Loop. Mit ihm überprüft das Gehirn, ob das Gehörte identisch ist mit dem, was ausgesprochen werden sollte. Ist das nicht der Fall, sendet der primäre auditorische Kortex ein Fehlersignal.
Da sich die Probanden die Wörter nur vorstellten, gab es für den auditorischen Kortex nichts zu hören. Es müsste also ein Fehlersignal entstehen. Das Team der Arbeitseinheit Biopsychologie vermutet: Der gefundene Zusammenhang der Broca-Aktivität mit dem auditorischen Kortex beruht auf dessen Funktion als Fehlerdetektor.
Sprache ist ein dynamischer Prozess.
„Ob diese Interpretation stimmt, können wir heute natürlich nicht endgültig sagen“, erklärt Patrick Friedrich. „Nichtsdestotrotz erscheint sie sinnvoll. Sprache ist schließlich ein dynamischer Prozess. Wenn wir sprechen, warten wir auf Feedback, lauschen dem eigenen Wortfluss oder warten auf die Reaktion unseres Gegenübers.“ Diese Dynamik sieht der Forscher in den beobachteten Aktivitätsmustern widergespiegelt. Und bei jedem Menschen äußert sie sich ein wenig anders.
3. März 2017
09.20 Uhr