Vor allem ist der 1. Mai ein Feier- und damit ein freier Tag – und wenn er dann noch auf einen Montag fällt wie 2017 … © Fotolia, Marco2811

Tag der Arbeit Der 1. Mai, seine Entstehung und was davon übrig geblieben ist

Es hat mit Streiks in den USA begonnen, ausgerechnet am traditionellen Stichtag für den Abschluss neuer Arbeitsverträge. Und heute haben wir alle frei.

In wenigen Tagen feiern wir den 1. Mai. Dieser Tag der Arbeit existiert heute in den meisten Ländern der Welt, wenn auch nicht überall im Mai, sondern in den USA, Kanada und Großbritannien als „Labor Day“ am 4. September. Erstaunlich genug: Vor 100 Jahren gab es kein Land mit einem gesetzlich geschützten Tag der Arbeit, heute ist er die Regel. Sieht man von den großen kirchlichen Festen wie Weihnachten oder Ostern ab, gibt es keinen anderen Feiertag mit vergleichbarer internationaler Resonanz.

Freilich ist diese Gemeinsamkeit nur äußerlich. Je nach politischer Orientierung lassen sich sehr unterschiedliche Ziele, Parolen und Inszenierungen beobachten – von der Demonstration militärischer Macht und der Selbstinszenierung der Herrschenden in Diktaturen bis hin zu den sozialpolitischen Forderungen innerhalb pluraler demokratischer Gesellschaften.

Industrielle Revolution als Auslöser

Doch wie kam es überhaupt zu diesem Tag der Arbeit? Dazu ist eine kurze Zeitreise ins 19. Jahrhundert erforderlich, in die Epoche der großen sozialen Umbrüche, ausgelöst durch die industrielle Revolution.

Vorangetrieben wurde dieser Umbruch von den Ländern Nordwesteuropas, allen voran Großbritannien, das seinerzeit die Werkstatt der Welt war. Hier entstanden die ersten Gewerkschaften, und nicht von ungefähr schrieben Marx und Engels das Kommunistische Manifest in Kenntnis dieser Veränderungen, die sie in den urbanen Zentren, in London, Paris oder Brüssel, beobachteten.

Eine der ersten Assoziationen mit dem 1. Mai: Kundgebungen, beispielsweise von Gewerkschaften © Gemeinfrei

Doch nicht hier beginnt die Geschichte des 1. Mai, sondern in den USA, im Sehnsuchtsland von Millionen Einwanderern aus Europa. Dort gab es nicht nur das Versprechen auf Freiheit, sondern auch die Chance, dem materiellen Elend der alten Heimat zu entfliehen.

Die Vorgeschichte ist eng mit der Bewegung für den Achtstundentag verknüpft. Anders als in Europa gab in einigen Ostküstenstaaten der USA bereits in den 1870er-Jahren entsprechende gesetzliche Initiativen, schließlich sogar 1878 auf Bundesebene einen Kongressbeschluss, für Regierungsbeamte die Arbeitszeit auf täglich acht Stunden zu begrenzen.

Da sich die privaten Unternehmen dagegen wehrten, rief die American Federation of Labor 1886 zum Generalstreik auf. Nicht von ungefähr wählte man als Streikbeginn den 1. Mai, da dieser sogenannte Moving Day traditioneller Stichtag für den Abschluss neuer Arbeitsverträge war.

Am Streik beteiligten sich Hunderttausende, wobei eines der Zentren Chicago war. Dass daraus ein symbolisch überhöhter Tag wurde, hing mit blutigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Streikenden auf dem dortigen Hay Market zusammen. Das Ergebnis: Einige Polizisten und zahlreiche Arbeiter starben, sieben wurden zum Tode verurteilt, die Arbeiterbewegung erlitt eine schwere Niederlage.

Leider ebenfalls ein häufiges Phänomen am 1. Mai: Straßenschlachten. Das war vor knapp 150 Jahren in Chicago nicht anders. © Fotolia, Panaramka

Die europäischen Arbeiterparteien solidarisierten sich mit den amerikanischen Gewerkschaften, sodass es im Juli 1889 zu einem historischen Beschluss kam: Der in Paris tagende internationale Arbeiterkongress rief dazu auf, am 1. Mai 1890 in allen beteiligten Ländern Kundgebungen abzuhalten, um damit die internationale Solidarität im Kampf um bessere Lebensbedingungen sichtbar zu machen.

Führende deutsche Sozialdemokraten – August Bebel und Wilhelm Liebknecht – spielten bei der Vorbereitung eine wichtige Rolle. Der 1. Mai als weltweiter Kampftag war geboren.

Kampftag wird Feiertag

Die deutsche Entwicklung macht freilich deutlich, dass sich der Charakter dieses Tages im 20. Jahrhundert mehrfach veränderte. Hierzu nur wenige Stichworte: Bereits vor 1914 wurde aus dem Kampftag ein Feiertag mit ritualisierten Inszenierungen, ergänzt von vielfältiger Unterhaltung, sodass der führende Sozialdemokrat Karl Kautsky beklagte, „die Maifeier ist zu einem harmlosen Volksfest geworden“.

Dabei gab es noch keinen arbeitsfreien 1. Mai, das individuelle Risiko bezüglich des Verlustes des Arbeitsplatzes war hoch. Für die Gewerkschaften war deshalb der jährliche Aufruf zur internationalen Solidarität ein zweischneidiges Schwert, zumal sich der Internationalismus mit Kriegsbeginn als hohle Phrase erwies.

Zu Beginn der Weimarer Republik schien es zum großen Durchbruch zu kommen. Bereits Anfang 1919 wurde der Achtstundentag festgeschrieben und beschlossen, den 1. Mai 1919 als reichsweiten „Nationalfesttag“ zu feiern. Beides erwies sich schnell als Makulatur. Der 1. Mai als gesetzlicher Feiertag blieb auf dieses eine Jahr beschränkt, im Kampf um den Achtstundentag erlitten die Gewerkschaften eine Niederlage.

Beeindruckender Propagandacoup

Statt der 1919 euphorisch formulierten Botschaft der „Klassenversöhnung“ wurde der 1. Mai zum Spaltpilz, zum Tag militanter Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokratie und Kommunisten – spalten statt versöhnen war die traurige Folge.
Am Ende haben davon die Nationalsozialisten profitiert. Und paradox genug: Erst das NS-Regime machte diesen Tag 1933 zum reichsweiten „Feiertag der nationalen Arbeit“, landete damit einen beeindruckenden Propagandacoup.

Zugleich zerschlug das Regime bereits am 2. Mai die Gewerkschaften, was das vorläufige Ende der Arbeiterbewegung und ihrer seit 1890 entstandenen Feierrituale bedeutete. Der 1. Mai wurde zum militärisch geprägten Spektakel, das im totalitären Führerstaat dazu dienen sollte, jährlich die dem Führer verpflichtete Volksgemeinschaft zu beschwören – kritisch hinzugefügt sei, bis Kriegsbeginn nicht ohne Erfolg.

In den angelsächsischen Ländern heißt der Tag der Arbeit „Labor Day“ und wird im September gefeiert. © Gemeinfrei

Nach der Befreiung vom NS-Regime sollte der 1. Mai nach der Absicht derer, die den Terror überlebt hatten, seine Würde zurückerhalten. Doch bald zeigte sich, dass die Teilung Europas in einen sowjetisch beherrschten Osten und einen demokratischen Westen in Deutschland zu einem völlig unterschiedlichen Verständnis dieses Tages der Arbeit führte. In der DDR wurde er zum wichtigsten Tag der Agitation und zur Legitimierung der SED-Herrschaft, deren Transmissionsriemen der dortige Freie Deutsche Gewerkschaftsbund war.

In der Bundesrepublik entwickelte sich der 1. Mai zu einem Tag, an dem die Gewerkschaften Stärke demonstrierten und die Erfolge im Kampf um soziale Gerechtigkeit sichtbar machen konnten. Er war und ist zudem der Tag der Selbstvergewisserung, was nicht zuletzt in den zentralen Mai-Parolen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) deutlich wird. Sie reichen von „Völkerfrieden, soziale Sicherheit, Freiheit“ über „Samstags gehört Vati mir“ (1956) bis „Soziale Einheit in Frieden und Freiheit“ (1991) als Antwort auf die deutsche Vereinigung.

Dass diese Botschaften nur in einem geeinten Europa realisiert werden können, gehört spätestens seit der Jahrtausendwende zum Credo der Maifeiern. Oder in den Worten der Parole 2004: „Unser Europa – frei, gleich, gerecht“.

Und diesmal: Gelsenkirchen

Übrigens: Die zentrale Maifeier des DGB findet 2017 in Gelsenkirchen statt. Sie steht unter dem Motto „Wir sind viele, wir sind eins“; es greift damit indirekt die Herausforderung der Flüchtlingsintegration auf, die auch die Ruhr-Universität vielfältig beschäftigt.

Termin

Am Mittwoch, 3. Mai 2017, hält unser Autor, Altrektor Prof. Dr. Dietmar Petzina, einen Vortrag zum Thema „Der 1. Mai – Kampftag oder Feiertag? Rituale und Inszenierungen im 20. Jahrhundert“. Der Vortrag beginnt um 12 Uhr im Gebäude GB, Raum 04/86, und gehört zur Ringvorlesung „Jahrestage 2017 – ein kulturwissenschaftlicher Festkalender“ des Instituts für Deutschlandforschung.

Unveröffentlicht

Von

Dietmar Petzina

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