
Geheimnisvolle Unterwelt RUB-Forscher erkunden die Klimadynamik von Höhlen
Luftströmungen in Sturmstärke, Eiskörper, die sich wie Gletscher bewegen, sowie einzigartige Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen, die spezielle Lebensformen hervorbringen – in Höhlen ist einiges los.
In der Arbeitsgruppe Höhlen- und U-Bahn-Klimatologie haben wir im Lauf der vergangenen Jahre hochpräzise Messverfahren entwickelt, mit denen wir zum Beispiel schwächste Luftströme in U-Bahn-Schächten nachweisen können. Diese Technik setzen wir nun auch in der Höhlenforschung ein.
Die klimatologische Höhlenforschung in Bochum begann in den späten 1990er-Jahren, als wir der Einladung eines polnischen Kollegen folgten, gemeinsam Messungen in einer Höhle in den Sudeten vorzunehmen. Bis dahin hatten wir uns hauptsächlich mit der Belüftung von Städten beschäftigt. In der polnischen Höhle sollten Luftströme, die bis dahin nicht direkt messbar waren, erfasst werden – mit einem Ultraschallverfahren, das wir bereits in der Stadtklimatologie eingesetzt hatten. Die erste Messkampagne erbrachte zahlreiche neue Erkenntnisse, und die Bochumer Arbeitsgruppe wurde von den Höhlen gepackt.
Dunkle Unterwelt
Die dunkle Unterwelt stellte sich im Licht der Lampen als faszinierend dar, voll unbekannter Formen und unterschiedlichster Farben – und als unerwartet dynamisch. Die Forschung dehnte sich bald in die Tschechische Republik und Slowakei aus, aber auch die Dechenhöhle in Iserlohn – bereits durch den Bochumer Geologen Prof. Dr. Detlev Richter erforscht – wurde zum frühen Forschungsgegenstand. Die Höhlenforschung betreiben wir seither mit drei Zielen: Wir erforschen die Effekte von Klimaveränderungen, analysieren wertvolle Klimaarchive, um diese zu schützen, und tragen zum Höhlenschutz bei.
In den europäischen Höhlen widmeten wir uns insbesondere dem Nachweis von Strömungssystemen beziehungsweise der Belüftung, auch Bewetterung genannt. Dazu mussten wir sehr schwache Luftbewegungen von wenigen Zentimetern pro Sekunde messen. Früher erfolgte das indirekt über Veränderungen in der Konzentration des radioaktiven Gases Radon. Viel detaillierter gelang es uns mit Ultraschallanemometern.
Mit diesen Messungen zeigten wir zum Beispiel, wie sich das Höhlenklima ändert, wenn eine Touristengruppe durch die Höhle läuft. Durch Körperwärme und Atemluft erwärmen die Personen die Luft um bis zu zwei Kelvin, vor allem im Deckenbereich. Körperwärme und Bewegung der Gruppe sorgen außerdem für eine turbulente Vermischung der Luft und modifizieren so das natürliche Strömungssystem. Bei alldem spielt der Höhlenschutz eine wichtige Rolle; denn unser Ziel ist es, Höhlenfauna und -flora sowie die Speläotheme, etwa Tropfsteine, zu erhalten.
Genau wie in Europa lag die höhlenklimatologische Forschung zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch in den USA brach. Die letzten bedeutenden Untersuchungen in den damals zweit- und drittlängsten bekannten Höhlenystemen der Erde, Wind Cave und Jewel Cave in South Dakota, stammten aus den 1960er-Jahren. Hier hatte das Ehepaar Conn mit einfachen Messanlagen aus Holz effektiv Strömungen erfasst. Aus den Daten berechneten sie die immense Größe der Höhlensysteme von vielen hundert Kilometern, und zwar bevor diese gefunden wurden.
Im Jahr 2001 starteten wir ein Messprogramm in der Wind Cave, 2002 in der Jewel Cave. Wir installierten an verschiedenen Punkten der Höhlen Ultraschallanemometer und Sensoren, die Lufttemperatur und -feuchtigkeit aufzeichnen. Die Untersuchungen dauern bis heute an. Unsere Ultraschallmessungen bestätigten die grundlegenden Ergebnisse der Conns, die damals schon nachwiesen, dass Wind Cave und Jewel Cave barometrische Höhlen sind. Das Besondere an barometrischen Höhlen ist, dass nahezu ihr gesamtes Strömungsgeschehen durch Luftdruckschwankungen der Außenatmosphäre und Ausgleichsströmungen zwischen dieser und der Höhlenluft bestimmt wird – nicht, wie bei konvektiven Höhlen, durch Unterschiede der Lufttemperatur zwischen der Höhlenluft und der Außenatmosphäre beziehungsweise innerhalb der Höhle.
Die Voraussetzung für ein barometrisches Strömungsregime ist ein großes Höhlensystem mit einer oder mehreren kleinen Tagöffnungen, durch die der Druck- und Luftaustausch nur verzögert geschieht. Bei einem Überdruck in der Höhle strömt Luft durch alle Öffnungen nach außen, bei Unterdruck in der Höhle strömt Luft nach innen. Jede Höhle hat ihr spezifisches Strömungsmuster: Kleine Höhlen reagieren relativ rasch mit kurzen Richtungswechseln auf äußere Luftdruckschwankungen, während Strömungen in großen Höhlensystemen vergleichsweise stabil sind und langsam reagieren.
Zehnmal größer als gedacht
Das grundlegende Prinzip des Druckausgleichs hatten die Conns bereits beschrieben. Mit unseren Ultraschallmessungen konnten wir jedoch zeigen, dass alle Tagöffnungen und Blaslöcher eines barometrischen Systems identische Strömungsmuster aufweisen und sich hierdurch jedes Höhlensystem charakterisieren und gegen andere abgrenzen lässt. Hinter dem etwa zwei Meter großen Eingang der Jewel Cave liegt ein Tunnelsystem von 250 Kilometern Länge. Unsere Strömungsanalyse ergab, dass viele zuvor als unabhängig geltende Höhlen mit diesem großen Komplex verbunden sind und das bisher durch direkte Vermessungen bekannte System um das Zehnfache größer sein muss.
Neben dem Strömungsgeschehen interessieren wir uns auch für das Eis in Höhlen beziehungsweise die klimatologischen Bedingungen seines Vorkommens. Es kann in verschiedenen Formen vorliegen: exogen gebildetes Eis, zum Beispiel Schnee, der sich am Eingang sammelt, und endogenes Eis, etwa durch Wasser, das in die Höhle eindringt und dort gefriert. Die oft mehrere hundert bis tausend Jahre alten Eiskörper in den Eishöhlen sind für die Wissenschaft sehr interessant.
Das Höhleneis ist meist klar gegliedert und schichtweise übereinander gelagert. Die oft prächtig aussehenden Schichten enthalten, wie die Wachstumsringe eines Baumes, wichtige Informationen über die historischen Klimabedingungen. Eingefrorene Reste von Biomasse, Luftbläschen oder im oder auf dem Eis auskristallisierte Mineralien verraten nicht nur etwas über das Paläoklima, sondern auch darüber, wie sich die Höhle und die umgebende Fauna und Flora entwickelten.
In unserer Arbeitsgruppe erfassen wir Eishöhlen und ihre Klimatologie in verschiedenen Klimazonen. Durch besondere Höhlenmorphologien und hierdurch bestimmte Prozesse finden wir Eishöhlen in Gegenden, die nicht ganzjährig von Schnee bedeckt sind und in denen die Sommertemperaturen deutlich über dem Gefrierpunkt liegen.
Die Schellenberger Eishöhle bei Berchtesgaden – die einzige deutsche Eishöhle, die als Schauhöhle besichtigt werden kann – ist ein Beispiel. Sie liegt etwa 1.570 Meter über dem Meeresspiegel, die Temperaturen hier können im Sommer 30 Grad erreichen. Trotzdem besitzt die Höhle einen mächtigen Eiskörper, der circa 10 bis 30 Meter dick ist. Dafür spielt die Höhlenstruktur eine entscheidende Rolle: Die Tagöffnung liegt an einem der höchsten Punkte der Höhle. Der eisführende Teil fällt sackartig nach unten ab und bildet ein ideales Reservoir für die winterliche Kaltluft, sodass die Lufttemperatur im unteren Bereich der Höhle nur kurzfristig knapp über den Gefrierpunkt steigt.
Im Gegensatz zu den zahlreichen Eishöhlen in Österreich hat die Schellenberger Höhle keine menschgemachten Türen und Schleusensysteme. Das macht sie für die Forschung besonders interessant, da die strukturell bedingten Voraussetzungen für die Eisbildung unverändert blieben. Veränderungen in der Masse des Eiskörpers beruhen damit ausschließlich auf klimatischen Veränderungen. Anhand eines Laubblatts, das wir im Juli 2013 aus dem Eiskörper entnahmen, gehen wir davon aus, dass die ältesten Eisschichten mindestens 1.000 Jahre alt sind.
Lückenhafte Daten
Temperaturen und Eisstände in der Schellenberger Höhle wurden bereits von 1876 an von Eberhard Fugger und später von Fritz Eigert dokumentiert, allerdings sind die Daten lückenhaft. Um die Klimaforschung an diesem Standort zumindest in Grundzügen aufzuarbeiten, haben wir alle Originalprotokolle digitalisiert und analysiert sowie unsere eigenen Messdaten ab 2007 hinzugefügt. Die Analyse der alten Daten ergab, dass die Eismenge Ende des 19. Jahrhunderts zunahm. Nur ein starker Regenguss minderte den Zuwachs. Wir nehmen an, dass das Höhlenklima damals noch unter dem Einfluss der Kleinen Eiszeit stand, welche etwa von der Mitte des 14. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dauerte.
Zum Zeitpunkt der Untersuchungen von Fritz Eigert, 1958 bis 1978, hatte die Erwärmung des 20. Jahrhunderts anscheinend bereits eingesetzt. Obwohl wir in den Daten nicht feststellen konnten, dass es zu dieser Zeit besonders feuchte oder trockene Jahre gab, ging die Eismasse durchschnittlich um bis zu 30 Zentimeter pro Jahr zurück. Die Daten für die verschiedenen Messpunkte schwankten stark.
Dennoch können wir sagen, dass im oberen Teil der Höhle größere Variationen auftraten, während die Eismasse im unteren Teil konstanter blieb. Auffällig ist, dass es zwischen 1958 und 1978 zu einer starken Eisschmelze kam, allein 3.600 Kubikmeter in der sogenannten Angermayerhalle der Schellenberger Höhle – und das, obwohl die äußeren Bedingungen eigentlich dem Eisaufbau förderlich waren. Leider ist die Datenlage zu dünn, um zu klären, ob die Eisschmelze in der Schellenberger Höhle dem alpinen Trend der Gletscherschmelze folgte und warum es in der Höhle zu kleinräumigen Variationen in der Eisschmelze kam.
Einfluss von Extremereignissen
Unsere eigenen Messungen von Oktober 2007 bis Juni 2013 legen nahe, dass das Eis in einigen Teilen der Höhle zurückging, während die Eismasse in anderen Bereichen wuchs. Es wird noch einige Jahre dauern, bis unsere 32 selbst angelegten Messpunkte zur Eisstandserfassung klare Trends zeigen. Klar ist, dass sich die Höhle von 1876 bis 2008 weitreichend erwärmte, sodass das Eis bisher langfristig abtaut – analog zu vielen Gletschern auf der Erdoberfläche.
Aus unseren Daten wird außerdem deutlich, dass die Variation der Eismenge und Temperaturen in der Höhle in erheblichem Maße von Extremjahren beziehungsweise Extremereignissen mit viel Niederschlag oder besonders hohen oder geringen Wintertemperaturen abhängen. So scheinen die vergangenen kalten Winter in Deutschland zu einem zumindest kurzzeitigen Stopp der Eisabnahme oder an einigen Stellen sogar zu einer Zunahme an Eis in der Schellenberger Höhle zu führen.
Da im Zuge des Klimawandels in Zukunft vermehrt Extremereignisse auftreten könnten, könnte auch die Spannbreite des Höhlenklimas zunehmen. Eishöhlen bieten somit ein interessantes Forschungsgebiet, um den Einfluss der Klimaänderungen auf unsere Umwelt zu beobachten. Da die Höhlenräume im Inneren eines Berges beziehungsweise unterhalb des Bodens nur eingeschränkt bis fast gar nicht mit der Außenatmosphäre verbunden sind, bleiben deren äußere Signale gedämpft und sind nur mit einer gewissen Verzögerung von Stunden bis Jahren in der Höhle wahrnehmbar.

Anders als in der Schellenberger Höhle konnten wir bei unserer Forschung in New Hampshire im Nordosten der USA nach den ersten drei Jahren keinen Trend zum Abtauen des Höhleneises feststellen. Hier existieren in sogenannten Pseudohöhlen, in Hohlräumen unter massiven Felsblöcken, Eisvorkommen in einer Höhe von nur 600 Metern über dem Meeresspiegel. Diese – mit Durchmessern von maximal ein bis zwei Metern – kleinen Eiskörper überdauern langjährig in kleinen Höhlen, die sich zwischen Felsblöcken in mächtigen Schuttflächen an Hängen ausgebildet haben.
An verschiedenen Orten in New Hampshire überwachen wir kontinuierlich die Temperatur innerhalb und außerhalb der Höhlen und messen jährlich im Frühwinter den Eisstand. Bisher schwanken die Eismengen stark. Insbesondere warme Regenfälle oder Stürme stören das Höhlenklima; so erwärmte Hurrikan Irene
2011 die Höhlenluft deutlich. Warme, schwachwindige und trockene Perioden haben dem Eis hingegen wenig an.
Eisiger Autotunnel
Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, das Höhleneis an verschiedenen Orten der Erde im Auge zu behalten, da an jedem Standort neben dem globalen Geschehen auch die regionalen Witterungsmuster zum Tragen kommen, die teilweise deutlich vom allgemeinen Geschehen abweichen können. So charakterisieren wir auch noch an vielen anderen Orten der Welt Höhlen und ihre Eisvorkommen, zum Beispiel in Wyoming, Alaska und auf Hawaii.
Eishöhlen knapp über dem Meeresspiegel sind selten und können nur in polaren oder subpolaren Bereichen vorkommen, zum Beispiel im südlichen Mittelalaska. Ein eisgefüllter Autotunnel mit zwei nahezu verschütteten Zugängen und zwei kleinen hoch gelegenen Öffnungen stellt dort ein ideales Forschungslabor dar. Denn im Gegensatz zu natürlichen Höhlen können wir die Tunnelstruktur exakt vermessen.

Eine erste Aufnahme des erst kürzlich durch uns gefundenen knapp 200 Meter langen und 6,3 Meter hohen Raumes erbrachte fast 550 einzelne Eiskörper in verschiedenen Entwicklungsstufen. Dicht beieinander finden wir hier noch im Aufbau befindliche Eisstrukturen und schon stark gealterte Eiskörper mit bereits auskristallisiertem kryogenen Material – eine visuelle und wissenschaftliche Zauberwelt.
In Zukunft werden wir hier Gefrier-, Auftau- und Sublimationsvorgänge beobachten, wobei die Sublimation den Übergang von der festen direkt in die gasförmige Phase und umgekehrt beschreibt. Des Weiteren analysieren wir die Neubildung von Eiskristallen und die Ausbildung von Blasenstrukturen. Wir erhoffen uns zum Beispiel Hinweise darauf, unter welchen Bedingungen sich die alten Eiskörper bildeten.

Außerdem erforschen wir die am weitesten vom kontinentalen Festland entfernten Eishöhlen auf dem Mauna Loa auf Hawaii. Sie stellen ein Klimaarchiv für diese Region dar, dessen Informationen wir unbedingt vor einem eventuellen Abtauen auslesen und archivieren müssen. Auch Lavahöhlen – ohne Eis – auf Hawaii bergen Überraschungen. Bakterien, die an den Höhlenwänden Biomatten bilden und nur unter den speziellen Klimabedingungen in Höhlen existieren, könnten interessant für die Entwicklung neuer Medikamente sein.
Zur Intensivierung der Forschung auf Hawaii sind wir dabei, in Zusammenarbeit mit der Cave Conservancy of Hawaii ein Forschungs- und Lehrzentrum für Höhlenklimatologie von Lavahöhlen zu errichten. Hierzu haben wir bereits ein Grundstück über einer Lavahöhle, der Akeakamai Cave, erworben und mit dem Aufbau eines Monitoring-Systems begonnen. Einfache Unterkünfte stehen auf dem Gelände zur Verfügung. Schon drei Studentengruppen der RUB haben 2013 die Höhlen Hawaiis kennengelernt. Für die kommenden Jahre müssen wir nun die Finanzierung für den weiteren Aufbau des Zentrums sichern, um einen international anerkannten Lehr- und Forschungsraum einrichten zu können.
Übertragbar auf U-Bahn-Tunnel
Die höhlenklimatologische Forschung ist vielfältig und bietet trotz ihres Wirkens im Verborgenen wichtige Informationen für angewandte klimatologische Fragestellungen. Wie das Eis im Untergrund Informationen zum globalen Klimageschehen beinhaltet, so bieten Luftströmungen in Höhlen wichtige Hinweise für das Strömungsgeschehen in U-Bahn-Netzen, da die Tunnel von U-Bahnen sich klimatologisch ähnlich verhalten wie natürliche Höhlen. Letzteres kann im Falle eines Terroranschlages Leben retten.