Evangelische Theologie Was Reformation heute bedeutet
Menschen sollten öfter mal aus den herrschenden Denkmustern ausbrechen – so wie Luther, findet Rebekka Klein. Ein Interview.
Was verbinden Sie mit Martin Luther?
„Hier stehe ich und kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“ Martin Luthers berühmter Ausspruch auf dem Reichstag zu Worms markiert seinen radikalen Austritt aus dem, was zu seiner Zeit als unbedingt richtig und gut anzusehen ist. Dabei war Luther keineswegs unfähig, sich an die geltenden Normen zu halten. Er beanspruchte vielmehr, in einer nicht mehr beherrschbaren Ausnahmesituation zu sein, um sich diesen Normen nicht unterwerfen zu müssen.
Das war für ihn eine zutiefst befreiende Erfahrung.
Was war Ihrer Meinung nach die bedeutendste Folge der Reformation, die unsere Gesellschaft heute noch prägt?
Ich würde mir wünschen, dass auch heute Menschen den Mut und die Kühnheit besitzen, aus den herrschenden Denkmustern und Zeitgeist-Ideologien auszubrechen und kritisch ihre eigene Sicht auf das Leben zu erarbeiten. Luther konnte das, weil er sich sicher war, dass er sein Seelenheil zuletzt allein vor dem gnädigen Gott und nicht vor einer sozialen Instanz verantworten muss. Das war für ihn eine zutiefst befreiende Erfahrung. So hat er die Suche nach der Wahrheit seines Lebens kompromisslos und ohne Konformitäten begonnen.
Was glauben Sie, wie sich die christliche Kirche in Zukunft verändern wird?
Es ist schwer vorstellbar, wie eine innere Kraft zur radikalen Neugestaltung der herrschenden Machtverhältnisse in Kirche und Gesellschaft im 21. Jahrhundert anders als durch den Glauben zustande kommen könnte. Die christlichen Kirchen sollten sich daher über die Grenzen der Konfessionen hinweg darauf besinnen, dass Reformation kein Erbe ist, das darin besteht, die kulturellen Errungenschaften der europäischen Moderne zu pflegen. Reformatorisch bleiben heißt vielmehr, unserer Gesellschaft aus der Freiheit eines Lebens vor Gott neue und ganz unerwartete Impulse zu geben.