Energieforschung Strom speichern unter der Erde
Städte brauchen Strom – aber nicht immer, wenn Wind oder Sonne ihn erzeugen. Ingenieure untersuchen, wie man Überkapazitäten sinnvoll speichern kann.
Wenn es um den Strombedarf geht, denkt man zunächst angesichts knapper Ressourcen an ein Zuwenig. Tatsächlich gibt es aber auch ein Zuviel: Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr auf erneuerbare Energien gesetzt, genauer auf Strom aus Windkraft und Sonnenenergie. An so manchem Sommertag produzieren diese Anlagen so viel Elektrizität, dass sie den Bedarf übersteigt. Natürlich gibt es auch Jahres- und Tageszeiten oder Wetterlagen, in denen der Strombedarf nicht mit Wind- oder Solarstrom gedeckt werden kann. Gut wäre es daher, Überkapazitäten zu speichern und später zu nutzen. Das Problem: Es gibt so gut wie keinen Speicher.
Zwei Seen auf verschiedenen Höhen
„Wir haben dafür zurzeit nur zwei Möglichkeiten“, sagt Prof. Dr. Hermann-Josef Wagner, Inhaber des Lehrstuhls Energiesysteme und Energiewirtschaft der Ruhr-Universität Bochum, „das sind Batterien und Pumpspeicherkraftwerke.“ Da Batterien teuer und ihre Lebensdauer und Speicherkapazität begrenzt sind, bleiben Pumpspeicherkraftwerke als leistungsfähige Speichermöglichkeit übrig.
Normalerweise befinden sich solche Kraftwerke an Orten, die es erlauben, zwei Seen auf verschiedenen Höhen zu verbinden, zum Beispiel einen gestauten Fluss und einen künstlichen See auf einem Berg. Wird Strom erzeugt, der gerade nicht benötigt wird, treibt man damit Pumpen an, die das Wasser in den oberen See befördern. Bei Strombedarf lässt man das Wasser wieder herunterfließen, wobei es Turbinen antreibt, die wiederum Strom erzeugen.
Das Team von Hermann-Josef Wagner untersucht gemeinsam mit dem Team von Prof. Dr. André Niemann vom Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Universität Duisburg-Essen die Machbarkeit eines unterirdischen Pumpspeicherkraftwerks am Standort der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. Es wäre das erste weltweit. Dabei befindet sich über Tage ein künstlicher See. Anstelle eines weiteren Sees liegt der untere Wasserspeicher tief unter der Erde.
„Der Reiz an Zechenstandorten liegt darin, dass man vorhandene Infrastrukturen nutzen könnte“, so Wagner. „Man könnte zum Beispiel einen vorhandenen Stollen als Wasserspeicher umfunktionieren.“ Der oberirdische See würde auf dem Gelände der RAG-Aktiengesellschaft entstehen, das durch die bisherige Nutzung bereits so verändert ist, dass es keine Umweltschutzbedenken geben dürfte. Das würde ein Genehmigungsverfahren vereinfachen.
Die Zeche Prosper-Haniel ist noch bis Ende 2018 in Betrieb. Auch das hat Vorteile, denn nach der Schließung einer Zeche werden die vorhandenen Schächte schnell verfüllt, sodass sie nicht mehr nutzbar sind. Bereits stillgelegte Zechen kommen daher weniger als Standort infrage. Vorteilhaft ist auch, dass Prosper-Haniel nicht, wie viele andere Zechen, nur über senkrechte Schächte verfügt, sondern auch über einen schrägen Schacht mit etwa 40 Grad Neigung, über den Spezialfahrzeuge einfahren und Maschinen unter Tage bringen könnten. Denn auch die Turbinen des Kraftwerks würden in unterirdischen Kavernen installiert werden.
Als sie in der ersten Projektphase, die bis 2015 lief, diesen Charakteristika der Zeche auf den Zahn fühlten, mussten die Forscher zu ihrer eigenen Überraschung allerdings feststellen, dass es unter wirtschaftlichen Aspekten teilweise sinnvoller wäre, die vorhandenen Strukturen nicht zu nutzen, sondern neue zu bauen. „Es wäre zum Beispiel aufwendiger, wie ursprünglich geplant alte Stollen wasserdicht zu isolieren und als unterirdischen Wasserspeicher zu nutzen, als einen neuen Stollen anzulegen“, erklärt Hermann-Josef Wagner.
Ob die Nutzung des vorhandenen Schrägschachts zum Transport der Maschinen wirtschaftlich sinnvoll ist, werden Berechnungen noch zeigen; möglicherweise wäre es auch hier günstiger, neu zu bauen. „Bei diesen Fragen verlassen wir uns auf die Expertise unserer österreichischen Projektpartner, die schon unterirdische Kraftwerke gebaut haben“, so Wagner.
Was die Tiefe des unterirdischen Wasserspeichers anbelangt, hat die Projektarbeit ergeben, dass rund 500 Meter optimal wären. Zunächst hatten die Forscher auch bis zu 1.000 Meter Tiefe in Betracht gezogen. Bergbaugebiete müssen aber fortwährend und auch über das Ende des Bergbaus hinaus durch Pumpen vor eindringendem Grundwasser geschützt werden. Die RAG als Eignerin des Bergwerks Prosper-Haniel hält das Gebiet bis in 500 Meter Tiefe grundwasserfrei, und das Pumpspeicherkraftwerk sollte im Trockenen arbeiten und nicht in einer wasserfreien Blase wie bei 1.000 Meter.
Der oberirdische See, der den Berechnungen der Forscher zufolge mindestens 600.000 Kubikmeter Wasser fassen müsste, ist noch Gegenstand verschiedener Analysen: Welche Lebewesen würden sich ansiedeln? Wie tief sollte er sein? Kann man ihn im Schatten der Halde anlegen, sodass er in der Landschaft nicht zu sehr ins Auge fällt?
Letzteres könnte die Akzeptanz des Pumpspeicherkraftwerks bei der Bevölkerung beeinflussen, die ebenfalls im Projekt untersucht wird. Erste Ergebnisse: 80 Prozent der Befragten im Umfeld von Prosper-Haniel befürworten den Einsatz erneuerbarer Energien, und ebenso viele wollen, dass das Zechengelände nach dem Ende des Bergbaus für Naherholung und Kultur genutzt wird. Industrie, Gewerbe oder Energieversorgung wollen 63,7 Prozent der Befragten gern dort sehen. Unterirdische Pumpspeicherkraftwerke sind allerdings nur knapp einem Drittel der Befragten überhaupt bekannt.
In der aktuellen zweiten Projektphase wollen die Forscher weitere Interviews zum Beispiel mit Kommunalvertretern der Region führen, die die Meinungsbildung beeinflussen.
Die Ingenieure widmen sich derweil der Frage: Wie legen wir das Kraftwerk aus? Rund 40 Kubikmeter Wasser müssten pro Sekunde durch die Turbinen fließen, damit das Kraftwerk Strom zu einem konkurrenzfähigen Marktpreis erzeugen kann. Welche Art von Turbine ist am besten geeignet?
Infrage kommen zum Beispiel sogenannte Francis-Turbinen, die sowohl Strom erzeugen, wenn das Wasser durch sie nach unten fließt, aber das Wasser auch nach oben befördern können. Eine andere Möglichkeit wären Turbinen, die nur der Stromerzeugung dienen, in Verbindung mit Pumpen, die separat eingebaut werden müssten. Eine Frage der Kosten, aber auch der Flexibilität. Francis-Turbinen brauchen ein wenig länger, um vom Aufwärts- in den Abwärts-Modus umzuschalten und umgekehrt.
Zurzeit ist der Strom auf dem Markt so billig, dass niemand in Speichertechniken investiert.
Hermann-Josef Wagner
Da die Anforderungen an den Stromspeicher noch unklar sind, rechnet das Forscherteam mit verschiedensten möglichen Szenarien, damit die Entscheidung für oder gegen den Bau später auf einer soliden Grundlage getroffen werden kann. „Das Problem ist, dass zurzeit der Strom auf dem Markt so billig ist, dass niemand in Speichertechniken investiert“, erklärt Wagner. Das liegt unter anderem daran, dass noch viele ältere Kohlekraftwerke in Betrieb sind, die abgeschrieben sind und daher die Kilowattstunde Strom sehr günstig produzieren können. „Natürlich wird sich das ändern – in sechs oder sieben Jahren sieht die Lage ganz anders aus. Aber es kann niemand absehen, wie sich die Batterietechnik bis dahin weiterentwickelt, und daher auch nicht, ob man seine Investitionen wieder herausbekommt. Da ist die Politik gefragt.“ Ein wichtiges Vorhaben der laufenden zweiten Projektphase ist es daher auch, mögliche Betreiber für das Pumpspeicherkraftwerk zu finden und anzusprechen.
Hermann-Josef Wagner hofft, dass das unterirdische Pumpspeicherkraftwerk auf dem Gelände der Zeche Prosper-Haniel gebaut wird. Schon alleine, weil es das erste weltweit wäre – „eine Riesenattraktion“, sagt er. Interessenbekundungen gibt es schon reichlich, unter anderem aus China.