Transhumanismus „10.000 km/h und wir geben immer noch Gas“
Was Technikskeptikern Sorgenfalten auf die Stirn treibt, macht Christian Klaes neugierig. Ein Kommentar.
Was ist die Natur des Menschen? Diese Frage ist vermutlich so alt wie unsere Spezies. Seit dem Übergang von Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften zu Agrargesellschaften vor 12.000 Jahren greift der Mensch in großem Maßstab in die Ökologie der Erde ein. Durch Fortschritte in der Nahrungsmittelproduktion, Medizin und Gesellschaftsordnung haben wir uns rapide über alle Erdteile ausgebreitet und sind heute mit über sieben Milliarden Individuen die dominierende Säugetierart.
Unsere Bilanz kann man durchaus als gemischt bezeichnen.
Wir bauen Kraftwerke, Flugzeuge und Mikrochips – Maschinen, die biologischen Organismen in vielen Eigenschaften weit überlegen sind. Wir sind die einzige Art, die es geschafft hat, ihren Fußabdruck auf einem anderen Himmelskörper als der Erde zu hinterlassen. Andererseits sind wir auch die Art, die den bisher größten ökologischen Schaden angerichtet hat. Wir produzieren gewaltige Müllberge, verschmutzen die Ozeane und rotten dutzende andere Arten aus. Durch Nuklearwaffen sind wir auch die einzige Spezies, die sich selbst binnen kürzester Zeit vollständig vernichten kann.
Unsere Bilanz kann man also durchaus als gemischt bezeichnen. Einige Menschen sind daher der Auffassung, es sollte jetzt Schluss sein. Bei all der Zerstörung und dem Leid, die der Fortschritt geschaffen hat, solle man sich wieder auf die einfachere Welt von früher zurückbesinnen. Früher, als (vermeintlich) alles besser und die Welt noch in Ordnung war.
Transhumanismus versus Technikskepsis
Transhumanismus ist der genaue Gegenentwurf zu dieser Auffassung. Wo Technikskeptiker sagen, wir müssen Technologie abschaffen, um die Umwelt zu schützen, sagen Transhumanisten: Vielleicht können wir die Erde durch neue, bessere Technologien wieder heilen. Wo Biokonservative einen Eingriff in die natürliche Ordnung wittern, fragen Transhumanisten, warum wir nicht unsere eigenen Spielregeln festlegen dürfen.
Das gilt nicht nur für unsere unmittelbare Umgebung, sondern auch für den Menschen und die menschliche Natur selbst. Die Grenzen des eigenen Körpers und Geistes sind keine Naturkonstanten, sondern können und sollten überwunden werden. Transhumanisten kann der technische Fortschritt nicht schnell genug gehen. Schließlich will man medizinische Unsterblichkeit noch während der eigenen Lebenszeit erreichen.
Ich möchte gern wissen, wo die Reise hingeht.
Ist das denn alles überhaupt möglich oder nur Spinnerei? Viele der von Transhumanisten erhofften Technologien gibt es noch nicht und einige wird es vermutlich auch nie geben. Ich denke allerdings, wir alle können im Moment hautnah miterleben, wie sich exponentielles technologisches Wachstum anfühlt. Nach 12.000 Jahren Entwicklung sind wir sicher noch nicht am Ende angelangt. Wir sind mit 10.000 km/h unterwegs auf der Fortschrittsautobahn und geben immer noch Gas. Ich für meinen Teil möchte gern wissen, wo die Reise hingeht, und habe mich schon mal angeschnallt. Um es mit Cro zu sagen:
„Ich bin mir sicher, man kann nur gewinnen, wenn man wagt.
Die Welt ist nicht genug, ich halt’ den Finger Richtung Mars.“
(Aus dem Song „Unendlichkeit“)