Neurowissenschaft Roboterarm mit dem Gehirn bewegen

In der virtuellen Welt untersuchen Forscher die Grundlagen für die Mensch-Maschine-Zusammenarbeit.

Für Patienten, die nach einem Unfall oder einer Erkrankung halsabwärts gelähmt sind, wäre es ein ungeheurer Gewinn an Eigenständigkeit: ein Roboterarm, der sich steuern lässt wie ein eigenes Körperteil. Die Emmy-Noether-Nachwuchsforschergruppe von Dr. Christian Klaes arbeitet daran, diesen Traum wahr zu machen.

Impulse direkt aus dem Gehirn

„Einen solchen Arm darf man sich nicht vorstellen wie einen richtigen menschlichen Arm“, erklärt Klaes. „Er würde sich ein Stück entfernt vom Benutzer befinden, vielleicht befestigt an seinem Rollstuhl.“ Möglich wäre es zum Beispiel, bewährte Roboter aus der Industrie zu verwenden, die die notwendigen Freiheitsgrade haben, um auch feinmotorische Bewegungen auszuführen.

Bei gelähmten Patienten wäre es sinnvoll, drei solcher Arrays dauerhaft zu implantieren.


Christian Klaes

Die Impulse für solche Bewegungen, etwa das Heben einer Tasse zum Mund, würde der Arm direkt aus dem Gehirn des Patienten bekommen. Die Signale der beteiligten Nervenzellen kann man über kleine sogenannte Elektroden-Arrays ableiten, die den Patienten in die entsprechenden Gehirnbereiche implantiert werden. Diese elektronischen Bauteile sind vier mal vier Millimeter klein und die Elektroden etwa einen Millimeter lang. Ihr Anschluss liegt außerhalb des Schädels und wird mit einem Prozessor verbunden, der wiederum den Roboterarm steuert. Die Arrays wurden ursprünglich zur Stimulation der Netzhaut entwickelt.

„Bei gelähmten Patienten wäre es sinnvoll, drei solcher Arrays dauerhaft zu implantieren“, erklärt Christian Klaes. „Einen im Parietalkortex, einen im motorischen und einen im somatosensorischen Kortex.“ In diesen Gehirnbereichen passiert die Planung von Bewegungen, werden Bewegungen gesteuert und die Rückmeldungen der Nerven im Körper über Bewegungen und Berührungen verarbeitet.

Nachdem Klaes in den USA schon mit implantierten Patienten gearbeitet hat, warten er und sein Team noch darauf, dass die EU die Elektroden zum Steuern von Roboterassistenzsystemen zertifiziert. Sobald es so weit ist, werden sie auf die Suche gehen nach Betroffenen, die sich zu Studienzwecken implantieren lassen.

Um die virtuelle Realität herzustellen, braucht es mehrere Rechner.
© Damian Gorczany

Ein bis fünf Patienten können in die Studie aufgenommen werden. Eines der Kriterien ist eine Querschnittlähmung zwischen dem dritten und dem vierten Halswirbel. Nur dann fällt die Abwägung des Nutzens gegenüber dem Risiko positiv aus. Ihren Standort im Uniklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer haben die Forscher mit Absicht mitten im Ballungsraum Ruhrgebiet gewählt, weil sie hier sehr gut vernetzt sind und viele Patientenkontakte bekommen können. Zudem bietet das Krankenhaus mit der Neurochirurgie unter der Leitung von Prof. Dr. Kirsten Schmieder die Möglichkeit, vor Ort Elektroden ins Gehirn zu implantieren.

Bis es so weit ist, dass die ersten Patienten an Versuchen teilnehmen können, arbeitet die Nachwuchsgruppe in der Virtual Reality mit gesunden Probanden. Dabei geht es darum, die Grundlagen zu erforschen, die eine Steuerung von technischen Hilfsmitteln mithilfe der Gehirnnervenzellen ermöglichen.

Kabellose Technik

Unter anderem beschäftigen sich die Forscher damit, welche Nervenimpulse in Bewegungen übersetzt werden sollen. Die Probanden bekommen eine Virtual-Reality-Brille – demnächst kabellos für mehr Bewegungsfreiheit. Mittels verschiedener Steuergeräte – zum Beispiel Controller, die in den Händen gehalten werden, Handschuhe, oder auch per Kamera, die die Bewegungen der Hände aufnimmt – gilt es dann, verschiedene Aufgaben zu erledigen. Währenddessen können die Forscher über eine leichte und kabellose EEG-Kappe die Gehirnströme ableiten, um zu ermitteln, welche Hirnbereiche während der Aufgaben aktiv sind.

Eine andere Frage, die untersucht wird, ist, wie wichtig haptische Rückmeldungen sind, um einen Roboterarm steuern zu können. „Wer einmal mit einem betäubten Arm versucht hat, eine Tasse zu heben, weiß, wie kompliziert das ist, selbst wenn ich die visuelle Rückmeldung habe, dass ich den Gegenstand bewege“, so Klaes.

Vier mal vier Millimeter misst ein solches Elektroden-Array. Ursprünglich wurde es zur Stimulation der Netzhaut entwickelt.
© Damian Gorczany

Die Gruppe arbeitet auch mit der Epilepsie-Abteilung des Knappschaftskrankenhauses unter Leitung von Dr. Jörg Wellmer zusammen. Hier liegen Patienten, denen vorübergehend Elektroden ins Gehirn implantiert werden, die Aufschluss darüber geben sollen, in welchen Gehirnbereichen die Ursache ihres Anfallsleidens liegt. Diese Elektroden können als Nebeneffekt Aufschluss darüber geben, welche Nervenzellen bei bestimmten Bewegungen Signale aussenden.

Künstliche Intelligenz hilft Datenflut zu bewältigen

„Da unsere Virtual-Reality-Ausstattung mobil ist, können wir diese Patienten in ihren Zimmern besuchen und dort Versuche mit ihnen durchführen“, erklärt Christian Klaes. Bestimmte Elektroden liegen bei den Patienten häufig im Hippocampus, einer Gehirnregion, die mit räumlichem Gedächtnis und Navigation befasst ist. Ob und welche Signale von dort vielleicht sinnvoll nutzbar wären, um Hilfsmittel zu steuern, soll sich so herausstellen.

Um der so gesammelten Datenflut Herr zu werden, nutzen die Forscher Methoden der künstlichen Intelligenz. Einer der Doktoranden hat sich spezialisiert auf das sogenannte Deep Learning, mit dem man aus großen Datenmengen die nützlichen Informationen herausfiltern kann.

Dieses Jahr wird das Jahr der Virtual Reality.


Christian Klaes

Neben dem Traum vom Roboterarm können sich Klaes und seine Kollegen noch andere Möglichkeiten vorstellen, die gelähmten Patienten wieder zu mehr Eigenständigkeit verhelfen könnten. Ein Exoskelett, das die eigenen Arme und Beine anstelle der Muskeln bewegt zum Beispiel. „Man könnte die Muskeln auch selbst in Bewegung setzen, indem man sie über aufgeklebte oder implantierte Elektroden mittels Impulsen aus dem Gehirn dazu bringt, sich anzuspannen und zu entspannen“, sagt Christian Klaes. Allerdings würden die Muskeln unter diesen Bedingungen sehr schnell ermüden. Außerdem besteht dann die Gefahr, dass sich Patienten durch zu starke Bewegungen oder Stöße selbst verletzen, ohne es zu bemerken.

Trotz dieser Hürden sehen Klaes und sein Team optimistisch nach vorn, denn die Technik entwickelt sich rasant. „Dieses Jahr wird das Jahr der Virtual Reality“, schätzt er. „Solche Brillen werden bestimmt unter vielen Weihnachtsbäumen liegen.“

Download hochauflösender Bilder
Der Download der gewählten Bilder erfolgt als ZIP-Datei. Bildzeilen und Bildnachweise finden Sie nach dem Entpacken in der enthaltenen HTML-Datei.
Nutzungsbedingungen
Die Verwendung der Bilder ist unter Angabe des entsprechenden Copyrights für die Presse honorarfrei. Die Bilder dürfen ausschließlich für eine Berichterstattung mit Bezug zur Ruhr-Universität Bochum verwendet werden, die sich ausschließlich auf die Inhalte des Artikels bezieht, der den Link zum Bilderdownload enthält. Mit dem Download erhalten Sie ein einfaches Nutzungsrecht zur einmaligen Berichterstattung. Eine weitergehende Bearbeitung, die über das Anpassen an das jeweilige Layout hinausgeht, oder eine Speicherung der Bilder für weitere Zwecke, erfordert eine Erweiterung des Nutzungsrechts. Sollten Sie die Fotos daher auf andere Weise verwenden wollen, kontaktieren Sie bitte redaktion@ruhr-uni-bochum.de

Dokumentedownload

Veröffentlicht

Freitag
23. März 2018
09:42 Uhr

Von

Meike Drießen

Dieser Artikel ist am 27. April 2018 in Rubin 1/2018 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

Teilen