Teile des untersuchten Bergwerks sind frei von oben zugänglich. Auch andere Bereiche liegen relativ dicht unter der Oberfläche, was die Arbeit der Archäologen erleichtert. © DBM/RUB, F. Schapals/J. Schröder

Archäologie Jahrhunderte im Salz begraben

In einem alten Bergwerk im Iran sind mehrere Salzmumien aufgetaucht. Einige von ihnen stammen aus einer Zeit vor der Geburt Christi. Wer waren sie? Und wie lebten sie?

Im Nordwesten Irans machten Bergarbeiter 1993 einen zufälligen Fund, der eine ganze Reihe spektakulärer Entdeckungen einläutete. In den Salzminen nahe des Dorfes Hamzehlu in der Region Chehrābād fanden sie Teile eines Körpers, die durch die Einlagerung im Salz extrem gut erhalten waren. 2004 tauchten die Überreste eines zweiten Körpers auf. Ein Jahr später förderte eine von der Antikenbehörde veranlasste Notgrabung noch einmal zwei Salzmumien zutage. Mittlerweile sind Teile von acht Toten geborgen, die mit Haut und Haaren, Organen und sogar der Kleidung an ihrem Körper über Hunderte von Jahren im Salz konserviert blieben. Die Umstände ihres Todes und die Kultur, in der sie lebten, sind Gegenstand eines internationalen Forschungsprojekts, das Prof. Dr. Thomas Stöllner von der Ruhr-Universität Bochum koordiniert und das unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit 2010 unterstützt wird.

Thomas Stöllner forscht seit 17 Jahren im Iran und ist Experte für die Archäologie von Salzbergwerken. © Damian Gorczany
Thomas Stöllner ist Experte für die Archäologie von Salzbergwerken.

Stöllner forscht seit mittlerweile 17 Jahren im Iran, wo er oft selbst vor Ort ist und inzwischen auch die Landessprache spricht. „Nach dem Iran-Irak-Krieg waren die RUB und das Deutsche Bergbau-Museum mit die ersten Institutionen, die im Bereich Archäologie wieder im Iran geforscht haben“, erzählt der Wissenschaftler. Seit 2005 ist er in das Projekt bei Chehrābād involviert. Nachdem das Gebiet unter Schutz gestellt wurde, fanden umfangreiche Grabungsarbeiten statt.

Bergwerk wanderte an die Erdoberfläche

Dort, wo auch im 21. Jahrhundert noch Steinsalz abgebaut wurde, gab es bereits 700 vor Christus ein Bergwerk, das kontinuierlich bis 400 nach Christus betrieben wurde. „Die iranische Salzmine von Douzlākh bietet einmalige Erkenntnischancen“, erklärt Thomas Stöllner. „Teile des alten Bergwerks sind von oben zugänglich, was üblicherweise nicht der Fall ist.“ Die Salzlagerstätte selbst ist durch geologische Verschiebungen nach oben gekippt und war deshalb nahe der Oberfläche abbaubar. Der moderne Tagebau zerstörte zwar die salzreichen Deckschichten und sogar einige Bereiche des alten Bergwerks, aber ermöglichte auch die Mumienfunde und machte Teile der alten Strukturen von oben frei zugänglich.

Günstige Bedingungen

„An anderen Orten, an denen wir alte Salzbergwerke erforschen, etwa in Österreich, müssen wir unter der Erde Tunnel graben und dort nach archäologischen Funden suchen“, beschreibt Stöllner die ansonsten widrigen Bedingungen. „Das ist nicht nur schwieriger, man braucht auch viel länger, um die einzelnen Funde zusammenzubringen und die Zusammenhänge zu verstehen.“ In Chehrābād hat das Projektteam mittlerweile mit Baggern ein etwa 60 Meter langes und 35 Meter hohes Profil ausgegraben. Diese Wand liefert einen Querschnitt durch alle übereinander liegenden Grabungsschichten. „In Österreich haben wir dafür 20 Jahre gebraucht“, erzählt der Bochumer Archäologe, „im Iran haben wir das Profil in drei Kampagnen von jeweils ein paar Wochen Dauer zum Teil mit maschineller Hilfe gegraben.“

Neben den Mumien fanden die Forscher viele gut erhaltene Kleidungsstücke, Gefäße – teils noch mit Nahrungsmittelresten – und Holzgeräte. Laut offizieller Zählung wurden sechs Leichen aus dem alten Bergwerk geborgen; aber die Forscher ermittelten bereits, dass noch Teile von zwei weiteren Toten in den Funden enthalten sind.

Unglück an der Fundstelle nachvollziehbar

Drei der bereits gefundenen Körper stammen aus der Achämenidenzeit, also aus der Zeit des ersten persischen Großreichs, das vom 6. Jahrhundert bis in das späte 4. Jahrhundert vor Christus andauerte. Als spektakulärsten Fund bezeichnet Thomas Stöllner die sogenannte Mumie Nummer vier: ein 15- bis 16-jähriger Junge, der im Bergwerk als Arbeiter tätig gewesen war. Zwischen 405 und 380 vor Christus – so rekonstruierten die Bochumer Forscher zusammen mit Kollegen aus Oxford mittels der Radiokarbon-Datierung – stürzten Teile des Bergwerks ein, möglicherweise ausgelöst durch ein Erdbeben. Dabei kamen mindestens zwei weitere Menschen ums Leben. „Wir sind an unserer Grabungsstätte quasi direkt am Ort des Geschehens“, erzählt Thomas Stöllner. „Wir sehen die Salzblöcke, die auf den Jungen gefallen sind und ihn erschlagen haben. Wir wissen um eine zweite Person, die noch ihren Rucksack trägt, weggelaufen ist und dann ebenfalls erschlagen wurde. Die dritte ist leider unklarer in ihrer Fundlage, weil sie schon 2004 beim Salzabbau ohne archäologische Begutachtung geborgen wurde.“

Es ist quasi so, als wären sie gestern verstorben.


Thomas Stöllner

Die im Salz eingelagerten Körper sind zwar etwas geschrumpft, aber es sind alle Organe erhalten. „Es ist quasi so, als wären sie gestern verstorben“, erklärt Stöllner. Anhand von dreidimensionalen tomografischen Scans aus einem Krankenhaus in Teheran rekonstruierten Forscher aus Zürich im Rahmen des Projekts das Innere der Körper. Die Bilder zeigen zum Beispiel Brüche in Schädel und Thorax des jungen Arbeiters und seine aufgeplatzten inneren Organe.

Tomografischer Scan der Mumie Nummer vier: Das linke Bild zeigt den Schädel mit mehreren Frakturen; der Pfeil zeigt auf einen Ohrring, den der Mann trug. Auf dem mittleren Bild ist die Innenseite des Schädels mit Überresten des Gehirns zu sehen. Das rechte Bild zeigt den Brustkorb mit mehreren Rippenbrüchen. © University of Zurich, L. Öhrström/F. Rühli, nach Aali/Stöllner 2015

Über den im Bergwerk verstorbenen Jungen hat das Projektteam mittlerweile noch viel mehr herausbekommen. „Wir wissen, dass es ein gut genährter junger Mann war, der vermutlich aus Zentralasien oder vom Kaspischen Meer kam“, erklärt Stöllner. Die Herkunft untersuchen die Wissenschaftler mit Isotopenanalysen zusammen mit der Universität Oxford. Isotope sind unterschiedlich schwere Formen eines chemischen Elements, bei denen die Anzahl von Neutronen im Atomkern variiert. Bestimmte Sauerstoff- und Stickstoffisotope geben Hinweise auf die Ernährung eines Menschen, die für eine Region in der Welt typisch sein kann – im Fall des Jungen für das Kaspische Meer oder Zentralasien.

Im Salz bleiben organische Materialien über Jahrhunderte hinweg erhalten. Diese Mumie wurde aus dem Bergwerk Douzlakh geborgen. © DBM/RUB, K. Stange, AVttention, Marienheide

Überraschend sei es nicht, dass Fremde in der Mine tätig waren, sagt Thomas Stöllner. „Das Achämenidenreich war riesengroß. Aus schriftlichen Quellen wissen wir, dass es Beziehungen in alle Reichsteile und eine hohe Mobilität gab – so wie in der EU heute auch“, erklärt der Archäologe.

Drei Unglücke im Bergwerk

Das Unglück, das den Jungen tötete, war aber nicht das einzige, das sich im Bergwerk Douzlākh ereignete. Mindestens drei Verbrüche muss es gegeben haben: den zweiten um 300 nach Christus, einen weiteren im 5. bis 6. Jahrhundert nach Christus.

Datierungen nehmen die Forscherinnen und Forscher unter anderem mit der Radiokarbonmethode vor. Sie beruht auf dem instabilen Kohlenstoffisotop 14C, das in abgestorbenem Material kontinuierlich zerfällt. Grob gesagt kann die Menge an vorhandenem 14C daher etwas über das Alter einer Mumie oder auch eines Holzgegenstandes sagen.

Bergwerk und Umfeld beeinflussten sich

Das Team interessiert sich aber nicht nur für die Ereignisse im Bergwerk selbst, sondern auch für das Leben drumherum – denn beides scheint sich gegenseitig beeinflusst zu haben. Bereits in der Frühphase der Achämenidenzeit entwickelte sich ein umfangreiches landwirtschaftliches System im Umfeld des Bergwerks, das in der darauf folgenden Sassanidenzeit wesentlich effizienter wurde, vermutlich weil ein Bewässerungssystem entstand. Denn ein Problem für die Region war gerade der hohe Salzgehalt und dadurch fehlendes Trinkwasser.

„Vermutlich war die Region dadurch anfangs nicht besiedelbar“, mutmaßt Thomas Stöllner. Durch die Gewinne aus dem Salzbergwerk – so lautet eine Theorie – könnte die Bevölkerung jedoch ein Bewässerungssystem etabliert haben. In der Folge waren eine stabilere Agrarwirtschaft und eine Ansiedlung möglich. Das wiederum sorgte dafür, dass das Bergwerk intensiver ausgebeutet werden konnte, weil mehr Arbeitskräfte vor Ort waren. „Allerdings“, gibt Stöllner zu bedenken, „müssen wir mit Interpretationen immer vorsichtig sein. Trotz der hervorragenden Bedingungen im Iran sehen wir nur Ausschnitte der Geschichte, die wir durch unsere eigenen Hypothesen zusammenbringen müssen.“

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Veröffentlicht

Mittwoch
17. Oktober 2018
08:45 Uhr

Von

Julia Weiler

Dieser Artikel ist am 5. November 2018 in Rubin 2/2018 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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