Wirtschaftswissenschaft Mittelständische Unternehmen bremsen freiwillig ihr Wachstum
Was für etablierte Unternehmen ein Problem darstellt, ist für Gründer nützlich.
In der Europäischen Union sind Kapitalgesellschaften ab einer bestimmten Größe verpflichtet, ihre Jahresabschlüsse detailliert offenzulegen. Um sich dieser Pflicht zu entziehen, bremst der Mittelstand in Deutschland und Europa bewusst sein Wachstum, um wettbewerbsrelevante Informationen nicht preisgeben zu müssen. Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Devrimi Kaya von der RUB gemeinsam mit Kollegen der London Business School und der University of Washington nach einer empirischen Analyse, in die Daten von hunderttausenden Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern eingingen.
Verzicht auf sieben Prozent Wachstum
Je kleiner ein Unternehmen ist, desto weniger Geschäftsinformationen wie Umsatzerlöse oder Gewinnmargen muss es offenlegen. Die empirischen Analysen zeigen, dass Unternehmen auf rund sieben Prozent Wachstum verzichten, um sich bewusst klein zu halten. Viele nehmen sogar Ordnungs- und Bußgelder zwischen 2.500 und 25.000 Euro in Kauf, um ihre Bilanzen verspätet zu veröffentlichen. So vermeiden sie, dass die Konkurrenz Einblick in die Geschäftsbücher erhält. Auch andere kostspielige Instrumente, wie den Einsatz von Leiharbeitern, nehmen die Unternehmen in Kauf, um unterhalb eines bestimmten Schwellenwerts von Mitarbeitern zu bleiben.
„Während die Geschäftszahlen von deutschen Mittelständlern öffentlich einsehbar sind, müssen ausländische Partner und Konkurrenten in Nordamerika und Asien überhaupt keine Daten preisgeben“, ergänzt Kaya. So sei die Pflicht zum Offenlegen des Jahresabschlusses eine echte Wachstumsbremse für den deutschen Mittelstand.
Nützlich fürs Benchmarking
In einer zweiten Studie zeigten die Forscher allerdings auch positive Effekte von veröffentlichten Bilanzen auf: Gründerinnen und Gründer nutzen die Daten, um über die Kapitalstruktur ihres eigenen Unternehmens zu entscheiden.
Die Ergebnisse der ersten Studie sind 2018 im „Journal of Accounting and Economics“ erschienen, die zweite Studie ist vorab auf der Plattform SSRN online veröffentlicht.