Rechtswissenschaft Entscheidungshilfen im Dieselskandal
Welche Fragen noch offen sind und worauf Autokäufer hoffen können.
Die juristische Klärung des Abgasskandals steuert auf neue, entscheidende Schritte zu: Bis 20. April 2020 müssen sich Käufer betroffener Autos, die sich der Klage der Verbraucherzentralen angeschlossen haben, entscheiden, ob sie das daraus resultierende Vergleichsangebot annehmen oder noch individuell Klage erheben. Im Mai wird der Bundesgerichtshof die ersten Einzelverfahren behandeln. Prof. Dr. Renate Schaub, Spezialistin unter anderem für Haftungsrecht an der RUB, lotet in einem Aufsatz Möglichkeiten und Grenzen des maßgeblichen Paragrafen 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – vorsätzliche sittenwidrige Schädigung – aus und zeigt Lösungen für offen gebliebene und umstrittene Fragen auf. Ihre Arbeit ist am 2. April 2020 in der Neuen Juristischen Wochenschrift erschienen.
Immer mehr Käufer fordern Schadensersatz
Der Abgasskandal zieht inzwischen Kreise weit über die ursprünglichen VW-Fälle hinaus: Immer mehr Käufer von Fahrzeugen mit Abschaltvorrichtungen verlangen vom Kraftfahrzeughersteller Schadensersatz oder die Rückabwicklung ihres ursprünglichen Vertrags. Dabei stellen sich eine Reihe von Rechts-, aber auch Beweisfragen.
Knifflige Fragen
Kann beispielsweise der Nutzen, den ein Fahrzeugeigentümer seit dem Kauf des Autos davon hatte, bei der Bemessung des Schadensersatzes geltend gemacht werden? Welche Folgen hat es für die Ansprüche des Kunden, wenn er ein Softwareupdate nicht hat aufspielen lassen, das die ungesetzliche Funktion der Motorsteuerung behebt? Was, wenn das Auto erst gekauft wurde, nachdem der Abgasskandal öffentlich geworden war? Ist es zumutbar, dass sich Autokäuferinnen und -käufer selbst Informationen beschaffen müssen, bevor sie ein Auto kaufen? Ab wann läuft die Verjährungsfrist von drei Jahren?
Flexibel genug für differenzierende Lösungen
„Eine der zentralen Anspruchsgrundlagen in den Verfahren gegen VW und weitere Fahrzeughersteller ist der Paragraf 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sittenwidrige vorsätzliche Schädigung“, erklärt Renate Schaub. Nach ihrer Analyse stellt sie fest: „Die gesetzliche Regelung gibt für viele zentrale Fragen keine eindeutige Entscheidung vor. Auch in künftigen Verfahren werden noch zahlreiche Beweis- und Wertungsfragen zu klären sein, zum Beispiel wer innerhalb des jeweiligen Konzerns die Verantwortung für den Einbau der Abschaltsoftware trägt oder wann eine Abschaltvorrichtung unzulässig ist.“
Eine schematische Lösung für alle Fälle sieht sie daher nicht: Die Bandbreite der einzelnen Fälle ist zu groß. „Die Leistungsfähigkeit eines Regelungssystems erweist sich aber gerade darin, dass es differenzierende Lösungen ermöglicht“, so Schaub. „Es ermöglicht in Fällen, in denen sich nicht alle Fakten aufklären lassen, auch vermittelnde Lösungen, die den Interessen beider Seiten Rechnung tragen.“