Zivilgesellschaft Wie Gemeinnützigkeit und politische Aktivität zusammengehen
Als der Bundesfinanzhof der Organisation Attac die Gemeinnützigkeit aberkannte, legte er für Vereine die gleichen Maßstäbe an wie für politische Parteien. Das ist aber nicht erforderlich, meint Jurist Sebastian Unger.
Inwiefern sich gemeinnützige Organisationen politisch betätigen dürfen, ist Gegenstand öffentlicher Diskussionen, seit der Bundesfinanzhof im vergangenen Jahr der globalisierungskritischen Organisation „Attac“ die Gemeinnützigkeit absprach – mit der Begründung, dass deren Aktionen über die im Gesetz als gemeinnützig anerkannten Zwecke hinausgingen. Prof. Dr. Sebastian Unger vom RUB-Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Steuerrecht hat zu diesem Thema im Auftrag der Gesellschaft für Freiheitsrechte ein juristisches Gutachten erstellt. Er kommt zu dem Schluss, dass die politische Betätigung von gemeinnützigen Organisationen in einem größeren Maße zulässig ist als vom Bundesfinanzhof in seiner Rechtsprechung angenommen.
Steuervorteile wichtig für zivilgesellschaftliche Organisationen
Gemeinnützige Organisationen genießen Vorteile im Steuerrecht. Sie dürfen beispielsweise Spendenbescheinigungen ausstellen, sodass Spenderinnen und Spender den Betrag in ihrer Steuererklärung geltend machen können. „Durch den Steuerverzicht beteiligt sich der Staat sozusagen an der Spende“, erklärt Sebastian Unger. Damit eine Organisation diesen Vorteil in Anspruch nehmen darf, muss sie einen der gemeinnützigen Zwecke verfolgen, die in Paragraf 52 der Abgabenordnung aufgelistet sind. Für die Organisationen ist die steuerliche Förderung von Spenden wichtig, weil sie mangels stabiler staatlicher Finanzierung auf private Zuwendungen angewiesen sind.
Politische Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen unterschiedlich bewerten
Im Fall von Attac argumentierte der Bundesfinanzhof, dass sich die politische Betätigung nicht auf einen der gesetzlich festgelegten gemeinnützigen Zwecke beziehe. Vielmehr betätige sich Attac „in beliebigen Politikbereichen“. Das sei nicht gemeinnützig im steuerrechtlichen Sinne. „Der Bundesfinanzhof beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Parteispenden“, erklärt Unger. Parteispenden sind danach nur in ganz engen Grenzen zulässig, aus Gleichheitsgründen. Unternehmen können Parteispenden gar nicht steuerlich geltend machen, Privatpersonen nur in Höhe von maximal 3.300 Euro. „Das ist der Betrag, den das Bundesverfassungsgericht jedem Durchschnittsbürger zutraut“, so Unger. „Alle sollen so die Chance haben, in gleicher Weise vom Staat bei ihrem politischen Engagement unterstützt zu werden.“
Das Gemeinnützigkeitsrecht lässt aber auch den Abzug von höheren Spenden zu. Das führt dazu, dass der Bundesfinanzhof sie aus dem politischen Geschäft heraushalten will. Dafür steht vor allem das Attac-Urteil vom Januar 2019. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben so die Wahl: entweder politisch oder gemeinnützig. „Politische Organisationen der Zivilgesellschaft sind aber keine politischen Parteien“, sagt Unger. „Sie nehmen zwar Einfluss, wollen aber nicht an Wahlen teilnehmen. Deshalb unterscheidet auch das Grundgesetz zwischen beiden. Parteien müssen demokratisch und transparent sein, die Zivilgesellschaft nicht. Man kann daher nicht einfach sagen: Parteien dürfen keine hohen Spenden bekommen, deshalb gilt das für politische Organisationen der Zivilgesellschaft auch.“
Überarbeitung des Gemeinnützigkeitsrechts
Die Bundesregierung plant, das Gemeinnützigkeitsrecht noch 2020 zu überarbeiten. Dabei ist auch die politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen ein Thema. „Bei der steuerlichen Förderung von politischem Engagement hat der Gesetzgeber im Bereich der Zivilgesellschaft größere Spielräume als bei politischen Parteien“, stellt Unger in seinem Gutachten fest. Die Verfassung stehe einem Ausbau des politischen Bewegungsraums gemeinnütziger Organisationen daher nicht grundsätzlich entgegen. Es müsse aber die Frage nach der demokratischen Gleichheit beantwortet werden, denn immerhin vergrößere die steuerliche Förderung die finanziellen Möglichkeiten zur Einflussnahme. Dazu könne man den Spendenabzug begrenzen. Das sei aber nicht zwingend. „Es gibt auch andere Möglichkeiten“, so Unger in seinem Gutachten. Denkbar seien vor allem mehr Demokratie in den Organisationen und mehr finanzielle Transparenz, vor allem hinsichtlich hoher Spenden.