Geschichte Die rassistische Gewalt weißer Frauen
Frauen griffen in den 1950er- und 1960er-Jahren zu extremen Mitteln, um gegen die Aufhebung der Rassentrennung zu kämpfen. Ein bisher vernachlässigtes Kapitel der Geschichte des Rassismus.
Ein ganzes Jahr lang blieben in Arkansas 1958 und 1959 alle vier Highschools in Little Rock geschlossen. Die Eltern der rund 2.000 Schülerinnen und Schüler der Little Rock Highschool sahen ihre Kinder bedroht. Die Bedrohung bestand in neun schwarzen Kindern, die ebenfalls diese Schule besuchen wollten. Der Protest gegen die Desegregation, die Aufhebung der Rassentrennung, ging so weit und wurde so gewalttätig, dass schließlich die Regierung der USA das Militär einsetzte.
Diesen Protest der weißen Bevölkerung hat sich Prof. Dr. Rebecca Brückmann, Juniorprofessorin für die Geschichte Nordamerikas in seinen transkulturellen Bezügen an der RUB, im Detail angeschaut. Ihr besonderer Fokus liegt dabei auf den Aktivitäten der Frauen. „Diese Geschichte ist bisher vernachlässigt“, begründet sie ihr Interesse. Ihre Arbeiten hat sie inzwischen in einem Buch zusammengefasst, das Anfang 2021 erscheint.
Parkbänke, Friedhöfe, Blutbänke, Busse, Schulen – speziell für Schwarze
Die Vorgeschichte dieser weißen Proteste ist lang. Sie wurzelt in der Sklaverei in den USA, die seit Anfang des 17. Jahrhunderts belegt ist. Mitte des 17. Jahrhunderts wird ein Gesetz in Virginia erlassen, das besagt, dass die Kinder den Status ihrer Mütter haben: Ist die Mutter Sklavin, sind ihre Kinder das auch. Mit der Sklaverei steigt die White Supremacy auf, und diese vermeintliche Überlegenheit der Weißen hält sich über das Verbot des transatlantischen Sklavenhandels 1808 und die Emanzipationserklärung 1863 mit dem Verbot der Sklaverei zwei Jahre später.
Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, als sich das Militär aus den Südstaaten zurückzieht, wird der gesamte öffentliche Raum zweigeteilt. Es gibt alles speziell für Weiße und für Schwarze: Parkbänke, Friedhöfe, Blutbänke, Busse, Schulen. 1896 legitimiert der Supreme Court diese Trennung unter der Voraussetzung, dass alle diese Einrichtungen gleichwertig sind. „Das sind sie nie gewesen“, so Rebecca Brückmann. „Und Aktivisten haben 50 Jahre lang mehr oder weniger erfolglos dagegen angekämpft.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg ändern sie ihre Strategie: Sie ziehen vor Gericht. Und 1954 fällt das Urteil, das der Stein des Anstoßes für den koordinierten Protest der Weißen ist. Die Rassentrennung in öffentlichen Schulen wird als verfassungswidrig erklärt. Die Segregation in Schulen verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. „Danach formiert sich unter den Weißen der massive Widerstand, und das Thema Schule, die Betroffenheit der Kinder, holt die Mütter in das Thema“, sagt Rebecca Brückmann.
Um deren Verhalten auf die Spur zu kommen, hat sie Zeitungsartikel, Memoiren, Manuskripte von Schulleitungen und Protokolle des FBI analysiert. Die zentrale Sicherheitsbehörde hat nach den teils gewalttätigen Protesten der Mütter die Beteiligten interviewt. Drei Fälle hat Brückmann besonders eingehend recherchiert, darunter den der für ein Jahr geschlossenen Central Highschool in Little Rock, Arkansas.
Die Mütter dort stachelten ihre Kinder an, schwarze Schülerinnen und Schüler zu mobben. Die Schulschließung beruhte auf der Überzeugung, lieber gar keine Schule als gemeinsamen Unterricht mit Schwarzen für die Kinder in Kauf zu nehmen. In einem anderen Fall in New Orleans traten Frauen 1960 massiv in Erscheinung, um ihrem Protest gegen den Besuch der Schulen durch schwarze Kinder Ausdruck zu verleihen, und griffen deren Eltern tätlich an, bedrohten schwarze Kinder sogar mit dem Tod. Hier ging es um vier schwarze Kinder, die an zwei Grundschulen zugelassen worden waren.
Aber es ist immer komplexer, als es aussieht.
Rebecca Brückmann
Die Polizei bezeichnete die Gruppe als „Cheerleaders“: ein Zeichen dafür, dass man sie mehr als Unterstützung der tatsächlichen Akteure für Segregation ansah, als laut, aber harmlos. „Tatsächlich waren sie aber auf dem Spielfeld, denn die Cheerleader waren selbst Akteurinnen vor Ort und haben Demonstrationen, tätliche Angriffe auf weiße Eltern, die den Boykott nicht mitmachen wollten, sowie Lobbyarbeit unternommen“, sagt Rebecca Brückmann. „Das zeigt den sehr maskulistischen Diskurs um die Desegregationskrisen in den 1950ern und 1960ern, der dazu führte, dass lange angenommen wurde, dass Frauen nur Symbole waren und keine eigenen Akteurinnen.“ Unter den Beteiligten waren Mütter, Großmütter, Nachbarinnen. Darunter waren auch gebildete Menschen, Angehörige der Oberschicht.
Deren Verhalten lässt sich begründen: Die Weißen fühlten sich bedroht in ihrem Status. Frauen und die Arbeiterklasse hatten in den USA der 1950er-Jahre keine politische Stimme. Um Aufmerksamkeit zu generieren, musste man zu neuen Mitteln greifen und sich neue Taktiken überlegen. Allem zugrunde lag ein überzeugter Rassismus. „Aber es ist immer komplexer, als es aussieht“, macht Brückmann deutlich.
Den Spieß umdrehen
Die Frauen erweiterten die Argumente der Debatte. Ihr Punkt: Heute mischt sich der Staat in die Schulen ein, morgen werden es die Kirchen sein, übermorgen entscheiden wir nichts mehr selbst. Damit drehen sie den Spieß um: Unsere Freiheit ist bedroht. Es droht eine umgekehrte Diskriminierung. Dagegen formiert sich die sogenannte Massive Resistance, die fordert, dass sich die Regierung der USA aus den Belangen der einzelnen Staaten heraushalten soll. Ein neuer Konservatismus macht sich breit, und White Supremacy wirkt als Scharnier. Religion, Antikommunismus, später traditionelle Werte gegen die 68er – White Supremacy hilft, viele verschiedene Strömungen zu vereinen und zu konsolidieren. „White Supremacy funktioniert immer. Das spielt eine große Rolle in den USA, und es ist keine Tagespolitik“, so Rebecca Brückmann. „Auch die aktuelle Black-Lives-Matter-Bewegung wurzelt in dieser Geschichte.“
Weiß zu sein geht dabei weit über die Hautfarbe hinaus. Das Aussehen ist nur ein Aspekt des Ganzen. Weiß bedeutet die Norm, alles andere ist die Abweichung. Es geht um eine soziale Position, um Macht und Raum.
Man bleibt unter sich
Nachdem die Proteste der Mütter gegen die Aufnahme schwarzer Schülerinnen und Schüler ihre erhoffte Wirkung nicht erzielten, wurden die Schulen durch die Weißen boykottiert. Man zog um in die Vorstädte, die man sich leisten können musste, und somit in andere Schulbezirke. So sorgte man dafür, dass man unter sich blieb.
Interview