Niedertemperaturplasmen Die maßgeschneiderte Welle
Wie Plasmen bei gleicher Energiezufuhr bis zu zehnmal effizienter werden.
Plasmen werden als der vierte Aggregatzustand bezeichnet: Während in der festen Phase die Moleküle feste Plätze einnehmen, ist in der flüssigen Phase etwas und in der Gasphase wesentlich mehr Bewegungsfreiheit möglich. Führt man einem Gas Energie zu, brechen die Moleküle auf und ein Plasma entsteht. Die negativ geladenen Elektronen lösen sich von den positiv geladenen Atomkernen und machen diese zu Ionen. In elektromagnetischen Feldern können diese freien Elektronen und Ionen beschleunigt werden. Treffen die schnellen Elektronen auf andere Moleküle, können sie diese wiederum verändern, indem sie sie ionisieren oder zerlegen. So können unterschiedliche mitunter kurzlebige reaktive Neutralteilchen und Ionen entstehen, die nützlich sein können.
Brillengläser, Displays, Wafer
Plasmen werden in der Industrie zum Beispiel eingesetzt, um Oberflächen gezielt zu verändern, etwa Brillengläser oder Displays zu beschichten oder mikroskopische Kanäle in Siliziumwafer zu ätzen. So entstehen feine Strukturen im Nanometerbereich. „Jedes Smartphone, jeder Laptop enthält Bauteile, die solche Prozesse durchlaufen haben“, verdeutlicht Dr. Julian Schulze vom Lehrstuhl für Allgemeine Elektrotechnik und Plasmatechnik der RUB die Dimension des Einsatzes von Plasmen in der Industrie. Sein Ziel ist es, die Details der Prozesse in Plasmen besser zu verstehen, um sie effizienter zu machen. Wie wird den Elektronen und Ionen Energie zugeführt? Wie werden sie beschleunigt? Wie kann man das optimieren?
Um diesen Fragen nachzugehen, konzentriert er sich auf Plasmen, die bei Raumtemperatur entstehen, sogenannte Niedertemperaturplasmen. Sie werden für medizinische und industrielle Anwendungen gerne genutzt, weil sie die sie umgebenden Flächen nicht angreifen oder zerstören. Das gilt im medizinischen Bereich unter anderem für die menschliche Haut.
Solche Plasmen können beispielsweise zwischen zwei Elektroden gezündet werden, deren eine geerdet ist, während an der anderen eine Spannung anliegt. Durch das Anlegen der Spannung entsteht an den Elektroden ein elektrisches Feld, das die negativ geladenen Elektronen von den Oberflächen abstößt, während es positiv geladene Ionen anzieht. Durch die schnelle Bewegung der Elektronen infolge dieser Beschleunigung können Neutralteilchen durch Stöße mit schnellen Elektronen angeregt werden. Dadurch leuchten Plasmen letztlich. Die Beschleunigung der Ionen auf die Oberfläche kann zur Oberflächenmodifikation genutzt werden.
Normalerweise legt man an die Elektrode eine sinusförmige Spannung an, auch in der Industrie. Dadurch werden die Elektronen auf eine bestimmte Art beschleunigt. Das führt dazu, dass das Plasma zu bestimmten Zeiten und an speziellen Orten Licht aussendet, das man messen kann. Außerdem erreichen positive Ionen die Oberflächen mit einer ganz bestimmten Energieverteilung. Mit diesem Ergebnis ist Julian Schulze aber nicht zufrieden: „Dabei bekommen viele Elektronen von der zugeführten Energie etwas ab, jedes einzelne von ihnen aber nicht genug, um andere Moleküle effizient zu zerschlagen und so hohe Reaktivteilchendichten zu erzeugen. Die Ionenenergieverteilung an den Grenzflächen kann nicht effizient kontrolliert werden“, verdeutlicht er. „Wir wollen die Energie nicht mit der Gießkanne auf Elektronen und Ionen verteilen, sondern gezielter einsetzen, sodass weniger Elektronen mehr Energie abbekommen und die Ionenenergie an Grenzflächen exakt eingestellt werden kann. Dadurch arbeiten Plasmen dann effizienter.“
Plasma kontrollieren und verbessern
Dazu hat sein Team mit der Form der an die Elektrode angelegten Spannung experimentiert und Simulationen angestellt. Das an der RUB entwickelte Verfahren nennt sich Voltage Waveform Tailoring, kurz VWT. Durch die Überlagerung mehrerer Frequenzen lassen sich verschiedene Spannungsformen erzeugen, deren Wirkung auf das Plasma die Forscherinnen und Forscher untersucht haben.
Es zeigte sich dabei, dass sich durch das Maßschneidern dieser Spannung die zeitliche und örtliche Verteilung der Energiezufuhr an die Elektronen des Plasmas kontrollieren und verbessern lässt. Analog lässt sich so die Ionenenergieverteilung an Grenzflächen einstellen. „Während bei der sinusförmigen Spannung viele Elektronen zu verschiedenen Zeitpunkten und über breite Raumbereiche schwach beschleunigt werden, ist es uns gelungen, durch solche optimierten Spannungen eine viel stärkere Beschleunigung einiger Elektronen zu nur einem Zeitpunkt innerhalb einer Periode der angelegten Spannung hervorzurufen“, erklärt Schulze. Bei Zufuhr derselben Menge an Energie vergrößert sich somit die Menge reaktiver Spezies, die im Plasma erzeugt wird. Ähnlich verhält es sich prinzipiell mit den Ionen: Auch hier kann die Beschleunigung der Ladungsträger in Ort und Zeit maßgeschneidert werden.
Das muss man sich so ähnlich vorstellen, wie wenn man eine Tischdecke blitzschnell unterm Geschirr wegzieht.
Julian Schulze
Die Mechanismen, die diesen Veränderungen zugrunde liegen, sind Gegenstand genauerer Untersuchungen. Der Einfluss der Spannung auf das Plasma liegt in der Veränderung der besonders interessanten Randzonen nahe den Elektroden: Der Raumbereich, in dem ein starkes elektrisches Feld besteht, das durch Anlegen der Spannung an der Elektrode entsteht, ist für die schnellen, heißen Elektronen eine Tabuzone, sie werden abgestoßen. Die positiv geladenen, schwereren, langsameren und kälteren Ionen werden hingegen angezogen. Durch die Form der angelegten Spannung wird dieser Randbereich moduliert: Er dehnt sich nach einem von der Spannung beeinflussten Muster aus und kollabiert wieder. „Die Elektronen werden von dem beweglichen Randbereich ins Plasma zurückgeschleudert wie ein Tennisball vom Schläger“, verdeutlicht Julian Schulze einen von mehreren Mechanismen, die im Plasma wirken. Moduliert man die Randschicht so, dass sie sich sehr schnell bewegt, kommen die Elektronen so schnell nicht mit. Dadurch bilden sich während des Randschichtkollaps elektrische Felder aus, die wiederum Elektronen in Richtung benachbarter Grenzflächen beschleunigen. „Das muss man sich so ähnlich vorstellen, wie wenn man eine Tischdecke blitzschnell unterm Geschirr wegzieht, sodass es einfach stehenbleibt, wo es war, obwohl man ihm den Boden wegzieht. Nachher muss man das Geschirr per Hand einsammeln, es folgt der Tischdecke nicht“, so Schulze.
Die positiv geladenen Ionen vollführen die Gegenbewegung, weil sie durch die elektrischen Felder in der Plasmarandschicht auf die Grenzflächen zu beschleunigt werden. Hochenergetische, schnelle Ionen lassen sich dabei zum Ätzen der Grenzflächen benutzen, niederenergetische, langsamere zum Beschichten. In jedem Fall kann ihre Energie und damit die Prozesse an den Oberflächen durch VWT maßgeschneidert werden.
Um herauszufinden, welche Mechanismen beim Anlegen solcher maßgeschneiderten Spannungen im Plasma genau wirken, nutzen die Ingenieure unter anderem hochauflösende Kameras, um die Elektronendynamik zu vermessen. Mittels Lasermessung lassen sich zum Beispiel angeregte Heliumspezies und andere Reaktivteilchen wie atomarer Sauerstoff detektieren, die durch Stöße zwischen Neutralteilchen und energetischen Elektronen erzeugt werden. Da die angeregten Heliumteilchen die Laserstrahlung absorbieren, erlaubt die Messung des Laserlichts, das das Plasma durchdringt, Rückschlüsse darauf, wie viele solcher Teilchen anwesend sind.
Bei Überlagerung zweier Frequenzen der an die Elektrode angelegten Spannung konnten die Forscher eine mehr als fünfmal größere Dichte der Teilchen messen. „Es ist möglich, die Dichte solcher Teilchen im Vergleich zum Anlegen der Sinusspannung zu verzehnfachen und durch Verstellen der Spannungsform zu kontrollieren“, erklärt Julian Schulze. Angesichts des Ausmaßes der Plasmanutzung in der Halbleiterindustrie wird die Tragweite dieser Verbesserung deutlich. „Das ist eine Milliarden-Dollar-Industrie“, so der Forscher. „Jede Effizienzsteigerung bedeutet ökonomisch einen riesigen Effekt.“