Neurologie Wenn die rechte Hand nach Verletzung der linken überempfindlich ist
Ein internationales Forschungsteam hat Mechanismen von Wahrnehmungsstörungen nach Nervenverletzungen untersucht.
Lähmungserscheinungen, Taubheitsgefühle oder Schmerzen: Diese Symptome quälen viele Menschen mit Nervenverletzungen. Für die Betroffenen können solche Wahrnehmungsstörungen dauerhafte und erhebliche Einschränkungen bedeuten – bis zur Arbeitsunfähigkeit. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Neurologischen Klinik am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil, Klinikum der RUB (RUB, Direktor: Prof. Dr. Martin Tegenthoff) hat gezeigt, dass Wahrnehmungsstörungen bei einseitigen Nervenverletzungen nicht nur in dem betroffenen Areal des Körpers, sondern häufig auch spiegelbildlich in der gegenseitigen Körperregion auftreten können. Die Ergebnisse der Studie wurden unter Federführung von Prof. Dr. Elena Enax-Krumova, Inhaberin der Stiftungsprofessur der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung, in der Zeitschrift „Neurology“ vom 19. Mai 2021 publiziert.
Nervenverletzungen: Häufige Komplikation nach Arbeitsunfällen
Periphere Nerven bezeichnen Nerven, die außerhalb des Gehirns und Rückenmarks gelegen sind. Sie durchziehen den gesamten Körper. Bei stumpfer oder scharfer Gewalteinwirkung durch Unfälle kann es zu Schädigungen dieser Nervenfaserbündel kommen, ebenso wie im Rahmen von Operationen. Insbesondere nach Arbeitsunfällen sind Verletzungen der peripheren Nerven eine häufige Komplikation. Die Betroffenen erleiden oft motorische und sensible Störungen in dem betroffenen Körperareal. Diese können zu andauernden Beschwerden und Beeinträchtigungen führen. Deren zugrundeliegende Mechanismen sind noch nicht vollständig verstanden.
Gemeinsam mit weiteren Zentren des Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz und anderen europäischen Zentren haben die Neurologische Klinik und die Abteilung für Schmerzmedizin am Bergmannsheil ein europaweites Forschungsprojekt durchgeführt. Datensätze von insgesamt 424 Patientinnen und Patienten wurden analysiert. Sie alle litten unter einer einseitigen schmerzhaften oder einer schmerzlosen peripheren Nervenerkrankung (Neuropathie), ausgelöst entweder durch eine periphere Nervenverletzung, eine Nervenwurzelverletzung oder eine Gürtelrose. Bei allen Beteiligten wurde die jeweils nicht betroffene Körperseite hinsichtlich möglicher Wahrnehmungsveränderungen untersucht. Nach einem standardisierten Verfahren wurde die Schmerzwahrnehmung sowie Berührungswahrnehmung auf Kälte, Wärme, spitze und stumpfe Reize mittels der sogenannten quantitativ sensorischen Testung, kurz QST, überprüft.
Spiegelbildliche Wahrnehmungsstörungen
Sowohl bei Patientinnen und Patienten mit schmerzhafter einseitiger Neuropathie als auch mit schmerzloser Neuropathie stellten die Forschenden häufig spiegelbildliche Wahrnehmungsstörungen auch auf der nicht betroffenen Körperseite fest. Dabei zeigte sich eine spiegelbildlich verminderte Wahrnehmung für Temperatur und leichte Berührung als Hinweis auf eine möglicherweise ungünstige zentralnervöse Reaktion. Bei Betroffenengruppen mit überhöhter Schmerzempfindlichkeit auf der betroffenen Körperseite wurde gleichzeitig eine spiegelbildliche Überempfindlichkeit gegenüber spitzen Reizen registriert. Dies könne, so das Forschungsteam, als Zeichen einer Überempfindlichkeit des zentralen Nervensystems gedeutet werden. Fachleute bezeichnen das als zentrale Sensibilisierung. Die von Hirnstammarealen stammende absteigende Verstärkung der Schmerzverarbeitung im Rückenmark scheint einen wichtigen Mechanismus der Schmerzchronifizierung darzustellen. Die festgestellten Veränderungen waren nicht von der Dauer der Erkrankung abhängig. Schmerzstärke, zugrundeliegende Erkrankung und die betroffene Körperregion gingen einher mit Veränderungen nur einzelner Parameter der durchgeführten Testbatterie.