Hydrologie Warum das Wasser bei der Energiewende nicht vergessen werden darf
Technologien mit geringem CO2-Ausstoß stehen im Fokus der Energiewende. Sie verbrauchen teils jedoch enorme Mengen Wasser. Wasser, das in vielen Regionen künftig nicht ausreichend zur Verfügung stehen wird.
Wasserkraft, Biomasse-Verstromung, Windkraft, Wasserstoff, Fotovoltaik – diese Begriffe kommen schnell in den Sinn, wenn es um den Energiemix der Zukunft geht. Ein Energiemix, der dem Klimawandel die Stirn bieten soll, indem er den CO2-Ausstoß begrenzt. „Das ist aber zu eindimensional gedacht“, sagt Prof. Dr. Martina Flörke, Professorin für Ingenieurhydrologie und Wasserwirtschaft an der RUB. Sie plädiert dafür, nicht nur auf die CO2-Emissionen zu schauen, sondern auch andere Umwelteinflüsse zu berücksichtigen. Zum Beispiel die Auswirkungen auf Wasserressourcen. Die Forscherin gibt ein Beispiel: „Fotovoltaikanlagen oder Solarkraftwerke stehen logischerweise dort, wo viel Sonne ist, also in der Regel in den trockenen Regionen der Welt“, sagt sie. „Aber auch Solarkraftwerke werden häufig mit Wasser gekühlt, und ihre Spiegel müssen regelmäßig vom Sand gesäubert werden – mit Wasser.“
Die Wasserbedarfe würden bei der Planung der Energiewende jedoch oft nur für den Standort bedacht, aber weitere Wassernutzer und zukünftige Entwicklungen nicht berücksichtigen. Die Entwicklung von Wasserangebot und -nachfrage ist aber entscheidend für die Energiewende. Wasser kann zum begrenzenden Faktor für alle Sektoren werden, und Kraftwerke, die bisher kein kritisches Nutzungsniveau erreicht haben, können zukünftig von Wasserknappheit betroffen sein.
Diesem Thema widmete sich das offiziell Ende 2020 abgeschlossene Forschungsprojekt „WANDEL – Wasserressourcen als bedeutsamer Faktor der Energiewende auf lokaler und globaler Ebene“, das Martina Flörke zunächst an der Universität Kassel, dann an der RUB koordinierte. Die Projektpartner berechneten die Auswirkungen verschiedener Energieerzeugungsformen auf die Wasserverfügbarkeit und zeigten ein Dilemma auf: Das Streben nach bezahlbarer und sauberer Energie und nach einer ausreichenden Verfügbarkeit von Wasser in guter Qualität – zwei der 17 Sustainable Development Goals der UN – stehen im Widerspruch zueinander. „Die Sustainable Development Goals sind ursprünglich jedes für sich formuliert worden, aber es ist ein Problem, wenn wir die Ziele einzeln denken“, meint Martina Flörke.
Nachhaltigkeitsziele im Konflikt
Wo das Wasser- und das Energieziel miteinander in Konflikt geraten, offenbart sich zum Beispiel an einem Solarkraftwerk in Marokko, das im WANDEL-Projekt betrachtet wurde. Es steht an einem sonnigen Standort und verspricht rund 370 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr zu produzieren. Da es teils jedoch mit Wasser gekühlt wird und auch seine Spiegel regelmäßig gereinigt werden müssen, verbraucht es fünf Liter Wasser pro produzierter Kilowattstunde Strom. „Das klingt erst einmal nicht viel“, weiß Flörke. Aber im Jahr bräuchte das Kraftwerk zwei Millionen Kubikmeter Wasser – und das in einer trockenen Region, in der viel Landwirtschaft betrieben wird und in der die Menschen für ihr tägliches Leben auf das Wasser angewiesen sind. Als Folge des Klimawandels könnte sich das zukünftige Wasserdargebot noch verringern. „Dieses Wasser sollte man vielleicht nicht zum Putzen der Spiegel im Kraftwerk verwenden, wenn Menschen es als Trinkwasser benötigen“, meint Martina Flörke und ergänzt: „Eine Konkurrenz um die Ressource Wasser ist in meinen Augen in Zukunft vorprogrammiert.“
Modell simuliert globales Wasserangebot
Im Projekt nutzte die Wissenschaftlerin mit ihrem Team ein Modell, das die Wasserverfügbarkeit und den Wasserbedarf weltweit berechnet. Das Modell, genannt „WaterGAP3“, teilt die Landmasse der Erde in 2,2 Millionen Rasterzellen ein und besitzt damit eine geografische Auflösung von fünf Bogenminuten. Am Äquator entspricht das einer Zellengröße von neun mal neun Quadratkilometern. Für jede Landzelle fütterten die Forscherinnen und Forscher physiografische und meteorologische Daten in das Modell, etwa die Landbedeckung, Bodenbeschaffenheit, tägliche Niederschlagsmenge, Temperatur und Sonneneinstrahlung. Der Algorithmus simuliert darauf basierend den terrestrischen Wasserkreislauf: wie viel Niederschlag in jeder Zelle in den Boden einsickert, verdunstet und wie viel zur Abflussbildung beiträgt und dann als Direkt- und Grundwasserabfluss in Flüssen und Grundwasserleitern zur Verfügung steht. Die Simulation kann in vorindustrielle Zeiten zurückblicken und bis ins Jahr 2300 Prognosen abgeben.
So berechnete die Gruppe die Wasserverfügbarkeit weltweit, wobei sie nur erneuerbare Wasserressourcen betrachtete, also keine fossilen tiefen Grundwasservorkommen. Der Wasserverfügbarkeit stellte das Team dann die geplante Wasserentnahme entgegen. Dazu bezogen sie auch 48.000 Standorte von Energiegewinnungsanlagen und deren Wasserverbrauch ein.
Wasserbedarfe durch Energieproduktion berechnet
Um eine Prognose für das Jahr 2040 abgeben zu können, stützten sich die Forschenden auf vier Zukunftsszenarien, die Greenpeace und die International Energy Agency aufgestellt hatten. Diese 2014/15 vorgestellten Szenarien beschreiben, wie sich der Energiemix in Zukunft entwickeln könnte. Ein Szenario beschreibt etwa, mit welchen Energieformen es möglich wäre, die Klimaerwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen und setzt dabei viel auf Fotovoltaik, Solarkraftwerke, Biomasseverstromung, Wind- und Wasserkraft.
Diesen Energiemix der vier Szenarien bildeten die Forschenden in ihrem Modell nach. Dabei gingen sie davon aus, dass künftig an den Standorten, die zum Beispiel heute schon mittels Fotovoltaik Energie produzieren, künftig mehr Strom mit diesem Verfahren erzeugt werden wird. „Wir können natürlich nicht wissen, an welchen Standorten künftig weitere Fotovoltaikanlagen entstehen werden, daher können wir in unserem Modell nur mit den derzeit existierenden Standorten arbeiten – auch wenn das sicher eine Schwachstelle ist, weil künftig auch an anderen Standorten produziert werden wird“, erklärt Martina Flörke.
Die Kernaussage der Berechnungen ist davon aber nicht betroffen: An bis zu 42 Prozent der Standorte ist ein Defizit zu erwarten, weil dort künftig mehr Wasser benötigt wird als verfügbar ist. „Und dabei ist noch nicht mit in Betracht gezogen, dass in diesen Regionen eventuell auch noch aus anderen Gründen der Wasserbedarf steigen könnte, etwa weil durch Klimawandeleffekte die Felder vermehrt bewässert werden müssen“, ergänzt die Wissenschaftlerin.
Mittelmeerraum muss sich auf extreme Trockenheit einstellen
Wasserdefizite seien vor allem im Westen Amerikas, im mittleren Osten und Norden Afrikas, in Südeuropa sowie in einzelnen Spots im Süden und Osten Chinas und Indiens zu erwarten. „Gerade im Mittelmeerraum ist es sehr wahrscheinlich, dass Trockenheitsextreme häufiger werden“, so Flörke. Es gebe daher einige Standorte, die derzeit zur Energiegewinnung genutzt würden, die man grundsätzlich hinterfragen müsse.
„Die Modellanalyse zeigt uns deutlich, dass es auf jeden Fall nicht förderlich wäre, die Energieproduktion an den jetzigen Standorten auszuweiten“, folgert die Bochumer Forscherin. Außerdem brauche es effizientere Technologien, Speichermöglichkeiten für Wasser und Energie sowie Alternativen zum Frischwassereinsatz, zum Beispiel aufbereitetes Abwasser. „Ich persönlich denke allerdings, dass auch das nicht reichen wird“, sagt Flörke. „Wir müssen auch den Energiekonsum reduzieren.“
Ist Wasserstoff die Lösung?
Als nächstes möchte Martina Flörke in ihrer Arbeit den sogenannten grünen Wasserstoff in den Blick nehmen, also Wasserstoff, der durch Elektrolyse mittels erneuerbarer Energien gewonnen wird. Auf diese Technik will die Bundesregierung in Zukunft verstärkt setzen. Doch auch sie braucht viel Wasser, denn es ist der Rohstoff, aus dem der Wasserstoff gewonnen wird.
Nachhaltigkeit erreichen zu wollen bedeutet für mich, global denken zu müssen.
Martina Flörke
Dabei will Martina Flörke den Blick aber nicht nur auf Deutschland richten. „Nachhaltigkeit erreichen zu wollen bedeutet für mich, global denken zu müssen – denn das, was wir in Deutschland tun, beeinflusst auch ganz andere Regionen in der Welt. Solch eine globale Nachhaltigkeit werden wir aber nur erreichen können, wenn wir über Systemgrenzen hinweg denken und interdisziplinär zusammenarbeiten“, meint die Forscherin.