Menschenrechte Vor dem Staat geschützt

Wenn staatliche Stellen eine Entscheidung fällen, ist auch wichtig, wie diese zustande gekommen ist. Inwiefern internationale Menschenrechte staatlichen Verwaltungen Vorgaben dafür machen, untersucht ein Bochumer Jurist.

Als deutsche Bürgerin oder deutscher Bürger genießt man viele Rechte, die einen vor dem Staat schützen. Selbst bei verhältnismäßig unbedeutenden Sachverhalten – etwa wenn man im Halteverbot geparkt hat – hat man ein Recht auf Anhörung und kann die eigene Sicht auf den Vorfall schildern. Die Behörde, die letztendlich über die Angelegenheit entscheidet, muss ihre Entscheidung zudem gegenüber dem betroffenen Bürger begründen. Das Verwaltungsverfahrensgesetz wird manchmal vielleicht als ein Zuviel an Bürokratie empfunden, dahinter verbirgt sich jedoch ein verfassungsrechtlich garantiertes hohes Gut. Inwiefern das Recht auf Schutz durch und im Verfahren auch aus internationalen Menschenrechtsverträgen herzuleiten ist, untersucht Benedikt Behlert in seiner Doktorarbeit am Institut für Friedenssicherungsrecht und humanitäres Völkerrecht und an der Juristischen Fakultät.

Ziele für nachhaltige Entwicklung

Im Jahr 2015 haben sich die Vereinten Nationen auf 17 dringende Handlungsfelder verständigt, die von der Beendigung der Armut und des Hungers bis hin zu Klimaschutz, Gleichstellung oder Transparenz in Institutionen reichen. Die Agenda für nachhaltige Entwicklung ist ein Fahrplan bis zum Jahr 2030, der sich an Regierungen weltweit, aber auch an die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft und die Wissenschaft richtet – alle sollen ihr Handeln an den Zielen ausrichten. Die Vision ist, Menschen in aller Welt ein Leben in Wohlstand und Frieden zu ermöglichen und unseren Planeten vor weiterer Schädigung zu schützen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der RUB tragen mit ihrer Forschung zu der Agenda 2030 bei.

Die Forschung von Benedikt Behlert trägt zu Ziel 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ bei.

Der Ausgangspunkt seiner Analyse liegt im Jahr 1997, in dem der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – ein Organ, das über die Einhaltung bestimmter Völkerrechtsbestimmungen wacht – folgende Aussage tätigte: „Appropriate procedural protection and due process are essential aspects of all human rights […].“ Zu Deutsch in etwa: Ein angemessener Schutz im und durch Verfahren ist ein wesentlicher Aspekt aller Menschenrechte. „Dieser Satz wurde damals ohne Begründung oder Fußnoten präsentiert und auch auf explizite menschenrechtliche Vorschriften konnte sich der Ausschuss nicht berufen“, weiß Benedikt Behlert.

Benedikt Behlert promoviert am Institut für Friedenssicherungsrecht und humanitäres Völkerrecht und an der Juristischen Fakultät der RUB.
© Roberto Schirdewahn

Ihn interessiert deshalb, ob sich das Recht auf Schutz durch und im Verfahren auch tatsächlich aus dem Völkerrecht ergibt und rechtstechnisch sauber herleiten lässt. Dazu nimmt er den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unter die Lupe. „Beide sind quasi universell gültig, rund 170 Staaten erkennen sie an“, sagt Behlert. „Viele Menschenrechte sind über diese Pakte abgedeckt, zum Beispiel das Recht auf Bildung oder Arbeit, das Recht auf freie Meinungsäußerung oder das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben.“

Auslegung vom Völkerrecht nicht rechtsbindend für Staaten

Über die Einhaltung dieser Rechte wachen der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der UN-Menschenrechtsausschuss. Sie legen die in den Pakten niedergeschriebenen Gesetzestexte aus und wenden sie an. Die Krux: Während die Pakte selbst für die Staaten rechtlich verbindlich sind, sind es die Auslegungen und Entscheidungen der Ausschüsse nicht. „Natürlich haben die Aussagen der Organe politische Kraft“, sagt Benedikt Behlert. „Aber die Staaten sind nicht zur Umsetzung verpflichtet.“ Was also nicht wasserdicht in den Pakten formuliert ist, kann umgangen werden. Und einige Länder tun dies regelmäßig. „Es gibt Staaten, gegen die über 100 sogenannte Views des Menschenrechtsausschusses in Bezug auf einzelne Fälle ergangen sind, und die keinen einzigen davon umgesetzt haben“, so Behlert.

Selbst wenn ich all die Dokumente lese, verstehe ich aus rechtswissenschaftlicher Sicht noch nicht, warum die Aussage so ist, wie sie ist.


Benedikt Behlert

Inwiefern also ist der Schutz durch und im Verfahren in den Pakten verankert und somit sichergestellt? Der Bochumer Jurist arbeitete nicht nur die Gesetzestexte der Pakte durch, sondern auch die 62 sogenannten General Comments, in denen die beiden Ausschüsse ihre Rechtsauffassungen zu den in den Pakten enthaltenen Rechten darlegen, sowie viele andere Dokumente dazu. Sein Fazit: Die Aussage, dass ein angemessener Schutz durch und im Verfahren ein wesentlicher Bestandteil der Menschenrechte sei, findet sich darin zwar nicht selten wieder. „Aber selbst wenn ich all die Dokumente lese, verstehe ich aus rechtswissenschaftlicher Sicht noch nicht, warum die Aussage so ist, wie sie ist“, resümiert der Wissenschaftler. Die Aussage wird von den Ausschüssen nicht sauber hergeleitet. „Es ist eher ein Postulat“, so der Forscher weiter. „Häufig ist das so, wenn Inhalte in den Pakten weiterentwickelt werden sollen, das ist auch legitim – aber es führt dazu, dass Raum für Interpretationen bleibt.“ Was bedeutet „angemessener Schutz“? Und warum ist dieser Schutz ein wesentlicher Bestandteil aller Menschenrechte? Diese Fragen bleiben offen.

Eine gut begründete Argumentation macht Menschenrechte robuster

Benedikt Behlert versucht nun, diese Fragen zu beantworten. „Wenn menschenrechtliche Postulate gut begründet und sauber hergeleitet sind, haben Staaten weniger Möglichkeiten, sich darüber hinwegzusetzen“, erklärt er. „Gerade im Moment, wo die Menschenrechte wieder vielfältigen Angriffen ausgesetzt sind, wäre das wichtig.“ Der Wissenschaftler arbeitet derzeit daran, eine rechtstechnisch saubere Argumentation aufzusetzen und Kriterien dafür zu entwickeln, wie man einen angemessenen Schutz in Bezug auf verschiedene Menschenrechte definieren könnte. Voraussichtlich 2022 will er die Erkenntnisse im Rahmen seiner Dissertation publizieren. „Ich hoffe, dass mein Buch dazu beitragen kann, dass der Schutz von Menschenrechten durch Verfahren eine prominentere Rolle im internationalen Diskurs bekommt“, sagt er.

Menschenrechte: Was in Deutschland anders als im Völkerrecht ist

Neben den menschenrechtlichen Gehalten hat Benedikt Behlert für seine Dissertation analysiert, wie Verfahrensrechte in Deutschland aus den Grundrechten in Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes hergeleitet werden und wie das Bundesverfassungsgericht dies vor allem seit den 1970er-Jahren begründet. „Anders als im Völkerrecht sind die Grundrechte in Deutschland hauptsächlich als Abwehrrechte gegen den Staat formuliert“, erklärt Behlert. Diese Formulierungen zielen darauf ab, Individuen vor Eingriffen durch den Staat zu schützen – Juristen sprechen von einer negativen Dimension, der Staat hat gewisse Dinge zu unterlassen. Eine positive Dimension hingegen wäre eine Formulierung, die Ansprüche benennt, welche Menschen auf Basis der Grund- oder Menschenrechte stellen können.

„Für das Bundesverfassungsgericht war es eine Herausforderung, den Schutz durch und im Verfahren aus den Grundrechten abzuleiten“, erklärt Behlert. Möglich war das nur mit einer komplizierten Begründung; daher hat es in Deutschland einen reichhaltigen Diskurs zu dem Thema gegeben. Dies ist im Völkerrecht zwar nicht der Fall. Denn in diesem sind die Menschenrechte direkt mit einer positiven und negativen Dimension formuliert. „Aber der Diskurs in Deutschland, in dem mit viel Mühe die positive Dimension aus den Grundrechten abgeleitet wurde, bekräftigt mich trotzdem darin, dass eine intensive Auseinandersetzung mit hergeleiteten Rechten und rechtstechnisch sauberen Begründungen sinnvoll ist“, sagt Behlert.

Das Bundesverfassungsgericht in Karslruhe
© Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

In seiner von Prof. Dr. Pierre Thielbörger betreuten Promotion beschäftigt sich der Jurist mit einer Aussage des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, welche besagt, dass ein angemessener Schutz durch und im Verfahren wesentlicher Bestandteil aller Menschenrechte sei (siehe Haupttext). Diese Aussage ist laut Behlert in Deutschland grundsätzlich gut umgesetzt. „Jedoch sicher nicht perfekt in allen Belangen“, schränkt er ein. Im Asylverfahren zeigten sich beispielsweise Defizite in der Praxis.

Förderung

Die Arbeiten von Benedikt Behlert wurden unterstützt vom Ryoichi Sasakawa Young Leaders Fellowship Fund und der Studienstiftung des deutschen Volkes.

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Veröffentlicht

Dienstag
12. Oktober 2021
09:17 Uhr

Dieser Artikel ist am 2. November 2021 in Rubin 2/2021 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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