Menschenrechte Vor dem Staat geschützt
Wenn staatliche Stellen eine Entscheidung fällen, ist auch wichtig, wie diese zustande gekommen ist. Inwiefern internationale Menschenrechte staatlichen Verwaltungen Vorgaben dafür machen, untersucht ein Bochumer Jurist.
Als deutsche Bürgerin oder deutscher Bürger genießt man viele Rechte, die einen vor dem Staat schützen. Selbst bei verhältnismäßig unbedeutenden Sachverhalten – etwa wenn man im Halteverbot geparkt hat – hat man ein Recht auf Anhörung und kann die eigene Sicht auf den Vorfall schildern. Die Behörde, die letztendlich über die Angelegenheit entscheidet, muss ihre Entscheidung zudem gegenüber dem betroffenen Bürger begründen. Das Verwaltungsverfahrensgesetz wird manchmal vielleicht als ein Zuviel an Bürokratie empfunden, dahinter verbirgt sich jedoch ein verfassungsrechtlich garantiertes hohes Gut. Inwiefern das Recht auf Schutz durch und im Verfahren auch aus internationalen Menschenrechtsverträgen herzuleiten ist, untersucht Benedikt Behlert in seiner Doktorarbeit am Institut für Friedenssicherungsrecht und humanitäres Völkerrecht und an der Juristischen Fakultät.
Ziele für nachhaltige Entwicklung
Der Ausgangspunkt seiner Analyse liegt im Jahr 1997, in dem der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – ein Organ, das über die Einhaltung bestimmter Völkerrechtsbestimmungen wacht – folgende Aussage tätigte: „Appropriate procedural protection and due process are essential aspects of all human rights […].“ Zu Deutsch in etwa: Ein angemessener Schutz im und durch Verfahren ist ein wesentlicher Aspekt aller Menschenrechte. „Dieser Satz wurde damals ohne Begründung oder Fußnoten präsentiert und auch auf explizite menschenrechtliche Vorschriften konnte sich der Ausschuss nicht berufen“, weiß Benedikt Behlert.
Ihn interessiert deshalb, ob sich das Recht auf Schutz durch und im Verfahren auch tatsächlich aus dem Völkerrecht ergibt und rechtstechnisch sauber herleiten lässt. Dazu nimmt er den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unter die Lupe. „Beide sind quasi universell gültig, rund 170 Staaten erkennen sie an“, sagt Behlert. „Viele Menschenrechte sind über diese Pakte abgedeckt, zum Beispiel das Recht auf Bildung oder Arbeit, das Recht auf freie Meinungsäußerung oder das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben.“
Auslegung vom Völkerrecht nicht rechtsbindend für Staaten
Über die Einhaltung dieser Rechte wachen der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der UN-Menschenrechtsausschuss. Sie legen die in den Pakten niedergeschriebenen Gesetzestexte aus und wenden sie an. Die Krux: Während die Pakte selbst für die Staaten rechtlich verbindlich sind, sind es die Auslegungen und Entscheidungen der Ausschüsse nicht. „Natürlich haben die Aussagen der Organe politische Kraft“, sagt Benedikt Behlert. „Aber die Staaten sind nicht zur Umsetzung verpflichtet.“ Was also nicht wasserdicht in den Pakten formuliert ist, kann umgangen werden. Und einige Länder tun dies regelmäßig. „Es gibt Staaten, gegen die über 100 sogenannte Views des Menschenrechtsausschusses in Bezug auf einzelne Fälle ergangen sind, und die keinen einzigen davon umgesetzt haben“, so Behlert.
Selbst wenn ich all die Dokumente lese, verstehe ich aus rechtswissenschaftlicher Sicht noch nicht, warum die Aussage so ist, wie sie ist.
Benedikt Behlert
Inwiefern also ist der Schutz durch und im Verfahren in den Pakten verankert und somit sichergestellt? Der Bochumer Jurist arbeitete nicht nur die Gesetzestexte der Pakte durch, sondern auch die 62 sogenannten General Comments, in denen die beiden Ausschüsse ihre Rechtsauffassungen zu den in den Pakten enthaltenen Rechten darlegen, sowie viele andere Dokumente dazu. Sein Fazit: Die Aussage, dass ein angemessener Schutz durch und im Verfahren ein wesentlicher Bestandteil der Menschenrechte sei, findet sich darin zwar nicht selten wieder. „Aber selbst wenn ich all die Dokumente lese, verstehe ich aus rechtswissenschaftlicher Sicht noch nicht, warum die Aussage so ist, wie sie ist“, resümiert der Wissenschaftler. Die Aussage wird von den Ausschüssen nicht sauber hergeleitet. „Es ist eher ein Postulat“, so der Forscher weiter. „Häufig ist das so, wenn Inhalte in den Pakten weiterentwickelt werden sollen, das ist auch legitim – aber es führt dazu, dass Raum für Interpretationen bleibt.“ Was bedeutet „angemessener Schutz“? Und warum ist dieser Schutz ein wesentlicher Bestandteil aller Menschenrechte? Diese Fragen bleiben offen.
Eine gut begründete Argumentation macht Menschenrechte robuster
Benedikt Behlert versucht nun, diese Fragen zu beantworten. „Wenn menschenrechtliche Postulate gut begründet und sauber hergeleitet sind, haben Staaten weniger Möglichkeiten, sich darüber hinwegzusetzen“, erklärt er. „Gerade im Moment, wo die Menschenrechte wieder vielfältigen Angriffen ausgesetzt sind, wäre das wichtig.“ Der Wissenschaftler arbeitet derzeit daran, eine rechtstechnisch saubere Argumentation aufzusetzen und Kriterien dafür zu entwickeln, wie man einen angemessenen Schutz in Bezug auf verschiedene Menschenrechte definieren könnte. Voraussichtlich 2022 will er die Erkenntnisse im Rahmen seiner Dissertation publizieren. „Ich hoffe, dass mein Buch dazu beitragen kann, dass der Schutz von Menschenrechten durch Verfahren eine prominentere Rolle im internationalen Diskurs bekommt“, sagt er.