Die tropischen Korallenriffe erstrecken sich kilometerweit entlang des Äquators und bieten unzähligen Tieren und Pflanzen einen Lebensraum.
© Fabian Gösser

Biodiversität Wie ein Wald unter Wasser

Die globale Erwärmung und die Versauerung der Ozeane gefährden den artenreichen Lebensraum Korallenriff. Steinkorallen können aber auf den Klimawandel reagieren und ihm einiges entgegensetzen.

Gelb, Grün, Blau, Lila, Pink – das kleine Korallenriff im Aquarien-Labor des Lehrstuhls für Evolutionsökologie und Biodiversität der Tiere von Prof. Dr. Ralph Tollrian erinnert an einen farbenfrohen, tropischen Regenwald unter Wasser. Doktorand Fabian Gösser erforscht hier zusammen mit Dr. Maximilian Schweinsberg die Reaktionen von Steinkorallen auf sich verändernde Umweltbedingungen, wie etwa den Anstieg der Meerestemperatur. Vor allem interessiert sich Gösser für das Phänomen des Polyp-Bailouts, zu Deutsch die Ausbürgerung von kleinen, knospenähnlichen Einzelkorallen, den sogenannten Polypen. Bei Stress löst sich der Verbund der Polypen auf. Die einzelnen Polypen können sich andernorts ansiedeln und neue Korallenkolonien bilden. Das Phänomen des Polyp-Bailouts wurde bislang wenig untersucht –  ebenso wenig, wie das Potenzial dieser Reaktion für das Überleben der Riffe.

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Lebensraum Korallenriff

Steinkorallen gehören zu den Nesseltieren und können Kalkskelette bilden. „Auf diese Weise sind sie in der Lage, massive Strukturen und gewaltige Riffe zu formen“, erklärt RUB-Biologe Fabian Gösser. Das wohl bekannteste Riff ist das Great Barrier Reef, das sich rund 2.300 Kilometer entlang der australischen Küste erstreckt. Solche Riffe bieten einen einzigartigen marinen Lebensraum für unzählige Arten. „Hier quillt es nur so über vor Leben. Die Korallen bilden mit vielen anderen Lebewesen eine stark vernetzte Gemeinschaft mit vielen direkten Abhängigkeiten und kurzen Nährstoffkreisläufen“, beschreibt der Doktorand die Faszination Korallenriff. Besonders beeindruckend ist die Symbiose zwischen Algen und Korallen. So leben kleine, einzellige Algen aus der Gruppe der Dinoflagellaten in den Steinkorallen und helfen ihnen bei der Kalkbildung. „Die Korallen bieten diesen Algen nicht nur einen geschützten Lebensraum, sondern auch CO2 und Nährstoffe. Im Gegenzug geben die Algen den Korallen Fotosynthese-Produkte wie Zucker und Lipide ab“, erläutert Gösser das symbiotische Zusammenspiel.

Korallenbleiche

Dass der marine Lebensraum von den Auswirkungen des Klimawandels nicht verschont bleibt, musste unlängst festgestellt werden. Schon jetzt beobachten Meeresbiologinnen und Meeresbiologen in den Sommermonaten, wie die erhöhte Wassertemperatur global zur Korallenbleiche führt. Bleiben die Temperaturen hoch, kommt es zum Korallensterben. „Der Anstieg der Temperatur stört die Symbiose von Korallen und Algen. Wenn die für die Färbung der Korallen verantwortlichen Algen sterben, bekommen die Korallen ein weißes, bleiches Aussehen. Auf die Dauer halten die Korallen das nicht aus. Sterben sie, sterben mit ihnen noch weitere Rifforganismen“, erklärt Gösser die Folgen des Klimawandels.

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Doch nicht nur die Hitze gibt der Wissenschaft Anlass zur Sorge. So erschwert der Anstieg des CO2-Gehaltes im Meer die Kalkbildung. „Die Aufnahme des atmosphärischen CO2 hat zur Versauerung der Ozeane geführt. Der pH-Wert der Meere ist in den vergangenen Jahren messbar gesunken“, erläutert der RUB-Wissenschaftler. Das wirkt sich auch auf die Korallen aus. „Es fällt ihnen schwerer, Kalziumcarbonat zu bilden, denn das ist bei niedrigerem pH-Wert deutlich löslicher. Forschende haben bei einigen Korallenarten beobachtet, wie die Skelette poröser geworden sind und die Wachstumsraten abgenommen haben“, so Gösser weiter. Auch die Diversität der Korallenarten an bestimmten Riffen habe abgenommen. „Man geht fest davon aus, dass wir die Korallenriffe in ihrer jetzigen Form verlieren werden, wenn es mit der Erderwärmung so weitergeht“, fasst der Biologe die weitverbreitete Meinung in der Fachwelt zusammen. „Wenn die Steinkorallen aussterben, verschwinden auch viele Rifforganismen, wie etwa die farbenfrohen Fische. Das zeigt sich bereits an betroffenen Riffen."

Korallen unter Stress

Das Bochumer Forschungsteam möchte die Reaktionen der Korallen auf die Klimaveränderungen im Detail nachvollziehen. Dazu führen sie Experimente in ihren Forschungsbecken durch, bei denen sie die Temperatur, den CO2-Gehalt und den Salzgehalt verändern.

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„Wir unterziehen die Korallen einem Stresstest und geben noch dramatischere Umweltbedingungen vor“, erläutert Gösser das Vorgehen. Die Biologen konnten bereits feststellen, dass unterschiedliche Korallenarten auch unterschiedlich stark auf die Stressoren, etwa einen Anstieg des Salzgehalts, reagieren. „Es gibt robustere und sensitivere Arten“, fasst Gösser zusammen.

Wenn Polypen das sinkende Schiff verlassen

Besonders faszinierend findet der RUB-Biologe die Polyp-Bailout-Reaktion, die er bei den Steinkorallen beobachten konnte. „Die einzelnen Polypen haben sich als Reaktion auf einen Temperaturanstieg um vier Grad Celsius über ihrer Toleranz aus der Korallenkolonie gelöst und sozusagen das sinkende Schiff verlassen“, erklärt Gösser. Noch erstaunlicher sei es, dass diese Polypen in der Lage waren, an anderer Stelle weiterzuwachsen. Der Doktorand erläutert die Bedeutung der Reaktion: „Selbst, wenn nur ein geringer Anteil den Ablösungsprozess überlebt, hätte das immense Folgen für den Erhalt der Korallenpopulation, die genetische Diversität, das Überleben der Riffe.“

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Die Stressreaktion genetisch verstehen

Die Frage, die den Wissenschaftler umtreibt: Warum kann ein Temperaturanstieg sowohl zur Korallenbleiche als auch zur Polypen-Abstoßung führen? Was bedingt das unterschiedliche Ergebnis? Um die Reaktion genauer zu verstehen, schaut sich Gösser daher den Bailout-Prozess auf molekularer Ebene an. Er analysiert, was mit den Polypen passiert, wenn diese abgetrennt werden und welche Gene während des Bailout-Prozesses angeschaltet sind. Dazu extrahiert der Biologe zunächst die DNA und RNA aus Gewebeproben von Steinkorallen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Bailout-Prozesses genommen wurden. Anschließend sequenziert er die komplette Messenger-RNA, die die Informationen der aktiven Gene als Botschafter überträgt, und vergleicht die Basenabfolge mit bereits entschlüsselten Genomen. „Schon jetzt sehen wir, dass beim Bailout-Prozess Gene angeschaltet sind, die beim Menschen beispielsweise für Immunreaktionen verantwortlich sind“, erklärt der Biologe die ersten Ergebnisse.

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Stressresistente Chimären

Unterdessen erforscht sein Betreuer Maximilian Schweinsberg die molekulare Zusammensetzung von sogenannten Chimären, das heißt Korallenkolonien, die aus mehreren Individuen bestehen. „Das kommt häufig in Korallenriffen vor“, weiß Gösser. „Von außen sieht die Koralle aus wie ein Organismus, aber schaut man sich die Koralle auf molekularer Ebene an, stellt man fest, dass hier mehrere Genotypen miteinander verschmolzen sein können.“ Bei den Stresstests am Lehrstuhl zeigten sich die Chimären deutlich fitter als Korallen, die nur aus einem Genotyp bestehen. „Wenn eine Korallenkolonie auf mehr als einen Grundstock an genetischem Material zurückgreifen kann, ist die Hoffnung groß, dass dieses erhöhte genetische Repertoire die Überlebenschance der Kolonie verbessern kann“, erläutert der Doktorand das Potenzial von Chimären.

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Der Evolution auf die Sprünge helfen

Könnte man folglich hybride Korallen-Systeme mit besonderen Überlebensfähigkeiten heranzüchten, die den Klimaveränderungen Stand halten können? Und darf der Mensch überhaupt gezielt in den marinen Lebensraum eingreifen, um ihn zu erhalten? Diese Fragen stellen sich nicht nur die Korallenforscher an der RUB. Die Idee der sogenannten assisted evolution wird weltweit kontrovers diskutiert. Forscherinnen und Forscher arbeiten bereits an Konzepten zur künstlichen Korallenerhaltung. Für die assisted evolution ist ein molekulares Verständnis der Korallen unabdingbar. Die Bochumer Wissenschaftler erarbeiten ebendiese Grundlagen – um dem Klimawandel einen Schritt voraus zu sein.

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Ziele für nachhaltige Entwicklung

Im Jahr 2015 haben sich die Vereinten Nationen auf 17 dringende Handlungsfelder verständigt, die von der Beendigung der Armut und des Hungers bis hin zu Klimaschutz, Gleichstellung oder oder Transparenz in Institutionen reichen. Die Agenda für nachhaltige Entwicklung ist ein Fahrplan bis zum Jahr 2030, der sich an Regierungen weltweit, aber auch an die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft und die Wissenschaft richtet – alle sollen ihr Handeln an den Zielen ausrichten. Die Vision ist, Menschen in aller Welt ein Leben in Wohlstand und Frieden zu ermöglichen und unseren Planeten vor weiterer Schädigung zu schützen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der RUB tragen mit ihrer Forschung zu der Agenda 2030 bei.

Die Forschung von Fabian Gösser trägt zu Ziel 14 „Leben unter Wasser“ bei.

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Veröffentlicht

Dienstag
02. November 2021
09:24 Uhr

Dieser Artikel ist am 2. November 2021 in Rubin 2/2021 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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