Geschichte Japans Digitaler Einblick in 163 Jahre Unternehmensgeschichte
Das Handelsunternehmen Illies hat viel zur Modernisierung Japans beigetragen – das geht unter anderem aus dem Projekt „Digitale Edition der Kniffler-Briefe“ hervor.
1859 begann die Integration Japans in den modernen Welthandel. Sogenannte Vertragshäfen wurden für ausländische Handelsunternehmen geöffnet. Über das gesellschaftliche Leben in diesen Enklaven, in denen euroamerikanische, chinesische und japanische Kaufleute im 19. Jahrhundert miteinander interagierten, ist aus veröffentlichten Quellen wie Privatbriefen, Memoiren oder auch Tagebüchern von Kaufleuten verschiedener Nationalität bereits viel bekannt. Kaum überliefert sind hingegen Geschäftsbriefe, auf deren Grundlage sich die konkrete Handelstätigkeit der Unternehmen rekonstruieren lässt.
Das macht den besonderen Wert der Überlieferung der Firma Illies, ehemals L. Kniffler & Co., aus, die im Projekt „Digitale Edition der Kniffler-Briefe“ einen näheren Einblick in die Geschichte des Handelsunternehmens gibt. Geleitet wird das Projekt von Prof. Dr. Katja Schmidtpott, Inhaberin des Lehrstuhls Geschichte Japans an der RUB. Gemeinsam mit Marc Scheffer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl, hat sie rund 156 Briefe gesammelt, digitalisiert, transkribiert, und annotiert. Zu finden ist das Ergebnis auf der Webseite.
Das Vorhaben, die Briefe zu edieren, geht auf das Jahr 2009 zurück, als Katja Schmidtpott mit zwei weiteren Historikern an der Rekonstruktion der 150-jährigen Unternehmensgeschichte von C. Illies & Co. beteiligt war. „Mir ist schnell bewusst geworden, dass die Briefe eine sehr wertvolle Quelle sind“, so die Forscherin. „Unternehmen, die in der damaligen Zeit in Japan aktiv waren und es bis heute noch sind, gibt es kaum. Und Unternehmensüberlieferungen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts sind noch seltener.“ Seit dem Erscheinen der Unternehmensgeschichte wurde immer wieder Interesse an den „Kniffler-Briefen“ aus der internationalen Community geäußert. Mit Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW konnte das Projekt 2018 endlich in Angriff genommen werden.
Dabei sind die edierten Briefe vermutlich nur ein Bruchteil der gesamten internationalen Geschäftskorrespondenz des Unternehmens. Mit Veröffentlichung der digitalen Edition hofft das Projektteam, dass sich weitere Briefe finden, von denen es bisher keine Kenntnis gibt – vor allem, was die japanseitige Handelskorrespondenz betrifft, die sich bisher kaum in den Briefen wiederfindet. Neben der internationalen Sichtbarkeit, die durch die Digitalisierung und die Übersetzung der Briefe ins Englische erhöht wird, bietet die Edition weitere Vorteile, wie leichtere Verfügbarkeit, stetige Erweiterbarkeit sowie die Möglichkeit zur maschinellen Auswertung.
Aufbereitung der Briefe eröffnet neue Forschungsmöglichkeiten
Mit den technischen Mitteln wird eine neue Datengrundlage gelegt, die für spätere Forschungsprojekte zur Mikrogeschichte der Globalisierung des Handels im 19. Jahrhundert auswertbar ist. „Es werden neue Fragestellungen generiert“, meint Katja Schmidtpott. „Man kann dementsprechend später andere Anwendungen über diese Daten laufen lassen und so einen erweiterten Forschungsspielraum gewinnen, was etwa die Entwicklung von Preisen oder Warenströmen betrifft. Die bisherige Forschung ist außerdem sehr auf die großen britischen und US-amerikanischen Handelshäuser konzentriert, die in dieser Zeit den Asienhandel dominierten. Aber wie schafften es die vergleichsweise kleinen Handelsunternehmen anderer Nationalitäten, sich in Japan durchzusetzen?“
Auch Marc Scheffer (Japanologie) ist der Ansicht, dass digitale Editionen einen anderen Zugang zu Texten ermöglichen. Er ist seit 2020 als Nachfolger von Tristan Pfeil (Sozial- und Wirtschaftsgeschichte) an dem Projekt beteiligt und für das Webseitendesign, das Forschungsdatenmanagement sowie die Programmierung des Formats verantwortlich. „Sich in digitale Methoden einzuarbeiten ist eine kleine Herausforderung, aber auch eine sehr belohnende Arbeit. Texte durchsuchbar zu machen oder parallele Darstellungen von Übersetzungen und Transkriptionen vorliegen zu haben, eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Forschung“, so Scheffer.
Das Projekt beweist: Digital Humanities nehmen auch an der RUB einen immer größeren Raum ein. „Man kann beobachten, dass in den Geisteswissenschaften mehr und mehr Projekte entstehen“, erklärt die Forscherin. Als Co-Sprecherin des Netzwerks Digital Humanities an der RUB setzt sie sich gemeinsam mit Co-Sprecher Dr. Frederik Elwert (CERES) und den Vorstandsmitgliedern Prof. Dr. Stefanie Dipper (Fakultät für Philologie) und Prof. Dr. Kianoosh Rezania (CERES) für den Einsatz digitaler Verfahren und Ressourcen in der geisteswissenschaftlichen Forschung ein. Das Projekt verdankt dem Digital Humanities Center an der UB der RUB vielfältige technische Unterstützung.