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Fair bezahlt
Ein Termin spät am Abend, eine Dienstreise am Wochenende und nächste Woche ruft der Start eines Projekts, das es zu managen gilt. Flexibel bleiben, heißt es in diesen Tagen im Job. Am Ende des Monats flattert dann die Gehaltsabrechnung rein. Darauf die gleiche Summe wie im Monat zuvor und im Monat davor. Immer dasselbe Gehalt bei wechselnden Anforderungen. Ist das noch zeitgemäß?
In der heutigen Arbeitswelt passen Berufsbilder und Tätigkeiten kaum noch in ein festes Raster. Wie sich moderne Arbeit fair bezahlen lässt und ob Entgelt-Tarifverträge ein Auslaufmodell sind, interessiert Dr. Claudia Niewerth. Sie ist Wissenschaftlerin in der Gemeinsamen Arbeitsstelle der RUB und der IG Metall und sagt: „Es gibt viele Studien zu Managergehältern. Aber es sind auch die – in Anführungszeichen – normalen Beschäftigten, die sich in veränderten Arbeitsformen wiederfinden.“ Wie sich das im Vergütungssystem abbilden lässt, treibt sie um. Dabei weiß sie, dass die Frage nicht leicht zu beantworten ist. „Über Geld zu forschen ist immer schwer“, so Claudia Niewerth. „Fragen nach fairer Bezahlung werden wenig objektiv betrachtet, das Thema ist schnell emotional aufgeladen, und das ist auch nicht verwunderlich.“
Trotzdem ist die Sozialwissenschaftlerin auf diesem Forschungsgebiet seit vielen Jahren aktiv – ihr Lieblingsthema, wie sie sagt. Claudia Niewerth hat sich bestehende Tarifverträge sowie Vergütungsvereinbarungen aus der freien Wirtschaft angeschaut, Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften geführt und Gruppenworkshops mit Beschäftigten und Betriebsräten abgehalten. Aus den Dokumenten und Gesprächen hat sie zehn Merkmale abgeleitet, die moderne Vergütungssysteme erfüllen sollten.
1. Grund- und Leistungsentgelte sollten entkoppelt sein
Während das Grundentgelt vergütet, was ein Mensch tut, vergütet das Leistungsentgelt, wie er es tut. Viele Beschäftigte wünschen sich eine Leistungsvergütung. „Aber das gut hinzubekommen ist nicht leicht“, sagt Claudia Niewerth. Der Trend gehe dahin, dass variable Anteile am Gehalt immer größer würden. „Das ist nicht gut, weil das Gehalt dadurch instabil wird“, sagt die Forscherin. „Es braucht gute Konzepte für beides: Grund- und Leistungsentgelte. Man beschäftigt sich viel mit der Leistungsvergütung, aber herzlich wenig mit der Grundvergütung, dabei sollte die den größeren Teil des Gehalts ausmachen.“ Das Grundentgelt sollte dabei unabhängig vom Leistungsentgelt definiert sein.
2. Grundentgelt muss Merkmale moderner Arbeit berücksichtigen
Moderne Arbeit erschöpft sich nicht in bestimmten fachlichen Tätigkeiten. Ebenso wichtig sind Skills wie Flexibilität, Selbstorganisation und Kommunikation. Auch solche Kriterien sollten im Grundentgelt berücksichtigt sein.
3. Gehalt sollte Anforderungen der Stelle widerspiegeln
Es reicht nicht mehr, nur nach Qualifikation zu vergüten, also das Gehalt von einem bestimmten Schul- oder Ausbildungsabschluss abhängig zu machen. Vielmehr sollte sich das Gehalt nach dem richten, was die Stelle dem oder der Beschäftigten abverlangt und welche Kompetenzen dafür erforderlich sind.
4. Messbare Kriterien für gute Arbeit definieren
Wenn es um leistungsbezogene Bezahlung geht, beurteilt in der Regel der Chef oder die Chefin, wer welchen Bonus erhalten soll. „Es ist dabei ganz schwer, die individuelle Beziehung zwischen Beschäftigten und Vorgesetzten auszublenden“, so Niewerth. „Viele sagen, dass ihnen aber kein besseres System einfällt – und ich habe auch kein Patentrezept. Aber man muss sich damit auseinandersetzen.“ In einem Unternehmen, so schildert die Wissenschaftlerin, habe man sich beispielsweise darauf verständigt, dass schneller nicht immer mit besser gleichzusetzen ist. „Es wurde festgelegt, dass es reicht, wenn Aufgaben zum vereinbarten Zeitpunkt erledigt sind. Man ist nicht besser, nur weil man früher fertig ist.“ Denn das könne Stress erzeugen, der gar nicht gewünscht sei.
5. Teamvergütungen einführen
In der modernen Arbeitswelt rückt Projektarbeit und somit Teamarbeit immer mehr in den Fokus. Oft organisieren sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Teams selbst und nur das Ergebnis der Gruppe zählt. „Da ist es eigentlich paradox, am Ende nicht die Leistung des Teams, sondern die Leistung der Einzelnen zu vergüten“, sagt Claudia Niewerth. Trotz aller Herausforderungen plädiert sie dafür, über eine Teamvergütung nachzudenken. „Natürlich ist der Mensch, wie er ist, und es wird Diskussionen um die sogenannten High- und Low-Performer geben oder um die Leistungsfähigkeit in Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung. Aber diese Narrative sollten wir aufbrechen.“
6. Keine atmenden Vergütungssysteme erzeugen
Weil Flexibilität heutzutage so stark im Fokus steht, wird auch über sogenannte atmende Vergütungssysteme nachgedacht. Die Idee: Das Gehalt richtet sich nach der Wertigkeit der Aufgaben, die im jeweiligen Monat erledigt wurden. Wenn eine Mitarbeiterin zwei Wochen als Projektleiterin fungieren und zwei Wochen Kopierarbeiten erledigen würde, würde sie entsprechend weniger verdienen, als wenn sie vier Wochen Projektleiterin gewesen wäre. „Ich glaube, dass solche atmenden Systeme Probleme erzeugen“, sagt Niewerth. „Die Vergütung wäre dann nicht mehr verlässlich. Man sollte immer die gesamte Tätigkeit betrachten. Bloß weil man mal bei einfacheren Aufgaben mit anpackt, sollte das nicht den Wert der eigentlichen Arbeit schmälern.“
7. Rollen mehr in den Fokus rücken
Ein modernes Vergütungskonzept sollte sich mehr mit Rollen auseinandersetzen und weniger mit Stellen und Funktionen. Denn die moderne Arbeitswelt verlangt den Menschen häufig ab, in wechselnde Rollen zu schlüpfen – etwa eine Projektleitung zu übernehmen, gleichzeitig aber auch noch in zwei anderen Projekten mitzuarbeiten. Im Managementbereich gibt es bereits Rollenkonzepte für die Vergütung. Das könnte für andere Hierarchieebenen ebenfalls interessant sein. „Man muss allerdings aufpassen, dass dadurch keine atmenden Systeme entstehen“, mein Claudia Niewerth. Denkbar wäre eine feste Grundvergütung, die durch Zulagen aufgestockt würde, wenn jemand eine Rolle übernimmt.
Dieser Artikel ist im Wissenschaftsmagazin Rubin erschienen. Rubin kann kostenlos als Newsletter oder Printausgabe abonniert werden.
8. Betroffene mehr in Aushandlungen einbeziehen
Beschäftigte sollten sich intensiver mit ihren Vergütungssystemen auseinandersetzen dürfen, meint Claudia Niewerth. Nicht nur die Tarif- und Betriebsparteien, auch die Beschäftigten sollten zukünftig stärker in die Aushandlung von betrieblichen Vergütungen einbezogen werden. Man könnte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise in die Definition von Leistungskriterien für betriebsspezifische Vergütungssysteme einbinden. Tarifverträge würden dadurch nicht überflüssig. Sie müssten nur Freiraum für betriebsspezifische Lösungen lassen, die trotzdem nicht die Sicherheiten aushebeln dürften, die der Tarifvertrag bietet.
9. Kollektive Vertragswerke erhalten
Vergütungen in modernen Organisationen müssen sich in Tarifverträgen oder betrieblichen Vereinbarungen abbilden lassen. Die Bezahlung sollte also nicht für jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin einzeln ausgehandelt werden. „Tarifverträge gehören nicht der alten Welt an, sie können auch die moderne Arbeitswelt abbilden“, betont Niewerth. Denn kollektive Regelwerke stärken die Rechte der Beschäftigten.
10. Arbeit differenziert bewerten
Um den Wert von Arbeit zu bestimmen, können zwei Verfahren herangezogen werden: ein summarisches und ein analytisches. Dadurch werden Stellen oder Funktionen zu Entgeltgruppen zugeordnet. Häufig wird das summarische Verfahren genutzt, weil es leichter anwendbar ist. Laut Claudia Niewerth fehlen hier aber Möglichkeiten, Arbeit differenziert nach bedeutsamen Kriterien zu bewerten. Daher plädiert sie für analytische Arbeitsbewertungssysteme. „In der Analytik können wir Kriterien zur Geltung kommen lassen, die in der modernen Arbeit wichtig sind.“
Claudia Niewerth: Der Wert von Arbeit. Vergütungskonzepte in neuen Formen der Arbeitsorganisation, in: Rainer Hampp (Herausgeber), Schriftenreihe Arbeitsmarkt und betriebliche Personalpolitik, Helex Institut, Nomos Verlag, Baden-Baden 2022, DOI: 10.5771/9783957102942-1
29. September 2022
08.57 Uhr