Alleinsein ist nicht mit Einsamkeit zu verwechseln. Wenige soziale Kontakte sind aber ein Risikofaktor für Einsamkeit. © RUB, Kramer

Psychologie Gemeinsam einsam

Das Gefühl der Einsamkeit kennen wir alle. Warum wir uns manchmal so fühlen, was das Gefühl begünstigt, wie es wirkt und was wir dagegen unternehmen können.

Während der Corona-Pandemie haben plötzlich viele unter dem Fehlen menschlicher Wärme im Alltag gelitten. Einige haben in dieser Zeit große Solidarität und Fürsorge erfahren. Andere fühlten sich alleingelassen. Das Thema Einsamkeit ist dadurch in den Fokus gerückt. An der Ruhr-Universität Bochum ist es das schon lange. Das Team der Arbeitsgruppe Psychologische Methodenlehre forscht seit vielen Jahren zu Einsamkeit. Im Interview erzählen Prof. Dr. Maike Luhmann und Doktorandin Debora Brickau, wie verbreitet Einsamkeit ist, wer ein besonders großes Risiko hat, sich einsam zu fühlen, und was die Folgen davon sind.

Frau Brickau, Sie befassen sich in Ihrer Promotion mit dem Thema Einsamkeit – ein klassisches Tabuthema. Ist es für Sie leicht, über Einsamkeit zu sprechen?
Debora Brickau: Mir persönlich fällt es nicht so schwer, über Einsamkeit zu sprechen. Der Begriff ist oft negativ behaftet, aber ich möchte das Stigma wegnehmen und mich anderen gegenüber öffnen, um es ihnen leichter zu machen, mit mir über das Thema zu reden.

Frau Professorin Luhmann, Sie haben sich bereits intensiv mit Einsamkeit befasst. Was ist die Motivation für diese Forschung?
Maike Luhmann: Ein Grund, warum ich das Thema so spannend finde, ist die gesellschaftliche Relevanz von Einsamkeit. Fast jeder Mensch fühlt sich in seinem Leben einmal einsam. Früher wurde darüber kaum gesprochen, im Studium habe ich beispielsweise nichts dazu gelernt. Aber seit der Corona-Pandemie ist Einsamkeit auch in der Öffentlichkeit ein Thema.

Forschen gemeinsam an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema Einsamkeit: Peter Mohr, Bernd Schäfer, Debora Brickau und Maike Luhmann (von links) © RUB, Kramer

Sind durch die Pandemie mehr Menschen einsam geworden?
Luhmann: Während der Pandemie haben deutlich mehr Menschen unter Einsamkeit gelitten als zuvor. Und vor allem waren andere Altersgruppen betroffen. Vorher war Einsamkeit am stärksten in der Gruppe der 80-Jährigen und Älteren verbreitet. In der Pandemie waren die 18- bis 30-Jährigen besonders einsam.

Einsamkeit ist kein binäres Phänomen, das entweder da ist oder nicht.


Maike Luhmann

Gibt es dazu auch Zahlen?
Luhmann: Genaue Prozentzahlen zu nennen ist schwierig. Einsamkeit ist kein binäres Phänomen, das entweder da ist oder nicht. Es ist ein Kontinuum. Manche Menschen erleben Einsamkeit selten im Leben, manche hin und wieder und manche fühlen sich fast immer einsam. Man kann keine klare Grenze ziehen, ab wann jemand einsam ist. Studien können aber Anhaltspunkte geben: In einer Auswertung des Sozioökonomischen Panels waren zwischen 2013 und 2017 etwa 14,5 Prozent der unter 30-Jährigen manchmal oder öfter einsam. Während der Corona-Pandemie ging dieser Wert auf etwa 48 Prozent hoch. Auch wenn man mit den genauen Prozentzahlen vorsichtig sein muss, wird klar, dass es einen deutlichen Anstieg gab.

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Mittlerweile hat sich das soziale Miteinander normalisiert. Ist die Einsamkeit unter den Jugendlichen wieder zurückgegangen?
Luhmann: Das untersuchen wir derzeit mit unseren Partnern der Universitätsallianz Ruhr in Dortmund und Duisburg-Essen im Auftrag der Staatskanzlei NRW. Wir haben in zwei verschiedenen Studien insgesamt 2.000 Jugendliche und junge Erwachsene aus NRW zu Einsamkeit befragt. Ziel ist es herauszufinden, wie einsam sie sich fühlen, welche Risikofaktoren für Einsamkeit es in dieser Gruppe gibt und mit welchen Strategien sie versuchen, das negative Gefühl zu bewältigen.

Welche Ergebnisse erwarten Sie?
Luhmann: Ich rechne mit erhöhten Einsamkeitswerten bei den Jugendlichen*. Natürlich lasse ich mich aber gern positiv überraschen, wenn sie niedriger ausfallen als erwartet.

Nun haben wir schon viel über Einsamkeit gesprochen. Ab wann ist ein Mensch eigentlich einsam?
Brickau: Einsamkeit ist definiert als das negative Gefühl, dass die sozialen Bedürfnisse sowohl quantitativ als auch qualitativ nicht ausreichend befriedigt werden. Einsamkeit darf aber nicht mit sozialer Isolation verwechselt werden. Man kann viele soziale Kontakte haben und sich trotzdem einsam fühlen. Ebenso kann man sich auch mit wenigen sozialen Kontakten nicht einsam fühlen. Nicht zu verwechseln ist der Begriff mit dem Alleinsein. Alleinsein wird häufig als etwas Positives erlebt, zum Beispiel wenn man allein in die Natur geht. Einsamkeit ist immer etwas emotional Negatives.

Aber viele soziale Kontakte helfen sicher gegen Einsamkeit.
Brickau: Wer viele soziale Kontakte hat, hat in der Tat ein geringeres Risiko, einsam zu sein. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Begegnungsorte einen Einfluss auf das Einsamkeitserleben haben. Eine Studie in Deutschland hat beispielsweise gezeigt, dass die wahrgenommene Entfernung zu öffentlichen Parks sowie Sport- und Freizeiteinrichtungen mit Einsamkeit zusammenhängt. Wichtig ist vor allem, dass die Begegnungsorte ohne Kosten aufgesucht werden können. Viele Begegnungsorte wie zum Beispiel Restaurants, Nachtclubs, oder auch das Theater sowie Museen sind mit Kosten verbunden. Daher sind geringe finanzielle Mittel ein weiterer Risikofaktor für Einsamkeit.

Luhmann: Auch Menschen ohne Partnerin oder Partner fühlen sich im Durchschnitt öfter einsam – was natürlich nicht heißt, dass jeder Single einsam ist. Gesundheitliche Beeinträchtigungen, die eine Teilhabe im Alltag einschränken, sind ebenfalls ein Risikofaktor.

Gibt es Länder, in denen sich die Menschen einsamer fühlen als in anderen?
Luhmann: Eine Studie vor der Pandemie hat gezeigt, dass Menschen in südlichen und östlichen EU-Ländern einsamer sind als in anderen Regionen der EU. In Spanien und Italien beispielsweise fühlten sich die Menschen häufiger einsam. Da spielen Faktoren wie sozioökonomischer Status, Gesundheit oder Arbeitslosigkeit mit rein.

Was tun bei Einsamkeit?

„Das Gefühl der Einsamkeit hat eine evolutionäre Bedeutung“, erklärt Peter Mohr, Doktorand im Team von Maike Luhmann und Mitarbeiter im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit. Denn Menschen sind soziale Wesen. „Einsamkeit soll uns motivieren, Kontakte zu suchen. Gelingt uns das nicht, empfinden wir die Situation irgendwann als bedrohlich“, so der Forscher. Wer sich einsam fühlt, sollte sich trauen, Orte aufzusuchen, an denen Menschen sich begegnen können, sich etwa einer Gruppe anschließen. „Natürlich gibt es Situationen, in denen es schwer ist, zusätzliche Kontakte zu suchen, zum Beispiel wenn man körperlich eingeschränkt ist“, sagt Peter Mohr. „Dann kann es helfen, die Erwartungen anzupassen. Menschen können lernen, die Situation zu akzeptieren, wie sie ist.“ Manchmal helfe ein humorvoller Umgang mit der Situation oder auch Ablenkung, etwa durch digitale Medien.

Während digitale Tools wie Soziale Medien vor der Pandemie eher Risikofaktoren für Einsamkeit waren, haben sie während der Pandemie auch ihre positiven Seiten gezeigt. Werden sie als Werkzeug für die soziale Interaktion eingesetzt, können sie nützlich sein. Passiver Konsum hingegen kann das Gefühl der Einsamkeit verstärken.

Einsamkeit kann auch chronisch werden. Dann fällt es Menschen immer schwerer, Kontakte zu suchen. Es kommt zu kognitiven Verzerrungen: Eigentlich neutrale Situationen werden negativ bewertet, eine Negativspirale entsteht. In solchen Situationen können psychotherapeutische Strategien helfen.

Mittlerweile ist Einsamkeit auch auf der politischen Agenda angekommen.
Luhmann: Ja, das begann 2018, als in Großbritannien eine Einsamkeitsministerin berufen wurde. So rückte das Thema auch in anderen Ländern auf die politische Tagesordnung. In NRW wurde beispielsweise schon vor der Corona-Pandemie eine Enquete-Kommission dazu eingesetzt, an der ich als Sachverständige beteiligt war.

Ich empfinde es als meine Verantwortung als Wissenschaftlerin, mich nicht zu verstecken, sondern mich zu äußern, wenn ich etwas zu sagen habe.


Maike Luhmann

Ist Ihnen das politische Engagement wichtig?
Luhmann: Für mich ist das die Möglichkeit schlechthin mitzugestalten. Ich empfinde es als meine Verantwortung als Wissenschaftlerin, mich nicht zu verstecken, sondern mich zu äußern, wenn ich etwas zu sagen habe. Das macht nicht immer Spaß, aber es ist immer interessant.

Maike Luhmann ist an der Ruhr-Universität Bochum Professorin für Psychologische Methodenlehre. © RUB, Kramer

Was war das Fazit der Enquete-Kommission?
Luhmann: Die Kommission hat der Staatskanzlei NRW empfohlen, einen Einsamkeitsbeauftragten einzusetzen und mehr Wissen über die Mechanismen der Einsamkeit zu sammeln. Denn letztendlich ist Einsamkeit auch ein gesellschaftliches Problem.

Inwiefern?
Luhmann: Es gibt beispielsweise Studien, die zeigen, dass Jugendliche, die unter Einsamkeit leiden, schlechtere Schulleistungen zeigen und später weniger Erfolg im Beruf haben. Wer in jungen Jahren einsam ist, bleibt häufig auch in höherem Alter einsam. Daher ist es wichtig, früh Strategien dagegen zu finden. Mein Kollege Alexander Langenkamp aus Frankfurt hat außerdem gezeigt, dass einsame Menschen dazu neigen, sich weniger gesellschaftlich und politisch zu engagieren – und häufig extremere Einstellungen haben, beispielsweise öfter rechts wählen.

Brickau: Einsamkeit kann weitreichende Folgen haben – psychisch und körperlich. Sie kann zu Depressionen oder Angststörungen führen, aber auch zu Fettleibigkeit oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Einsamkeit wird auch mit einer kürzeren Lebensdauer in Verbindung gebracht. Daher ist es wichtig, mehr zu diesem Thema zu forschen.

* Die Ergebnisse dieser Studie lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Sie werden Ende November 2023 veröffentlicht.

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Veröffentlicht

Montag
13. November 2023
09:21 Uhr

Dieser Artikel ist am 1. Dezember 2023 in Rubin 2/2023 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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