Bauwesen Tunnelbau mithilfe eines Eismantels
Wenn der Boden schwierig ist oder Grundwasser beim Tunnelbau stört, kann es von Vorteil sein, die Baustelle vorübergehend tiefzukühlen.
Tunnel erleichtern uns das Reisen; wir bewegen uns abseits von Verkehrsstaus durch die Stadt und düsen im Zug oder Auto durch Berge oder unter Gewässern hindurch, deren Überquerung sonst Stunden dauern würde. Der Bau solcher Tunnel wurde über lange Zeit perfektioniert, hält aber noch immer Herausforderungen bereit. Bei Tunnelvortrieben im Grundwasser und mit geringer Überdeckung, insbesondere bei der Unterfahrung innerstädtischer Bereiche, ist der Untergrund nicht immer ausreichend tragend, als dass der Tunnelvortrieb ohne schädliche Setzungen und den damit verbundenen Rissbildungen an empfindlichen Gebäuden erfolgt. Hinzu kommen Grundwasserströmungen, die mal mehr und mal weniger kräftig sind und den Tunnelbau beeinträchtigen können.
Mit diesen Herausforderungen in Zusammenhang mit der Anwendung von künstlicher Bodenvereisung im Tunnelbau beschäftigt sich Doktorand Rodolfo Javier Williams Moises aus dem Team von Prof. Dr. Günther Meschke, Inhaber des Lehrstuhls für Statik und Dynamik an der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum.
Im Halbkreis tiefkühlen
Im Tunnelbau wird die Bodenvereisung häufig zur temporären Verfestigung und Abdichtung von Böden eingesetzt. „Das Prinzip besteht darin, 30 bis 100 Meter lange Gefrierlanzen in den Boden einzuführen“, erklärt Rodolfo Javier Williams Moises. „Sie werden permanent von einem kalten Fluid durchströmt, wodurch um sie herum nach einiger Zeit die Temperatur so stark absinkt, dass das Porenwasser im Boden zu Eis gefriert. Als Kältemittel für die Bodenvereisung kann entweder Sole oder Flüssigstickstoff verwendet werden. Bei der sogenannten Solevereisung zirkuliert in einem geschlossenen Kreislauf eine Salzlösung, die in der Regel eine Gefrierrohrtemperatur zwischen minus 40 Grad Celsius und minus 25 Grad Celsius schafft.“ Der Zeitraum, bis der Boden ausreichend gefroren ist, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab – hier können zwischen zehn Tagen und vier Wochen vergehen. Bei Bodenvereisungen in Gebieten mit starker Grundwasserströmung kann das Grundwasser so viel Wärme transportieren, dass die Gefrierleitungen längere Zeit brauchen, bis die Umgebung ausreichend abgekühlt ist und sie schließlich vereist.
Die Position der Gefrierlanzen ist häufig in einem Halbkreis um den geplanten Tunnel herum angeordnet, der aber etwas größer als der Tunnelquerschnitt ist. Der Vereisungsdurchmesser beträgt im Normalfall fünf bis zehn Meter, es kann allerdings auch mehr sein. „Man treibt den Tunnel dann innerhalb der gefrorenen Zone vor und berührt dabei nur ihren inneren Rand“, beschreibt Günther Meschke. „So arbeitet man in einer Art schützendem Eismantel.“ Im Inneren des Eismantels spielen Grundwasserströmungen keine Rolle, und aufgrund der höheren Festigkeit des gefrorenen Bodens erübrigen sich auch etwaige Setzungen, die zu Gebäudeschäden führen können.
Umweltfreundliche Methode
„Gegenüber anderen Bauhilfsmaßnahmen für problematische Bodenverhältnisse hat diese Methode den Vorteil, dass sie bei allen Bodenarten eingesetzt werden kann. Außerdem werden keine Fremdstoffe in den Boden oder das Grundwasser eingebracht, die dort verbleiben könnten“, erklärt Rodolfo Javier Williams Moises. „Die Methode ist also umweltfreundlich.“ In einer vorangegangenen Doktorarbeit am Lehrstuhl für Statik und Dynamik wurde bereits analysiert, wie die Gefrierlanzen unter verschiedenen Bedingungen optimal platziert werden können. Die Forschungsergebnisse zeigten, dass es zielführender ist, die Lanzen auf der Seite des einströmenden Grundwassers dichter aneinander zu positionieren; dafür sind auf der Seite des abfließenden Grundwassers größere Abstände praktikabel. Mit diesen optimierten Anpassungen spart man beim Tunnelbau, insbesondere bei hohen Grundwassergeschwindigkeiten, sowohl Energie als auch Zeit.
Aktuell beschäftigen sich die Forschenden mit der Simulation möglicher Risiken bei der Vereisung von Tunnelbaustellen. „Vorrangig interessiert uns dabei die Vereisung beim maschinellen Tunnelbau, da sie in diesem Gebiet noch wenig erprobt ist“, erklärt Günther Meschke.
Gegenüber der bergmännischen Tunnelbauweise, bei der zunächst ein Hohlraum ausgehoben wird, der dann mit Beton ausgekleidet wird, werden Tunnel bei der maschinellen Bauweise vollautomatisch durch eine unterirdische Fabrik gleichzeitig gegraben und befestigt. „Dazu wird eine Tunnelbohrmaschine durch einen Schacht in die Tiefe gelassen, während häufig die Vereisung zur Stabilisierung der Schachtwände eingesetzt wird. Danach bahnt sich die Maschine ihren Weg durch die Erde, indem sie bohrt, das Aushubmaterial durch ihr Inneres abtransportiert und die entstehende Tunnelröhre sofort von innen heraus mit sogenannten Tübbingen ausbaut und somit befestigt.
Simulationssoftware wird weiterentwickelt
Während dieses Prozesses entsteht um die Maschine herum ein sogenannter Ringspalt, der schnell verfüllt werden muss, damit über dem entstehenden Tunnel keine Setzungen auftreten. „Weil dieser Prozess automatisch abläuft, ohne dass man – anders als bei der bergmännischen Bauweise – die Gegebenheiten vor Ort sehen kann, wollen wir mithilfe von Simulationen herausfinden, welche möglichen Bedingungen existieren, die Einfluss auf die Vereisung nehmen könnten“, so Rodolfo Javier Williams Moises. Das Bochumer Team führt als weltweit erstes solche Simulationen an einem vollständigen Modell durch. In die Simulation fließen sämtliche mögliche Einflussfaktoren ein, so wird zum Beispiel berücksichtigt, dass sich die Tunnelbohrmaschine an der Ortsbrust, dem Ort des Bodenabtrags, erwärmt. Wärme wird ebenfalls in die Frostzone eingebracht, weil der Boden vor der Ortsbrust durch eine Flüssigkeit gestützt werden muss, damit er stabil bleibt. Im wassergesättigten Boden kann das Gefrieren aufgrund der Volumenvergrößerung beim Phasenübergang von flüssigem Porenwasser zu Eis sogar zu einer Erhebung an der Oberfläche über der Frostzone führen. „Alle diese Faktoren integriere ich in unsere Tunnelbau-Simulationssoftware und entwickle somit unser Programm weiter“, erklärt Rodolfo Javier Williams Moises. Als Bestandteil der Tunnelbausimulationssoftware sind diese Entwicklungen auch auf Szenarien des bergmännischen Tunnelbaus übertragbar.
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Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Methode der Vereisung im maschinellen Tunnelbau ein sehr sicheres Verfahren ist. Zwar kann die Wärme der Maschine selbst, zum Beispiel bei längerem Stillstand, dazu führen, dass der gefrorene Boden auftaut. Allerdings taut das Eis eher im unteren Bereich des Tunnelquerschnitts, wo dies kein Risiko darstellt. Auch die Bohrungswärme hat einen geringen Einfluss, der ebenfalls nicht sicherheitsrelevant ist.
„Da es aber bereits Unfälle beim maschinellen Tunnelbau unter Vereisung gegeben hat, wollen wir herausfinden, wo die Grenzen der Methode liegen“, äußert sich Günther Meschke. „Wir wollen wissen: Was muss passieren, damit etwas schiefgeht?“ Die Ergebnisse der Doktorarbeit von Rodolfo Williams Javier Moises werden helfen, darauf eine Antwort zu finden.