Die Fluggastzahlen sind inzwischen höher als vor der Corona-Pandemie. Umweltfreundlicher zu fliegen, ist das Ziel des Projekts.
© Roberto Schirdewahn

Maschinenbau Fliegen mit besserem Gewissen

Forschende modellieren ein virtuelles Flugzeugtriebwerk. Ziel ist es, die Voraussetzungen für mehr Nachhaltigkeit im Flugverkehr zu schaffen.

Die Fluggastzahlen erholen sich spürbar nach der Covid-Pandemie: Die EU-Kommission berichtet in ihren monatlichen Statistiken mit 179 Millionen Passagieren im ersten Quartal 2023 über eine Steigerung der Zahl der Fluggäste um 56 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal 2022. Die International Air Transport Association (IATA) geht von einer Zunahme des weltweiten Luftverkehrs um 103 Prozent im Vergleich zu 2019 aus. Viele der Passagiere dürften allerdings mit schlechtem Gewissen ins Flugzeug einsteigen. Denn Fliegen verbraucht fossile Energie und verursacht Treibhausgasemissionen. „Wir müssen in der Forschung weiterkommen, um umweltfreundlicher fliegen zu können“, sagt Prof. Dr. Francesca di Mare.

Die Inhaberin des Lehrstuhls Thermische Turbomaschinen und Flugtriebwerke an der Fakultät für Maschinenbau der Ruhr-Universität Bochum hat Anfang 2023 ein ehrgeiziges EU-Projekt namens MYTHOS gestartet. MYTHOS steht für „Medium-range hybrid low-pollution flexi-fuel/hydrogen sustainable engine“. Beteiligt sind an dem Projekt Forschungsinstitutionen aus drei europäischen Ländern.

Triebwerksdesign beeinflusst den Treibstoffverbrauch

Ziel des Projekts ist die Ableitung fundamentaler Erkenntnisse und somit fortgeschrittener Auslegungsmethoden, die die flexible Nutzung unterschiedlicher nachhaltiger Kraftstoffe (kurz SAF genannt, für „Sustainable Aviation Fuels“) bis hin zu reinem Wasserstoff in Triebwerken zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wird das Konsortium unter der Leitung von Francesca di Mare ein detailliertes virtuelles Modell eines kompletten Triebwerks entwerfen, mit dem sich das Verhalten des Triebwerks während sämtlicher Phasen eines Flugs – vom Start über das Abheben des Flugzeugs, den Flug bis hin zur Landung – akkurat berechnen lässt.

Francesca di Mare ist Inhaberin des Lehrstuhls Thermische Turbomaschinen und Flugtriebwerke an der Fakultät für Maschinenbau der Ruhr-Universität Bochum. Sie leitet das EU-Projekt MYTHOS.
© Roberto Schirdewahn

„Die Vorgänge im Triebwerk sind sehr komplex und verändern sich während des Flugs“, erklärt Francesca di Mare. „Die Auslegung der einzelnen Komponenten hat einen enormen Einfluss auf die Effizienz des Brennvorgangs. Die Brennkammer hat dabei eine besonders große Bedeutung: Hier muss der Kraftstoff so effizient genutzt werden, dass sich in der Turbine die notwendige Leistung entfaltet. Ein Beispiel: „Ein Flugzeug vom Typ A380 erfordert beim Abheben mit Vollladung die Leistung von etwa 400 Formel-1-Fahrzeugen – ein solches Fahrzeug hat rund 800 PS. Eine suboptimale Gestaltung der Brennkammer und des gesamten Triebwerks führt zu erhöhtem Kraftstoffverbrauch und dadurch automatisch zu erhöhten Emissionen“, illustriert Francesca di Mare.

Funktionsprinzip eines Triebwerkes
© Trent XWB, Rolls-Royce plc und F. di Mare

Das Funktionsprinzip eines Flugtriebwerks folgt dem Ablauf „suck-squeeze-burn-blow“: Der Energiegehalt der Luft wird durch die Verdichtung und die Freisetzung der im Kraftstoff gebundenen chemischen Energie in der Brennkammer erhöht und schließlich in der Turbine wieder freigegeben, um Schub zu generieren.

Wie entwickeln sich Druck und Temperatur an jeder einzelnen Stelle?

Im entstehenden virtuellen Modell soll jede Komponente des Triebwerks abgebildet sein, sodass sich mit hoher Genauigkeit berechnen lässt, wie sich auch kleine Anpassungen auf die Gesamtheit auswirken. Wie breitet sich die Flamme in der Brennkammer aus und stabilisiert sich? Wie strömt die Luft an den einzelnen Turbinenschaufeln vorbei? Wie belastet sind die einzelnen Teile? Wie entwickeln sich Druck und Temperatur an jeder Stelle des Triebwerks?

„Wir modellieren diese Vorgänge bis ins kleinste Detail und nutzen maschinelles Lernen, um Zusammenhänge zu erkennen“, erklärt die Forscherin. „Später müssen wir das Modell dann wieder reduzieren, damit es handhabbar bleibt und sich auch mit vertretbarem Aufwand anwenden lässt und dennoch maximale Genauigkeit aufweist.“ Das gesamte Triebwerkmodell beabsichtigt das Konsortium der Forschungscommunity zur Verfügung zu stellen.

Großskalige Produktion von Sustainable Aviation Fuels ist immer noch problematisch.


Francesca di Mare

Parallel will das Team Berechnungen für drei exemplarische Treibstoffe durchführen, die künftig im Flugverkehr zum Einsatz kommen könnten: Dazu gehören zum einen sogenannte SAFs, Sustainable Aviation Fuels, welche aus unterschiedlichen Quellen erzeugt werden können, beispielsweise aus pflanzlichen Erzeugnissen, aus rezyklierten verbrauchten Ölen oder aus Synthetisierungsverfahren. „Das Problem mit SAFs, die übrigens heute schon anteilig eingesetzt werden, ist, dass es davon nicht genug gibt“, sagt Francesca di Mare. „Insbesondere Kraftstoffe aus pflanzlichen Rohstoffen besitzen eine sehr niedrige Energiedichte und stellen daher eine kaum wirtschaftlich gangbare Lösung dar. Dazu kommen moralische Bedenken zur Nutzung der Agrarflächen, wie auch in den CORSIA-Richtlinien und -Definitionen verdeutlicht“. CORSIA steht für Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation.

Das Forschungsteam bezieht deswegen synthetisches Kerosin, rezyklierte verbrauchte Öle und Wasserstoff in seine Berechnungen mit ein. „Wasserstoff gibt es leider auch zu wenig“, so di Mare. „Und wir stehen noch vor erheblichen technologischen Problemen, die gelöst werden müssen, um eine großskalige Nutzung in der Luftfahrt zu ermöglichen.“

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Wasserstoff ist durch eine hohe Flüchtigkeit (er diffundiert beispielsweise etwa viermal schneller als Methan oder verdampftes Kerosin in Luft) und sehr niedrige Dichte charakterisiert. Um seine massenbezogene hohe Energiedichte auszunutzen – er enthält 142 Megajoule pro Kilogramm versus 43 Megajoule pro Kilogramm bei Kerosin – müsste man Wasserstoff stark komprimieren. „Um 1 Kilogramm Wasserstoff in ein Volumen von 1 Kubikmeter zu zwingen, bräuchte man bei einer Umgebungstemperatur von 25 Grad Celsius einen Druck von etwa 1.000.000 Pascal“, erläutert Francesca di Mare. Oder man müsste ihn sogar verflüssigen – bei einer Temperatur von unter minus 200 Grad Celsius und einem Druck von 7.000 Pascal. „Eine kryogene Verbrennung, die flüssigen Wasserstoff verwendet, ist beispielsweise in Raketenantrieben üblich“, so die Forscherin. Diese Charakteristiken stellen enorme Herausforderungen für die Auslegung von Triebwerken sowie von Flugzeugen dar, allein aufgrund der notwendigen Kühlungsinfrastruktur und des Speicherraums, und genau diese werden die Forscherinnen und Forscher des MYTHOS-Konsortiums adressieren.

Ein anschlussfähiges Modell

„Es wird daher noch einige Jahren dauern, bis kommerzielles Fliegen mit Wasserstoff möglich sein wird, dennoch ist diese epochale Wende in der Luftfahrt eine der tragenden Säulen des Europäischen Klimagesetztes ‚FitFor55‘ sowie der strategischen Agenda der Europäischen Clean Aviation Partnership. Daher ist unser Forschungsbeitrag notwendiger denn je“, so das Fazit von Francesca di Mare. Das Team um di Mare arbeitet daran, die Methodologie zu demonstrieren und somit die Vorarbeit zu leisten, die die weiteren technologischen Entwicklungen erst möglich macht.

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Veröffentlicht

Freitag
19. April 2024
11:36 Uhr

Dieser Artikel ist am 3. Juni 2024 in Rubin 1/2024 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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