Interview Geschlechtsspezifische Gewalt
Ein Gespräch mit der Genderforscherin Olimpiada Usanova.
Im Zuge der NRW-weiten Aktion „Gewalt kommt mir nicht auf den Campus“ interviewt das Zentrale Gleichstellungsbüro diesmal die russische Forscherin Dr. Olimpiada Usanova, die zurzeit am Marie Jahoda Center for International Gender Studies arbeitet.
Wie gehen Sie in Ihrer Forschung mit geschlechtsspezifischer Gewalt um?
Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine Schlüsselkomponente meiner Forschungsarbeit „Status of Women in Russia: Ermittlung und Überwindung der Geschlechterkluft“. Die Studie soll zeigen, wie sich die autoritäre Politik des Putin-Regimes im modernen Russland auf die sich verändernde Rolle und den Status der Frauen in der russischen Gesellschaft auswirkt. Ein Ausdruck des Autoritarismus ist die Leugnung von geschlechtsspezifischer Gewalt als gesellschaftliches Problem.
Wie sind Sie auf Ihr Thema aufmerksam geworden?
Als Wissenschaftlerin, promovierte Juristin und vor allem als Frau berühren mich Fragen der Geschlechterdiskriminierung sehr. Russland liegt in Bezug auf das Geschlechtergefälle weltweit auf Platz 81. Der Prozentsatz der Frauen, die Partnergewalt erleben, liegt in Russland insgesamt bei 38,2 Prozent und in den nordkaukasischen Republiken bei 80 Prozent und damit über dem weltweiten und europäischen Durchschnitt von 30 Prozent. Im Nordkaukasus gibt es schwerwiegende Formen geschlechtsspezifischer Gewalt wie Ehrenmorde, weibliche Genitalverstümmelung, Kindesentführung durch Verwandte väterlicherseits, Früh- und Zwangsehe und Brautentführung.
Mit der Verschärfung der staatlichen Gewalt in Russland nimmt auch das Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt in der Gesellschaft zu.
Wie wirken sich aktuelle politische Veränderungen und Entwicklungen auf Ihre Forschung aus? Was bedeuten sie für die Relevanz Ihrer Forschungsergebnisse?
Mit der Verschärfung der staatlichen Gewalt in Russland nimmt auch das Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt in der Gesellschaft zu und verschärft den Druck auf die unabhängige Genderforschung. Seit 2012 wurden viele russische Gender-Forschungszentren und Nichtregierungsorganisationen, die gegen Gewalt und Geschlechterdiskriminierung kämpfen, als „ausländische Agenten“ bezeichnet oder aufgelöst. Auch ich erhielt 2022 den Status einer „ausländischen Agentin“ für meine wissenschaftlichen und menschenrechtlichen Aktivitäten, was meine direkte Forschungsarbeit in Russland behinderte, aber glücklicherweise in Deutschland ermöglichte.
Sie haben nicht nur zu geschlechtsspezifischer Gewalt geforscht, sondern auch in der aktiven Unterstützung und Beratung von Frauen gearbeitet, die von Gewalt betroffen sind. Können Sie uns mehr darüber erzählen, wie Sie Forschung und praktisches Engagement miteinander verbinden?
Als praktizierende Anwältin habe ich immer Menschen vor Gewalt in jeglicher Form verteidigt – von staatlicher Gewalt bis hin zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Einer meiner jüngsten Fälle ist eine Sammelklage von 20 Mädchen, die bei einer Anti-Kriegs-Demonstration festgenommen wurden. Sie klagen gegen das russische Innenministerium wegen Polizeigewalt in Form von erzwungener Nacktheit während ihrer Inhaftierung im Zentrum für Verwaltungshäftlinge.
Zur Person
Was sind Ihre Pläne für Ihre Zeit in Bochum?
Ich plane, ein Forschungsprojekt abzuschließen, bei dem ich ein globales Bewusstsein für den Status der Frauen in Russland schaffe und ein tieferes Verständnis für die Rolle der Frauen in einer autoritären Gesellschaft fördere, auch durch die Brille der geschlechtsspezifischen Gewalt in der Russischen Föderation.
Und schließlich: Was kann jede*r von uns an der Ruhr-Universität tun, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern?
Gewalt gedeiht immer im Schweigen. Deshalb ist es die erste Aufgabe, darüber zu sprechen und in der Gesellschaft eine Nulltoleranz gegenüber Gewalt einzuführen. Nur durch die Verbreitung von Informationen über Gewaltformen, Präventionsmethoden und Schutzmaßnahmen können wir Frauen davor schützen, können wir Gewaltopfer entstigmatisieren und den ersten Schritt zum Aufbau einer gewaltfreien Gesellschaft an der Universität tun.
Beratungsstellen und Expertise an der RUB