Medizin Christian Klaes will gelähmten Menschen Selbstständigkeit zurückgeben
Seine Arbeitsgruppe verbindet dafür Neurowissenschaften, Neurochirurgie, maschinelles Lernen und virtuelle Realität.
Mit größter Selbstverständlichkeit nutzen wir unser Smartphone, führen die Zahnbürste zum Zähneputzen und trinken aus einem Glas Wasser. Vielen Querschnittsgelähmten und Menschen mit anderen motorischen Störungen ist nichts davon möglich. Nach etwas greifen, einen Gegenstand anheben oder manipulieren sind elementare, körperliche Eigenschaften, die uns ein autonomes Leben ermöglichen, die diese Menschen nicht haben. Sie ihnen bestmöglich zurückzugeben, ist Ziel der Arbeiten von Prof. Dr. Christian Klaes, der seit 1. Juli 2021 die Professur für Neurotechnologie an der Medizinischen Fakultät innehat. Seine Forschungsgruppe entwickelt fortschrittliche Neuroprothesen und andere Hilfsmittel, um Menschen mit schweren Lähmungen ein selbstständigeres Leben zu ermöglichen. „Dazu nutzen wir einen interdisziplinären Ansatz, bei dem Neurowissenschaften, Neurochirurgie, maschinelles Lernen und virtuelle Realität ineinandergreifen“, sagt der Forscher.
Direkter Anschluss ans Gehirn
Ein Ansatz ist zum Beispiel das Design eines sogenannten brain-computer interface (BCI). Dabei handelt es sich um ein System, das die direkte Kommunikation zwischen Gehirn und Computern ermöglicht und dabei eine geschädigte Wirbelsäule überbrücken kann. Neuronale Signale werden aus dem Gehirn ausgelesen und die Bewegungsintentionen des Menschen mithilfe einer speziellen Software dekodiert. Diese entschlüsselten Bewegungsintentionen werden dann benutzt, um Maschinen, Prothesen oder Exoskelette anzusteuern.
„Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir allerdings besser verstehen, wie das Gehirn sensorischen Input und motorischen Output verarbeitet und dadurch Bewegungsintentionen erzeugt“, umreißt Klaes sein Forschungsfeld. „Wie lernt das Gehirn, ein BCI-System zu steuern? Wie selektieren einzelne Neuronen beim Erlernen neuer Aufgaben? Und wie trifft das Gehirn die Entscheidung, ein bestimmtes Objekt aus einer Reihe von vielen möglichen auszuwählen?“
Ein Weg zur Neurorehabilitation ist der Einsatz virtueller Realität (VR). Mittels hochauflösender VR-Brillen und Controller können die Forschenden gesunde Menschen in Umgebungen versetzen, die gar nicht oder nur schwierig in der Realität umzusetzen wären. „In einer kürzlich veröffentlichten Studie konnten wir zeigen, dass wir mit gesunden Probanden Probleme bei der Steuerung von Neuroprothesen in VR simulieren können, um besser zu verstehen, wo Schwierigkeiten bei der Steuerung entstehen können“, berichtet Klaes.
KI ist die Zukunft
Da viele Fragen sehr komplex sind, setzt das Team auf künstliche Intelligenz, wie etwa das Prinzip des maschinellen Lernens. „Wir forschen intensiv an Anwendungen von KI im medizinischen und rehabilitativen Kontext“, so Klaes. „In Zukunft werden hybride Systeme und die Auswertung großer Mengen medizinischer Daten an Bedeutung gewinnen. Hier wollen wir einen Beitrag leisten und arbeiten mit vielen Kollaborateuren zusammen, um die Zukunft der Neurotechnologie in Deutschland mitzugestalten.“
Das Gehirn besser zu verstehen, es in Teilen oder sogar ganz zu modellieren, habe ihn schon lange fasziniert, erklärt der Forscher seine Motivation. „Technologie und Wissenschaft gehen Hand in Hand und befruchten sich gegenseitig. Wenn zum Beispiel eine neue Technologie zum Aufzeichnen von neuronalen Daten entwickelt wird, profitiert die Neurowissenschaft genauso davon, wie etwa die aktuelle Welle von KI von grundlegenden neurowissenschaftlichen Erkenntnissen profitiert hat. An dieser Schnittstelle arbeite ich und möchte das Feld der Neurotechnologie weiter vorantreiben, um uns Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen.“
Gründen und neue Horizonte entdecken
Seine Professur ist zudem die erste Start-up-Professur der RUB und eingebunden in den Health+ Inkubator, Teil des Worldfactory Startup-Centers. Der Inkubator soll es interessierten und motivierten jungen Menschen ermöglichen, im Bereich Healthcare, Medizintechnik und Rehabilitation neue Horizonte zu entdecken. Insgesamt soll eine Innovations- und Start-up-Kultur im Ruhrgebiet und speziell aus der RUB heraus geschaffen werden. „In diesem Bereich gibt es ganz hervorragende Zukunftsaussichten, die von den großen Impulsen aus der KI-Forschung, Neuroprothetik, VR und der Digitalisierung im Allgemeinen getrieben werden“, sagt Christian Klaes. „Ich möchte gerne dazu beitragen, dass Innovatoren hier eine Chance geboten wird und dass durch den Health+ Inkubator der Transfer in diesem Bereich deutlich verstärkt wird.“