Theologie Florian Bock nutzt die Kirchengeschichte als Brennglas
Der neu ernannte Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät stellt bei seinen kirchengeschichtlichen Forschungen die Gesellschaft in den Mittelpunkt.
„Kirchengeschichte bedeutet für mich Gesellschaftsgeschichte. Das ist mein Ansatz, um das Fach von seinem verstaubten Image zu befreien“, sagt Florian Bock. Er ist seit 18. Mai 2022 neu ernannter Professor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät. In vier Forschungsschwerpunkten rückt er die Christinnen und Christen und das, was sie im Alltag bewegt hat, in den Fokus.
Die großen Debatten spiegeln sich in der Kirchengeschichte im Kleinen wider.
Florian Bock
Dabei arbeitet Florian Bock mit seinem Team zum einen die kirchliche Zeitgeschichte der vergangenen 50 bis 60 Jahre auf. „In den 1970er- und 1980er-Jahren war die katholische Kirche noch vielerorts eine Volkskirche“, verdeutlicht er. Die Hälfte der Bundesbürgerinnen und -bürger war katholisch. „Wenn man auf die Kirchengeschichte schaut, schaut man wie durch ein Brennglas auch auf die Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik“, meint Bock. „Die großen Debatten, etwa zu Umwelt oder Atomkraft, spiegeln sich hier im Kleinen wider.“ Beleuchtete Bock in der Vergangenheit etwa die Diskussion zum Umgang mit der Anti-Baby-Pille, so untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Professur gegenwärtig, wie es zusammenpasst, katholisch zu sein und grün zu wählen.
Predigten aus der Frühen Neuzeit gaben Orientierung im Alltag
In einem anderen Forschungsschwerpunkt befasst sich Florian Bock mit der Gesellschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit. Der Kirchenhistoriker analysiert die Inhalte von Predigten aus den Jahren 1670 bis 1800. „Das waren mehr als langweilige Reden am Sonntag“, weiß Bock. „Die Predigten haben den Lebensrhythmus der Menschen bestimmt.“ Wie sollten Familien zusammenleben? Wie sieht die ideale Kindererziehung aus? Wie sollte man sich um Alte und Kranke kümmern? Wie sollten Zinsen bemessen sein? Wie die Gesellschaft zu diesen Themen stand, lässt sich aus den damaligen Predigten herauslesen.
Trends in der Bundesrepublik fanden sich im Ruhrgebiet in der Regel immer schon ein paar Jahre früher wieder.
Florian Bock
Einen weiteren Fokus legt Bocks Team auf die Lokalgeschichte. „Trends in der Bundesrepublik fanden sich im Ruhrgebiet in der Regel immer schon ein paar Jahre früher wieder“, schildert der Theologe. Säkularisierung, Interreligiosität und die Zusammenlegung von Gemeinden sind drei Beispiele für Entwicklungen, die sich im Ruhrgebiet früher als an anderen Orten abzeichneten.
Was wäre wenn: Kirchengeschichte anders unterrichten
Zuletzt beschäftigt sich die Arbeitsgruppe von Florian Bock auch mit der Didaktik der Kirchengeschichte – bislang eher ein Randthema für den Schulunterricht. Dabei arbeiten die Bochumer Forschenden mit der kontrafaktischen Methode. „Wir lassen Schülerinnen und Schüler überlegen, was wäre, wenn …“, erklärt Florian Bock. Was wäre, wenn das Zweite Vatikanische Konzil nie stattgefunden hätte, mit dem eine Öffnung der Kirche einherging? Was wäre, wenn die Kirche mehr Widerstand gegen Adolf Hitler geleistet hätte? „Mit diesen Übungen schlüpfen die Lernenden in die Perspektive der damaligen Akteurinnen und Akteure“, sagt Bock. „Sie befinden sich gedanklich in der Entscheidungssituation von damals – das macht Geschichte lebendig.“
Bei der Ausbildung der Studierenden setzt Bocks Gruppe auf das Forschende Lernen. Studierende fahren mit in die Archive, arbeiten mit Originalmaterialien oder werden künftig selbst kleine museale Ausstellungen konzipieren.